Gründungsförderung Fünf Stellschrauben für eine Verdoppelung der Start-ups bis 2030: So könnte Deutschland den Gründergeist entfesseln

Junge Unternehmer ohne Studium brauchen in Deutschland mehr Förderung.
Wie wird Deutschland zum Gründerland? Die Experten von McKinsey fordern dazu auf, die Potenziale bei Start-ups besser zu nutzen. Ihre These: Läuft es weiter wie bisher, würden im Jahr 2030 nur rund 2900 Start-ups gegründet. Drehe Deutschland aber an fünf Stellschrauben, könnten es 5800 sein, also doppelt so viele, rechnen die Berater in der neuen Studie „Entrepreneurship Zeitgeist 2030“ vor.
Zentraler Hebel für solch einen Erfolg: Mehr Menschen, die generell gern ein Unternehmen gründen würden, müssen dazu ermutigt werden, ihr Vorhaben tatsächlich umzusetzen. Denn laut einer repräsentativen Umfrage der Berater wagen nur fünf Prozent der Gründungswilligen den Schritt in die Selbstständigkeit. „Anderen Ländern wie etwa den Niederlanden gelingt es, einen breiteren Teil der Bevölkerung zum Gründen zu motivieren. Deutschland sollte die Chancen einer diverseren Struktur noch stärker nutzen“, meint McKinsey-Start-up-Experte und Ex-StudiVz-Chef Markus Berger-de Leon.
Weichen für mehr Gründermut könnte die künftige Bundesregierung stellen. Doch im Sondierungspapier der Ampelkoalitionäre kommen Start-ups nur am Rande vor. „Wir werden … Innovation fördern und neues Zutrauen in Gründergeist, Innovation und Unternehmertum schaffen. Dazu stärken wir die Start-up- und Gründerförderung und entbürokratisieren die Innovationsförderung und -finanzierung“, heißt es in dem Drei-Parteien-Kompromiss. Konkret könnten dabei Instrumente wie der bereits beschlossene Zukunftsfonds der KfW helfen, meinen die Koalitionäre in spe.
Die bisher unveröffentlichte McKinsey-Studie sieht nach einem eigenen Rechenmodell und Expertengesprächen fünf zentrale Zielgruppen, bei denen die Start-up-Förderung ansetzen müsste.
1. Mehr Ausgründungen aus Universitäten und Forschungseinrichtungen
1350 zusätzliche Gründungen pro Jahr seien „durch eine stärker unternehmerische Denkweise und Lehre an Universitäten, Vernetzung mit der Wirtschaft sowie verbesserte Kommerzialisierung der Forschungsleistung zu erwarten“, schreiben die Autoren. Wie das geht, zeigte vergangene Woche die University Innovation Challenge von Handelsblatt und Goethe-Universität Frankfurt.
Auch die Hamburger Forschungseinrichtungen investieren mit Bundeshilfe: Vor wenigen Wochen eröffnete am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY ein eigenes Start-up-Zentrum. „Wir können Deutschlands föderale Stärken nutzen, indem wir lokale Ökosysteme aus Forschung, Großunternehmen und Mittelständlern sowie gesellschaftlichen Institutionen orchestrieren“, sagt Mitautor Tobias Henz von McKinsey. Das gelinge bereits etwa in München oder an der RWTH in Aachen gut.
2. Mehr Fördermittel für Frauen
Ein besserer Zugang zu Finanzmitteln und Netzwerken sowie die Verdopplung des Gründerinnenanteils auf 32 Prozent ermöglichten laut der Rechnung jährlich weitere 630 Start-ups. Schon länger diskutiert die Szene darüber, wieso so wenig Frauen gründen. Mehrere Fonds und Initiativen wollen Frauen gezielt unterstützen. So schlossen sich im Sommer 60 Topmanagerinnen zum Netzwerk Encourage Ventures zusammen, um Gründerinnen mit Kontakten und Wagniskapital zu helfen. „Vorbilder sind wichtig“, sagt Henz.
3. Gründer ohne akademische Ausbildung stärker unterstützen
Die Studienautoren meinen, dass der Anteil von Gründern ohne Hochschulabschluss auf knapp 40 Prozent verdoppelt werden könnte. Dann würden jährlich 520 weitere Start-ups entstehen.
Erfolg ist dabei sogar direkt nach der Schule möglich, wie die Gründer der Lern-App Knowunity aus Sindelfingen beweisen. Die vier Freunde erhielten im Frühjahr zwei Millionen Euro Risikokapital von Project A und dem Fußballer Mario Götze.

