Datenschutz Facebook, Snap und Co. entgehen Milliarden-Einnahmen: So sehr wirkt sich der Tracking-Schutz von Apple aus

Mit dem neuen iPhone-Betriebssystem können Nutzer ein Anbieter-übergreifendes Werbe-Tracking gestatten oder aber auch untersagen. Das Tracking kann auch ganz grundsätzlich mit einem Softwareschalter unterbunden werden.
Düsseldorf, San Francisco Es kommt selten vor, dass mehrere Spitzenmanager einer Branche so eindeutig ein und denselben Grund für milliardenschwere Umsatzausfälle benennen können. Doch als die großen Tech-Konzerne Facebook, Snap, Twitter und Google in den vergangenen Tagen ihre Zahlen vorlegten, passierte genau das. Von einer „Disruption“ sprach etwa Snap-Chef Evan Spiegel – und musste zusehen, wie der Börsenwert seines Konzerns wegen der enttäuschenden Ergebnisse um ein Viertel einbrach.
Wenige Wochen zuvor hatte iPhone-Hersteller Apple ein Update veröffentlicht, das Smartphonebesitzern mehr Kontrolle über ihre Daten gibt. Die Folgen trafen die Branche schwerer, als viele Beobachter das nach der Einführung des Updates für möglich gehalten hätten. Insgesamt, so berechnete das Anzeigen-Datenportal Lotame, gingen Google, Facebook, Twitter und Snap zwischen Juli und September fast zehn Milliarden US-Dollar Umsatz verloren.
Durch eine relativ simple Änderung der Spielregeln hat Apple das Geschäftsmodell der Branche in Teilen auf den Kopf gestellt. Konnten die Tech-Konzerne durch den regen Datenaustausch zwischen App und Smartphone früher ohne Probleme nachvollziehen, welcher Klick ihrer Nutzer in einer anderen App etwa zu einem Kauf führte, ist das nach der neuen Regel („App Tracking Transparency“, kurz ATT) nur dann möglich, wenn die Nutzer vorher zustimmen.
Doch die Bereitschaft der meisten iPhone-Besitzer ist offenbar gering. Branchenschätzungen zufolge erteilt im Schnitt nur etwa jeder fünfte Nutzer einer App die Erlaubnis, die Nutzungsdaten anderer Apps abzurufen. Für Facebook, Snap & Co. bedeutet das, dass sie deutlich schlechter messen können, wie gut einzelne Kampagnen funktionieren – und zum Teil auch schlechter einschätzen können, für welche Produkte sich ein Nutzer in Zukunft womöglich interessiert.
Für Apple sieht das dagegen ganz anders aus. Gleichzeitig mit der Tracking-Änderung baute der Konzern sein Werbeangebot Search Ads aus. Mit diesem können Firmen Platzierungen ganz oben in den Suchergebnissen im App-Store kaufen. Das Angebot wird von Werbetreibenden stärker genutzt, weil es durch die Tracking-Veränderung schwieriger ist, an iPhone-Kunden heranzukommen. Und die stellen eine lukrative Zielgruppe dar.
Laut der Investmentbank Evercore nimmt Apple in diesem Jahr mit Search Ads fünf Milliarden Dollar ein, bis 2024 soll der Umsatz auf 20 Milliarden Dollar steigen.
Facebook und Snap dagegen sind schwer getroffen. Für die gibt Lotame jeweils einen Umsatzausfall von 13,2 Prozent an. Weniger stark, aber immer noch deutlich getroffen wurden Youtube und Twitter mit einem Ausfall von 7,7 beziehungsweise 7,4 Prozent. Die Einbrüche sind unterschiedlich stark, weil die Plattformen die App-Daten in unterschiedlichem Maße nutzen. Andererseits bedienen sie aber auch verschiedene Kundensegmente.
Auch die Werbetreibenden leiden
Betroffen sind dabei nicht nur die Anzeigenplattformen selbst, sondern am Ende auch die Werbetreibenden. So habe das Apple-Update in einigen Segmenten dazu geführt, dass das Geschäft nahezu zum Erliegen gekommen sei, sagt Gartner-Analyst Eric Schmitt, der Vermarkter berät. „Vor allem jene Unternehmen, deren Geschäft auf Impulskäufen basiert, haben die Auswirkungen gespürt.“ Ebenso Spiele- und App-Entwickler, die ihre Software vor allem über Anzeigen verkaufen.
In beiden Fällen steht und fällt der Erfolg vor allem damit, dass die Werbung zielgruppengenau ausgespielt wird. Doch wenn Facebooks Algorithmus zum Beispiel nicht weiß, ob ein bestimmtes Spiel bereits installiert ist, kann der Konzern wenig erfolgversprechende Nutzer auch mit geringerer Genauigkeit von Kampagnen ausschließen. In der Folge erzielen auch die Kunden schlechtere Ergebnisse oder zahlen mehr für ihre Anzeigen – wie das Beispiel der Firma Rawskill aus Frankfurt zeigt.
Robert Naftaliev und seine Mitgründer haben eine App entwickelt, in der Nutzer gegeneinander Fifa-Fußballturniere austragen können. Geld zur Finanzierung der Firma und von Preisgeldern holt Rawskill über Sponsoren, In-App-Anzeigen und manchmal über Teilnahmegebühren herein. Junge Handyspielfirmen wie Rawskill gewinnen fast jeden Neukunden über Internetwerbung. Genauer gesagt: indem sie auf Plattformen Anzeigen ausspielen, die exakt ihre Zielgruppe adressieren.
