Große Finanzierungsrunde Lohnabrechnungs-Start-up Payfit sammelt 90 Millionen Euro ein – und nimmt deutschen Markt ins Visier

Die Gründer von Payfit übernehmen mit ihrer Software alle Lohnabrechnungen sowie Steuer- und Sozialmeldungen für kleine Unternehmen.
Düsseldorf Der Gründer Firmin Zocchetto hat 90 Millionen Euro eingesammelt, die ihm zum Durchbruch auf dem deutschen Markt verhelfen sollen. Mit seinem französischen Start-up Payfit hilft er kleinen Unternehmen bei der Lohnsteuerabrechnung und setzt nun voll auf den Expansionskurs. Das spricht für Selbstbewusstsein: Denn Deutschland hat mit Personio einen eigenen Anbieter von HR-Software mit Milliardenbewertung.
Das Personalmanagement in kleinen Firmen war lange aufwendige Handarbeit und oft eine Angelegenheit, für die Unternehmer viel Geld an Steuerberater zahlten. Doch Start-up-Unternehmer haben erkannt, dass sie die Sisyphusarbeit digitalisieren können. Dadurch ist ein Milliardenmarkt in Europa entstanden, den es nun aufzuteilen gilt. Wie viele Anbieter können sich dauerhaft etablieren?
Payfit und Personio unterscheiden sich bisher durch verschiedene Schwerpunkte. „Wir sprechen Unternehmen mit zehn bis 100 Mitarbeitern an“, sagt Payfit-CEO Zocchetto. Personio sehe er eher in der Kategorie 100 bis 2000 Angestellte. Und während die Münchener stark seien bei Themen wie dem Bewerbermanagement, habe sich Payfit darauf konzentriert, kleine Unternehmen zur selbstständigen Abwicklung ihrer Lohnabrechnungen zu befähigen. Dafür habe das Start-up eine Programmiersprache entwickelt.
In der Theorie ist der Markt jedenfalls groß genug. Allein mit den Unternehmen bis 100 Mitarbeitern ließen sich laut Zocchetto in Europa mehrere Milliarden Umsatz machen. Nach seiner Erfahrung hätten 80 Prozent seiner Zielgruppe in Deutschland bisher Steuerberater beauftragt.
Auch die Eroberung weiterer Länder ist für beide Start-ups kein Selbstläufer. Die Gehaltsabrechnung funktioniert in jedem Land etwas anders, erklärt der Gründer: „In den USA und Großbritannien ist das System einfach, in Frankreich, Spanien und Italien ist es sehr, sehr kompliziert.“ Dort zahlten Unternehmen jeden Monat 30 Euro je Mitarbeiter für die Gehaltsabrechnung. Deutschland befinde sich vom Schwierigkeitsgrad in der Mitte.
Payfit und Personio: Konkurrenz oder Koexistenz?
Und doch ist es gut möglich, dass sich dauerhaft eines der Unternehmen begünstigt durch Skaleneffekte durchsetzt und sein Angebot entsprechend ausweitet oder abspeckt. Das macht den Vergleich der beiden Firmen interessant.
Personio, gegründet 2014, hat zu Jahresbeginn mit einer Finanzierungsrunde von etwa 104 Millionen Euro ein Ausrufezeichen gesetzt. Die Münchener erreichten dabei eine Bewertung von 1,7 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro) und dürfen sich seitdem „Einhorn“ nennen. Das investierte Gesamtkapital beläuft sich auf 207 Millionen Euro.
Payfit, gegründet 2016, hat die prestigeträchtige Milliardenmarke noch nicht geknackt. Mit insgesamt 179 Millionen Euro eingesammeltem Kapital scheint das Unternehmen davon aber nicht mehr allzu weit entfernt zu sein.
Mit knapp 600 Mitarbeitern hat Payfit etwas mehr Angestellte als Personio zum Zeitpunkt der Finanzierungsrunde und führt auch bei der Kundenanzahl. Personio sprach im Januar von mehr als 3000 Geschäftskunden, Payfit hat nach eigenen Angaben 5000, zehn Prozent davon in Deutschland.
Aber: Beim Zahlmodell „pro Kunde, pro Monat“ lassen sich mit größeren Unternehmen schneller die Umsätze und Margen steigern, sobald es auf Profitabilität ankommt. Bei den Umsätzen halten sich die Firmen bedeckt. Branchenschätzungen gehen für 2020 beim Jahresumsatz von Personio von einem zweistelligen Millionenbetrag aus.
Hat Investor Accel eine Vorentscheidung getroffen?
Für einen Durchmarsch von Personio spricht auch das Verhalten des Investors Accel, der pikanterweise beide Firmen in seinem Portfolio hat. In der Series B, der dritten Finanzierungsrunde, war er noch der führende Investor bei Payfit gewesen. In der aktuellen Series D legte der renommierte Kapitalgeber nicht mehr nach, wie es Eurazeo, BPI France und Large Venture getan haben – und es im Fall eines herausragenden Start-ups zu erwarten gewesen wäre.
Auf Handelsblatt-Anfrage sagt Accel-Partner Philippe Botteri: „Wir sind einer der größten Investoren in der Firma, und es hat Sinn ergeben, andere Investoren in diesem Stadium Platz zu lassen.“ Accel werde weiterhin im Beirat der Firma tätig sein und das Team bei seiner Wachstumsstrategie beraten. Er betont, dass Firmen sich mit ihren Angeboten überlappen könnten, ohne notwendigerweise direkt zu konkurrieren. Bei 25 Millionen kleinen und mittelständischen Firmen in Europa sei „Platz für viele Marktteilnehmer“.
Vielleicht ist die Zukunft aber auch kein Gegen-, sondern ein Miteinander. „Ich habe gute Gespräche mit dem CEO von Personio, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in der näheren Zukunft beim Angebot für kleine Unternehmen zusammenarbeiten werden“, sagt Zocchetto. „Wir können uns sehr gut ergänzen.“
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