Gründeten nach der Ausbildung.
Die Gründer der Fasten-App Fastic, Sebastian Wettcke und Phillip Wayman, die Anfang des Jahres fünf Millionen Euro von Investoren erhielten, gründeten nach der Ausbildung.
4. Mehr Vertrauen in Gründer unabhängig vom Alter
Der Altersdurchschnitt erfolgreicher Gründer in Deutschland liegt bei 45 Jahren. Würden mehr Menschen mit längerer Berufserfahrung gründen, könnten jährlich 220 Start-ups zusätzlich entstehen. Die Studienautoren regen etwa an, dass Arbeitgeber erfahrene Mitarbeiter bezahlt freistellen, damit diese ein neues Unternehmen im Konzernumfeld aufbauen können. Junge Gründer bleiben aber wichtig: Die besonders erfolgreichen Hypergrowth-Start-ups der vergangenen Jahre wie Delivery Hero, Personio oder Flixmobility wurden von Menschen unter 40 gegründet.
5. Gründer mit Migrationshintergrund gezielt fördern
Einwanderer oder ihre Nachkommen wollen häufiger gründen als Nichteinwanderer (59 Prozent beziehungsweise 49 Prozent). Bislang machen sie 20 Prozent der Gründer aus. „Gelingt es, ein inklusiveres Start-up-Ökosystem zu realisieren und die Finanzierungslücke bei Gründer:innen mit Migrationshintergrund zu schließen, sind jährlich 180 zusätzliche Gründungen im Jahr 2030 möglich“, schlussfolgern die Autoren.
Ein Vorbild kann dabei etwa Auto1-Mitgründer Hakan Koc sein. Er ist als Sohn türkischer Einwanderer in Kiel aufgewachsen.

Mitgründer von Auto1. Das Unternehmen bewertet und verkauft Gebrauchtwagen.
Für Furore sorgt derzeit auch Enes Seker: Der 26-Jährige baute in Windeseile die Donut-Kette Royal Donuts auf und will Ende des Jahres 320 Franchise-Läden betreuen. Dabei kam der Sohn türkischer Zuwanderer mit 10.000 Euro Startkapital für den ersten Laden in Köln aus.
Hat die Förderung dieser fünf Gruppen von Gründern Erfolg, erwarten die McKinsey-Experten starke Effekte: 41.000 Gründungen sind demnach bis 2030 drin. Diese neuen Start-ups würden mit 1,4 Millionen Mitarbeitern eine Bewertung von 2,3 Billionen Euro erreichen – 20 Prozent mehr als die Dax-Konzerne heute zusammengenommen.
Weitere Voraussetzung dafür ist allerdings, dass schnellwachsende Start-ups vor allem in der Spätphase mehr Geld bekommen. Zugleich müssten die neuen Mittelständler, die besonders viele Jobs schaffen, stärker in den Fokus geraten. „Wir sollten uns in Deutschland auf unsere Stärken etwa bei der regionalen Vielfalt und dem Mittelstand besinnen, statt andere Standorte kopieren zu wollen“, rät Henz.
Mehr: Ein Interview mit dem Präsidenten der TU München zu Ausgründungen
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Anscheinend ist es schon ein Fortschritt wenn irgendwas gegründet wird. Worauf es wirklich ankommt, sind Gründungen die irgendetwas besser lösen als zuvor und das dann auch gebraucht wird. Ich brauche zum Beispiel nicht noch 99 Lieferdienste oder online-Portale. Außerdem wird zu oft so getan als käme Innovation vor allem von Startups. So als würden größere Unternehmen, die es schon länger gibt, keine Innovationen hervorbringen. Das ist auch Unsinn. Und schließlich, die Jobs, die bei Neugründungen entstehen, reduzieren oft Jobs anderswo. Sie nur undifferenziert nach Jobaufbau zu hypen ist deshalb falsch. Es wäre des Handelsblatts würdig(er) wenn es mal untersuchen würde, wie es mit Erfolgsquote, echter Innovation und Netto-Jobaufbau wirklich aussieht.