Höhere Kosten, geringerer Erfolg
„Durch Apples Tracking-Einschränkungen fällt es Firmen wie uns schwerer, an Nutzer heranzukommen und sie zu reanimieren“, sagt Robert Naftaliev, dessen Nutzerbasis mehr als 22.000 Spieler umfassen soll. Facebooks Stärke habe immer darin gelegen, dass es nach einer Art Probelauf einer Anzeigenkampagne über 24 bis 48 Stunden sehr genau habe sagen können, welche Nutzer auf eine bestimmte Anzeige klicken.

Facebook und Snap sind schwer von Apples neuen Regeln zum Datenaustausch getroffen. Weniger stark, aber immer noch deutlich getroffen wurden Youtube und Twitter.
Weil Facebook nun nicht mehr so genau erheben kann, welche Apps die Nutzer auf dem Smartphone installiert haben, was sie an diesem Gerät noch so treiben und wie viel Geld sie online ausgeben, werden mit der gleichen Anzahl ausgespielter Anzeigen jetzt weniger Reaktionen erzielt. Naftaliev schätzt, dass seine Firma ungefähr 20 Prozent mehr pro Interaktion ausgeben muss, also pro Download der App oder erneuter Teilnahme an einem Spiel.
Kostete ein neuer Spielteilnehmer die Firma früher zwei Euro, sind es heute 2,40 Euro. „Je spezifischer die eigene Zielgruppe und je geringer das Budget, desto ineffizienter ist Facebook-Werbung geworden“, sagt der Gründer. Anders gesagt: Wenn ein Essenslieferant für viel Geld Tausenden Nutzern Werbung anzeigen kann, ist die Bestellquote deutlich höher, als wenn eine Firma für Fußball-Handyspiele hundert Anzeigen bezahlen kann.
Apples eigenes Anzeigengeschäft wächst
Während das Geschäft der Wettbewerber leidet, erfreut sich die Anzeigenplattform in Apples App-Store, Search Ads, die von der ATT-Regel ausgenommen ist, wachsender Bedeutung: In nur einem Jahr habe sich der Anteil der Apps, die über diesen Kanal installiert wurden, von 17 auf 58 Prozent nahezu verdreifacht, berichtete jüngst die „Financial Times“.
Derzeit sieht es nicht danach aus, als könnten die großen Anzeigenplattformen der neuen Regel kurzfristig etwas entgegensetzen. So bereitete etwa Facebook-Managerin Sheryl Sandberg die Anleger und Analysten bereits darauf vor, dass es womöglich einige Quartale dauern werde, bis der Konzern vergleichbare Datenquellen erschließen könne. Der Konzern hat sich auch mehrfach für eine brancheneinheitliche Lösung für das Problem ausgesprochen. Allerdings ist die nicht in Sicht.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass Google als größter Spieler nicht nur über mehrere Anzeigenkanäle, sondern mit Android auch über das am weitesten verbreitete Smartphone-Betriebssystem der Welt verfügt. Entsprechend gering waren die Folgen für den Mutterkonzern Alphabet als Ganzes: Mit einem Umsatz von 52,6 Milliarden US-Dollar hatte das Anzeigengeschäft des Konzerns die Erwartungen der meisten Analysten sogar leicht übertroffen.
Der Markt wird aufgeteilt
Auch Gartner-Analyst Schmitt schätzt die Chancen einer branchenübergreifenden Initiative für den sicheren Austausch von Nutzerdaten eher gering ein. „Eher sieht es danach aus, als würden sich mehrere unabhängig voneinander arbeitende Netzwerke herausbilden, die die Großen unter sich aufteilen“, so seine vage Prognose. Dabei sind Unternehmen wie Apple oder Google, die als Entwickler einen direkten Zugriff auf das Betriebssystem haben, im Vorteil.
Facebook versucht derweil, seine Kunden vermehrt dazu zu bewegen, nicht nur über das soziale Netzwerk zu werben, sondern über einen eigenen Shop dort auch gleich zu verkaufen. So bekommt der Konzern, ähnlich wie Apple mit seinem App-Store, ungefilterten Zugriff auf die beim Kaufprozess anfallenden Daten. Der Algorithmus kann so genau verfolgen, welcher Nutzer in welchem Kontext eine Kaufentscheidung trifft – und sich entsprechend optimieren.
Ein anderer Konzern, der mit diesem Modell gut fährt, ist Onlinehändler Amazon, dessen Umsatz im Anzeigengeschäft im abgelaufenen Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent auf acht Milliarden US-Dollar angewachsen ist. Damit belegt der Konzern im Branchenvergleich mittlerweile den dritten Platz hinter Google und Facebook, die mit ihren verschiedenen Plattformen ihrerseits etwa die Hälfte des digitalen Anzeigenmarkts unter sich aufteilen.
Doch wenn Vertriebs- und Anzeigenkanäle stärker zusammenwachsen sollten, heißt das auch, dass Werbetreibende in Zukunft womöglich stärker in Doppelstrukturen denken müssen – also beispielsweise mehrere E-Commerce-Shops auf verschiedenen Plattformen wie etwa Facebook und Amazon betreiben und pflegen, um über jeden Kanal vergleichbare Tracking-Ergebnisse zu erzielen.
Für viele Softwareunternehmen wie jenes von Robert Naftaliev wäre das wiederum keine große Hilfe. Denn als App-Entwickler bleiben sie letztlich auf die Regeln der Betriebssysteme und App-Stores der Smartphonehersteller angewiesen. Im Fall von Apple bedeutet das: auf die Bereitschaft der Nutzer, den Anzeigenplattformen die Erlaubnis zum Tracking zu erteilen.
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