Google-Mutter Billionen-Konzern mit Schwächen: Das sind die fünf Baustellen von Alphabet

Mittelbedarf hat der Google-Mutterkonzern Alphabet nicht – im Gegenteil: der Konzern sitzt auf Cash-Reserven von mehr als 120 Milliarden Dollar.
Mountain View Seit Anfang Dezember ist Sundar Pichai Chef des gesamten Alphabet-Konzerns. Nach dem Rückzug der Gründer Larry Page und Sergej Brin ist der 47-Jährige, der bislang schon Google leitete, der starke Mann im Suchmaschinenkonzern.
Doch obwohl Alphabet kürzlich die Grenze von einer Billion Dollar Börsenwert übersprungen hat, muss Pichai eine Reihe von Baustellen angehen. Das Wachstum hat sich 2019 verlangsamt, die Mitarbeiter sind wegen mehrerer Skandale in Aufruhr, und selbst bei Youtube, Googles rapide wachsender Video-Plattform, gibt es Probleme. Das sind die fünf wichtigsten Baustellen.
1. Die Hardware ändert sich rapide
Menschen werden das Internet künftig anders nutzen als heute. Touchscreen und Tastatur werden mit Stimme und Gestensteuerung ersetzt. Google, Amazon und andere Techkonzerne bringen schon jetzt massenweise neuartige Geräte auf den Markt: von smarten Ohrstöpsel-Kopfhörern bis zum Ring mit integriertem Sprachassistenten.
Mit den neuen Internetgeräten können sich Nutzer ständig im Netz bewegen, auch wenn sie nicht auf einen Bildschirm schauen – beispielsweise beim Autofahren. Das gibt den Konzernen neue Möglichkeiten, eröffnet aber auch eine neue Phase des Wettbewerbs. Und Google hat ein Problem. Denn der Erfolg des sogenannten „Ambient Computing“, also der ständig verfügbaren Dienste, hängt auch vom Zusammenspiel von Software und Hardware ab.
Gut für Google ist, dass das Unternehmen mit Amazon und Apple an interoperablen Geräten arbeitet. So kann Google auch auf den stark verbreiteten Geräten von Amazon seine Dienste anbieten. Das Wichtigste für Google sei jetzt, dass die Kunden „Google als Zentrum ihres digitalen Ichs wählen“, sagt Forrester-Analyst Frank Gillett, „dass sie ihren Google-Account für alles nutzen“.
Gillett schätzt, dass um jeden neuen Lebensbereich – von Ernährung über Sicherheit bis zu Gesundheit – ein eigener Wettkampf entsteht. Um hier gegen Apple aufzuholen, hat Google gerade den Smartwatch-Hersteller Fitbit übernommen.
Das ist auch dringend notwendig: Der Umsatz mit Geräten sei zuletzt sogar zurückgegangen, musste Finanzchefin Ruth Porat Analysten eingestehen. In diese Kategorie fallen Googles smarter Assistent, die Pixel-Telefone oder die Hausgeräte wie Nests smarter Thermostat.
Und nach wie vor stellt sich für Google die Frage nach der Monetarisierung in der neuen Hardware-Welt. Noch hat Google das Geschäft mit digitaler Werbung in der Hand. Doch Werbung am Bildschirmrand dürfte Nutzer weniger stören als eingespielte Werbespots beim Diktieren von Suchanfragen. Künftig geht es noch mehr darum, Nutzerabsichten zu erkennen und Werbung auf den neuen Geräten so gut abzustimmen, dass sie Menschen nicht mehr stört. Da muss Google auf seine Stärken bei Künstlicher Intelligenz setzen.
2. Der Ruf von Youtube hat gelitten
Youtube wird in gut einer Woche 15 Jahre alt. Googles Übernahme im Jahr 2006 für 1,65 Milliarden Dollar gilt als eine der weitsichtigsten – oder eben billigsten – Übernahmen der Geschichte des Silicon Valley. Aus dem Portal für Privatvideos ist unter Googles Ägide ein weltumspannender Fernsehsender mit 15 Milliarden Dollar Umsatz geworden, der von Comedy-Videos bis TED-Talks quasi jeden Inhalt zeigt.
