E-Commerce SellerX bekommt weitere 100 Millionen Euro für den Aufkauf von Amazon-Shops

Die SellerX-Gründer Philipp Triebel (links) und Malte Horeyseck.
Foto: SellerX
Düsseldorf Mehr als 30 Handelsmarken hat Philipp Triebel seit Oktober gekauft. Marken für Pinsel, Mikroelektronik und Bartpflegeöl zum Beispiel. Und gerade hat der Mitgründer von SellerX erneut 100 Millionen Euro Investorenkapital eingesammelt, um diese Einkaufstour fortzusetzen: Das Markensammeln gehört zum Geschäftsmodell seiner 2020 gegründeten Firma. Die Kunden merken dabei von alldem meist gar nichts. „Kein Konsument wird SellerX je kennen“, sagt Triebel – das ist sogar gewollt.
Seit 2018 die Firma Thrasio in den USA mit der Geschäftsidee gestartet ist, wurde sie immer wieder kopiert: Wenn viele kleine Onlinehändler unter einem Dach gebündelt werden – so die Logik –, kann ein neuer E-Commerce-Riese entstehen. Und wenn Logistik, Marketing und Kundenservice professionalisiert werden, dann können Umsätze nicht nur addiert, sondern in jedem Segment sogar um ein Vielfaches gesteigert werden. Das zumindest ist die Wette.
Keiner der Akteure in dem Markt hat bisher so tiefen Einblick in die Zahlen gewährt, als dass sich die These hätte bestätigen lassen können. So stellen sich noch viele Fragen hinsichtlich der Erfolgsaussichten: Finden und bekommen die Akteure tatsächlich die besten Marken? Gelingt die Integration unter einem Dach? Und wie entwickelt sich das Geschäft mit den Produkten dann wirklich weiter?
„Bei jeder unserer Akquisitionen handelt es sich um Unternehmen, die die besten in ihren Nischen und auch profitabel sind“, versichert Triebel. Viele Markenverkäufer blieben seinem Unternehmen eine Zeit lang als Berater erhalten. Bei der größten Akquisition übernahm SellerX auch die 28 Mitarbeiter zur Fortführung des Geschäfts. Und zusätzlich arbeiten an der Vertriebsmaschinerie inzwischen mehr als 250 SellerX-Experten in Berlin, London, Miami und bald auch in China.
Bei der Mikroelektronik-Marke AZ-Delivery, die SellerX zuerst übernommen hat, erwartet Triebel die volle Auszahlung des Earn-outs. Dabei handelt es sich um einen erfolgsabhängigen Anteil des Kaufpreises, der nach einem Jahr gezahlt wird. Grundsätzlich entwickle sich das gesamte Portfolio „sehr stark“.
Dem amerikanisch-französischen Private-Equity-Finanzierer L Catterton reicht jedenfalls, was er gesehen hat. Er führt die neue Finanzierungsrunde an und stellt das private Beteiligungskapital für die nächste Akquisitionswelle.
Gesucht werden dabei weltweit Marken wie Tritart, eine Künstlerbedarfsmarke aus Leipzig, die Berliner Marke Gourmeo, unter der Küchenbedarf verkauft wird, und der britische Camden Barber Shop, eine Marke für Bartpflegeöl, Haarwachs und Rasierwerkzeug.
Abhängigkeit von Amazon kann zum Problem werden
Triebel, der seine Karriere im Investmentbanking startete, sieht grundsätzlich vier Potenzialfelder, um den Erfolg kleiner Marken zu steigern: die geografische Expansion, die Erweiterung der Produktpalette, neue Vertriebskanäle und die Verbesserung der Betriebsprozesse. Schon mit professionellerem Marketing ließen sich Umsätze zum Teil binnen Monaten um 30 Prozent steigern, mit neuen Märkten ließe sich der Absatz gar verdoppeln bis vervierfachen.
Zum Wachstumshemmer wird gerade allerdings Amazon: Die für die SellerX-Marken wichtigste Onlinehandelsplattform ist zuletzt so stark gewachsen, dass sie Händlern nur stark limitiert Lagerflächen zur Verfügung stellen kann. Das bremse das Wachstum aller Verkäufer, die stark auf den Marktplatz des US-Konzerns und auch auf dessen Infrastruktur angewiesen sind, sagt der Branchenexperte Mark Steier. Soll heißen: Wenn das Geschäftsmodell von SellerX aufgehen soll, muss es mit all seinen Marken unabhängiger werden von dem US-Konzern.
L Catterton, die belgische Investmentfirma Sofina und die bisherigen Investoren Cherry Ventures, Felix Capital und 83North hält das nicht von Investitionen in das Berliner Start-up ab. Es ist schon die dritte Finanzierungsrunde in weniger als einem Jahr. Das gesamte investierte Kapital beläuft sich auf 226 Millionen Euro.
Dabei geht es auch um die Möglichkeiten, sich im Kampf um die erfolgreichsten Marken durchzusetzen. Vor allem Trendsetter Thrasio, die Berliner Razor Group und das Handelsunternehmen Berlin Brands Group (BBG) haben es in Deutschland ebenfalls auf die Nischensieger abgesehen. BBG hatte sich Anfang des Jahres eine Finanzierung über 200 Millionen Euro gesichert und soll sich – fast gleichauf mit SellerX – seiner 30. Akquisition nähern.
Was die Aggregatoren für eine Marke zahlen, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab. Annäherungsweise lässt sich der Preis am Vorsteuergewinn (Ebit) des Vorjahres ablesen. Laut Triebel muss inzwischen „deutlich mehr als das Doppelte“ des Ebits gezahlt werden. In Branchenkreisen ist von ersten Übernahmen im zweistelligen Millionenbereich die Rede. Zumindest für die Händler läuft das Aggregator-Geschäft schon hervorragend.
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