Datenschutz Apple überdenkt neues System zum Aufspüren kinderpornografischer Fotos

Kritiker sprachen von einem Dammbruch, weil Apple anlasslos und permanent eine Durchsuchung nach illegalen Inhalten auf den Geräten der Anwender durchführen wolle.
San Francisco Nach einer wochenlangen Kontroverse hat Apple, der wertvollste Technologiekonzern der Welt, am Freitag überraschend mitgeteilt, dass er eine umstrittene Software vorerst doch nicht in einem Update für iPhones, iPads und Mac-Computer einführen werde. „Basierend auf Reaktionen von Kunden, Interessengruppen, Wissenschaftlern und anderen haben wir uns dazu entschieden, noch mehr Zeit damit zu verbringen, Feedback zu sammeln und Verbesserungen anzubringen, bevor wir diese wichtigen neuen Einstellungen zum Schutz von Kindern einführen“, teilte ein Sprecher am Freitag mit.
Anfang August hatte Apple angekündigt, dass seine nächsten Software-Versionen, darunter iOS 15 für das iPhone, auf den Geräten ein Programm installieren würden, das es dem Konzern ermögliche, herauszufinden, ob der Besitzer kinderpornografische Fotos gespeichert habe.
Dafür wollte der Konzern sogenannte Hashes verwenden – also komplexe Zahlenkombinationen, die jedes Foto so einzigartig wie einen Fingerabdruck machen. Die von den Nutzern in die Apple-Cloud hochgeladenen Fotos würden dabei mit jenen kinderpornografischen Bildern abgeglichen, welche anerkannte Organisationen wie das National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) in Zusammenarbeit mit amerikanischen Behörden in ihren Datenbanken gespeichert haben.
Die Liste dieser problematischen Hashes würde dann direkt auf den Nutzerhandys gespeichert, dort liefe auch der Abgleich. Fänden sich auf dem iPhone eines Nutzers mindestens 30 solcher fragwürdigen Fotos, würden Apple-Mitarbeiter zunächst ohne das Wissen des Nutzers informiert. Die Mitarbeiter würden diese Fotos dann händisch überprüfen, das Nutzerkonto gegebenenfalls sperren und die Strafverfolgungsbehörden informieren. Ebenso wollte Apple künftig überwachen, ob Minderjährige pornografisches Material über die Chat-Funktion iMessage versendeten oder erhielten.
Die Chance, dass die Software sich irre und ein Nutzerkonto fälschlicherweise melde, betrage im Jahr eins zu einer Billion, teilte der Konzern damals mit. Die neue Funktion sollte zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt in den kommenden Wochen über die Software-Updates auf allen Geräten installiert werden, aber zunächst nur bei Kunden mit einem amerikanischen Nutzerkonto.
Mehrere Organisationen zum Schutz von Kindern applaudierten Apple für die angekündigten Maßnahmen. Neben dem NCMEC sagte auch die britische Internet Watch Foundation, die sexuellen Missbrauch im Netz bekämpft, dass es „ein entscheidender Schritt ist, um Kinder vor Angreifern zu schützen und jenen, die sie online ausnutzen würden“, und lobte Apples Ansatz als „vielversprechend“.
Verweis auf Gefahren
Doch Apples vermeintlich gutgemeintes Ansinnen löste auch eine weltweite Welle der Empörung aus. Datenschützer kritisierten, dass repressive Regime die neue Funktion verändern und ausnutzen könnten, um Oppositionelle zu zensieren oder gar zu verhaften. Statt nach kinderpornografischen Inhalten könnte recht einfach nach bestimmten religiösen Symbolen oder Fotos von Regimekritikern gesucht werden. Der frühere NSA-Whistleblower Edward Snowden sagte, dass Apple nun „Massenüberwachung auf der ganzen Welt“ lanciere.
Kritiker wiesen zudem darauf hin, dass die geplante Software-Änderung nur Fotos, aber keine Videos unter die Lupe nehme. Ein großer Teil der kursierenden Kinderpornografie werde also nach wie vor unentdeckt bleiben können. Auch Bilder, die lokal auf dem Smartphone und nicht in der Cloud gespeichert sind, würden, zumindest vorerst, nicht geprüft.
Die angekündigte Maßnahme, mit der sich Apple wohl auch als Schützer der Rechte von Kindern vermarkten wollte, entwickelte sich innerhalb Wochen zu einem PR-Desaster für den Konzern. Mitte August gab Apples Software-Chef Craig Federighi zu, dass die Art und Weise, wie die neuen Maßnahmen angekündigt worden seien, „ein sicherer Weg zur Verwirrung“ gewesen sei und „viele Botschaften wild durcheinandergewirbelt und missverstanden“ worden seien.
Kurz darauf wandten sich Aktivistengruppen in einem offenen Brief, der inzwischen mehr als 8700 Unterschriften erhalten hat, an Apples CEO Tim Cook und baten ihn, die Pläne für „Überwachungsfähigkeiten in iPhones, iPads und anderen Apple-Produkten“ fallenzulassen. Auch innerhalb des Konzerns soll das Vorhaben unter einigen Mitarbeitern für Bedenken gesorgt haben.
Am Freitag ruderte der Konzern dann vorerst doch noch zurück. Der IT-Experte Matthew Greene von der Johns Hopkins University lobte Apples Entscheid und forderte den Konzern dazu auf, das Gleiche zu tun wie andere Technologiekonzerne auch: nämlich nur öffentlich geteilte Fotos auf kinderpornografische Inhalte zu untersuchen. Denn Untersuchungen hätten jüngst gezeigt, wie die von Apple angestrebte Methode eben doch Nutzer fälschlicherweise beschuldigen könne. Wenn Apple darauf verzichte, auch die privat gespeicherten Fotos zu untersuchen, „reduziert das definitiv die Möglichkeit des Missbrauchs der Software“.
Mehr: Warum Apples Kampf gegen Kinderpornografie umstritten ist
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