Doch die Offenheit der Plattform, die Youtube ausmacht, ist auch ein gewaltiges Problem. Problematische Inhalte mögen nur einen winzigen Prozentsatz ausmachen, doch das macht die einzelnen Videos nicht besser. Youtube war Plattform für Videos des rechtsradikalen Moderators Steven Crowder, der darin einen homosexuellen Journalisten bedrohte, gab Raum für Verschwörungstheoretiker und erkannte lange nicht, dass sich Pädophile in den Kommentaren unter Kindervideos organisierten. Wann immer Youtube ein Feuer austrat, brannten schon zwei neue.
Zu dem Reputationsschaden kommt ein wirtschaftlicher: Werbekunden haben es nicht gern, wenn ihre Spots vor Hetzvideos von Neonazis laufen. 2017 führte ein solcher Skandal zur ersten „Adpocalypse“, in der Unternehmen von Amazon bis Lidl große Werbebudgets von Youtube abzogen, bis das akute Problem abgestellt war. Erst kürzlich gab es wieder Streit mit Youtubes Kunden, diesmal wegen Videos, in denen der Klimawandel geleugnet wird.
Vor Analysten verwies Pichai am Montag auf eine Initiative Youtubes, die die Verbreitung von Videos verhindern soll, in denen Wähler bei der US-Präsidentschaftswahl mit einem falschen Wahldatum oder falschen Angaben, wo sie wählen können, in die Irre geführt werden. Diesen Funken will Pichai offenbar austreten, bevor er aufflammt.
3. Die Google-Cloud wird abgehängt
Google Cloud ist derzeit die weit abgeschlagene Nummer drei des weltweiten Marktes für Cloud-Computing, der auf absehbare Zeit stärkste Wachstumsbereich der IT-Branche. Fassungslos musste Google zusehen, wie ein Internet-Buchhändler und ein über 40 Jahre alter Software-Konzern diesen Markt an sich gerissen haben.
Eindeutiger Marktführer ist laut Marktforscher Gartner Amazons Tochter AWS mit über 47 Prozent Marktanteil, gefolgt von Microsoft mit rund 15 Prozent. Google liegt nach Berechnungen der Marktbeobachter um vier Prozent und rangelt damit mit Alibaba, IBM und Oracle um Platz drei.
Das Investigativmagazin „The Information“ berichtet, dass Alphabet entweder bis 2023 mindestens einen der Marktführer überholt haben will oder der Sparte, in die jährlich Milliarden Dollar investiert werden, die Finanzierung entziehen will. Rein aus organischem Wachstum scheint es aber unmöglich, diese Vorgabe zu erreichen.
Die Investmentbank RBC Capital malt jetzt ein Szenario aus, in dem Alphabet das prosperierende Cloud-Unternehmen Salesforce für bis zu 250 Milliarden Dollar übernehmen könnte, um mit einem Schlag Microsoft hinter sich zu lassen. Eine Akquisition in dieser Größenordnung wäre selbst für Alphabet nur mit Schmerzen zu stemmen.
Aber im Cloud-Geschäft wird mit harten Bandagen gekämpft und mit hohem Einsatz. Gerade erst hat IBM für 34 Milliarden Dollar den Cloud-Spezialisten Red Hat übernommen, um sich damit 2021 mit einem Satz vor Google an den dritten Platz der Branche zu katapultieren.
RBC sieht als eine Möglichkeit, die Last einer solchen Monsterakquisition zu tragen, eine Abspaltung der Cloud-Sparte in eine eigene Gesellschaft, die dann an die Börse gehen könnte. Ein radikaler Schritt, der aber Vorteile hätte: Zum einen gäbe es einen ein Zufluss von Liquidität zur Mutter und zum anderen einen strategischen Vorteil bei der Kundenakquisition.
4. Prestigeobjekte werden zum Milliardengrab
Als Chef der Alphabet-Gruppe muss Pichai künftig auch ein Unternehmen führen, in dem Geld erklärtermaßen keine Rolle spielt. Der Forschungsbereich X wurde gegründet, um Ziele zu erreichen, die aus Sicht der Google-Gründer Investitionskosten in jeder Höhe rechtfertigen.
In Anspielung auf den ersten bemannten Mondflug werden die verfolgten Projekte „Moonshots“ genannt. Es geht Luftballons, die Internet in abgelegene Dörfer bringen sollen, aerodynamische Drachen, die Windenergie generieren und geschmolzenes Salz, das als Energiespeicher dienen soll.
„Ich wäre überrascht, wenn auch nur einer der Mondschüsse in zehn Jahren profitabel würde“, sagt der Forrester-Analyst Collin Colburn. Auf dem Friedhof der Experimente liegt schon der Versuch, aus Meerwasser Kohlen- und Wasserstoff zu extrahieren, um es zu einem kohlenstoffneutralen Brennstoff zu kombinieren.
Investoren erhoffen sich von Pichai, dass er die einzelnen Projekte nochmal genauer unter die Lupe nimmt und Kosten mit Erfolgsaussichten in Einklang bringt. Im vergangenen Quartal hat der Konzern immerhin zwei Milliarden Dollar Verlust mit den Forschungsprojekten gemacht, bei 172 Millionen Dollar Umsatz.
Pichai deutete vor Analysten am Montag mehrfach an, dass man auch Investoren von außen für die riskanten Unternehmungen suchen könnte, auch für Waymo, den Software-Entwickler von selbstfahrenden Autos – bei der Biotech-Tochter Verily hat bereits Temasek, der Staatsfonds Singapurs, investiert.
Größere Strategieänderungen bei X sind unwahrscheinlich, solange die Gründer Sergej Brin und Larry Page Pichai jederzeit absetzen können. „Solange das Kerngeschäft zweistellig wächst, kann Google die Investitionen in diese Wetten rechtfertigen“, sagt Analyst Colburn.
5. Googles Firmenkultur braucht ein Update
Der Ursprung aller Kickertische und Kombucha-Kühlschränke in Start-up-Küchen lassen sich an einen Ort zurückführen: Googles Hauptquartier in Mountain View. Kostenloses Kantinenessen und „Nap Pods“ für das Schläfchen danach gehörten genauso zu Googles Firmenkultur wie das etwas kitschige Motto „Don’t Be Evil“ und die „TGIF“-Meetings („Thank God It’s Friday“), bei der sich Mitarbeiter vor ihren Managern alles von der Seele reden konnten.
Doch die Wohlfühlatmosphäre hat Risse bekommen. Das Selbstbewusstsein, ein „Googler“ zu sein, hat Erwartungen unter den Mitarbeitern erzeugt, die ein auf ewiges Wachstum getrimmter Konzern immer schwerer einlösen kann. So musste Googles Management mehrfach Projekte nach Mitarbeiter-Kritik abbrechen: weder eine zensierte Version der Suchmaschine in China noch ein KI-Projekt mit dem Pentagon wurden umgesetzt.
Zu Demonstrationen kam es trotzdem: Die sogenannten „Walkouts“ während der Arbeitszeit waren eine Reaktion auf die 90 Millionen Dollar schwere Abfindung, die der Android-Erfinder Andy Rubin bekam, nachdem ihn Google wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung freistellte.
Rubin war ein Extremfall, aber Beziehungen von Googles mächtigen Männern mit Untergebenen gehörten seit Jahren zur Kultur. Die Affäre von Mitgründer Sergej Brin mit einer Marketing-Mitarbeiterin führte zur Scheidung seiner Ehe mit der Schwester von Youtube-Chefin Susan Woijicki. Ex-Präsident Eric Schmidt soll seine Geliebte gar als Beraterin aus Firmengeld bezahlt haben.
Pichai hat nun die Chance, mit dieser Kultur aufzuräumen. Auch wenn er an vielen Entscheidungen als Google-Chef bereits Anteil hatte, gilt er selbst als integer. Kürzlich verließ Alphabets langjähriger Chefjurist David Drummond das Unternehmen – ohne Abfindung.
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