Halbleiterhersteller Rekord-Deal in der Chipbranche: Nvidia verspricht „offenes Lizenzmodell“ für ARM

Der amerikanische Chipkonzern kämpft um die Übernahme des britischen Halbleiterdesigners ARM.
München, London, Brüssel Die geplante Übernahme des britischen Chipdesigners ARM durch den US-Chiphersteller Nvidia stößt auf zunehmende Kritik. Nach monatelangem Schweigen geht Nvidia jetzt in die Offensive und versucht vor allem, die skeptischen ARM-Kunden zu beschwichtigen. „Wir verpflichten uns, am offenen Lizenzmodell festzuhalten“, sagte Finanzchefin Colette Kress in einem Gespräch mit dem Handelsblatt und ausgewählten europäischen Medien.
Kress spricht damit die größte Sorge der Kunden an. Der Deal, bei dem Nvidia dem ARM-Eigentümer Softbank 40 Milliarden Dollar bezahlen will, wäre der bislang größte in der Branche – und würde die Kräfteverhältnisse in der Halbleiterindustrie deutlich verschieben. Viele Chiphersteller und IT-Konzerne, die bisher auf die Technologie von ARM zurück greifen, wären künftig abhängig von Nvidia.
Zwar hat sich noch keiner der großen Kunden öffentlich gegen die Akquisition ausgesprochen. Laut US-Medien haben aber unter anderem Apple, Microsoft und Qualcomm bereits die Wettbewerbsbehörden in den USA aufgefordert, den Deal genau zu prüfen. Alle drei Unternehmen sind auf Lizenzen von ARM angewiesen und fürchten offenbar, dass ARM allen Garantien zum Trotz die Neutralität Schritt für Schritt einbüßen könnte.
Kress tritt den Befürchtungen jetzt entschlossen entgegen und betont, dass sich durch den Kauf für die Kunden von ARM nichts ändern werde. Es gebe auch schon Unterstützung für den umstrittenen Deal, sagte Kress: „Es gibt Kunden, die dahinterstehen.“ Namentlich wollte sie die Unterstützer aber nicht nennen.
Nvidia hatte den riesigen Deal vergangenen September angekündigt. Derzeit seien das Management und ein Heer von Rechtsanwälten dabei, den Aufsichtsbehörden die Details der Übernahme zu erklären, sagte Kress. Dabei läge Nvidia voll im Zeitplan. Die Firma aus dem Silicon Valley kalkuliert mit anderthalb Jahren, um die Erlaubnis der Behörden zu erhalten.

„Wir verpflichten uns, am offenen Lizenzmodell festzuhalten.“
Insbesondere in Großbritannien existiert eine ausgeprägte Abneigung gegen den Deal. ARM gilt als britisches Tech-Juwel, auch wenn das Unternehmen seit 2016 der japanischen Softbank gehört. Die britische Competition and Markets Authority (CMA) hatte im Januar Interessierte dazu aufgefordert, sich zu äußern. Auf der Basis der ersten Stellungnahmen wird nun über weitere Schritte entschieden.
Auch die britische Regierung prüft
„Wir werden eng mit den Aufsehern rund um die Welt zusammenarbeiten und die Folgen dieses Deals sorgfältig prüfen“, sagte CMA-Chef Andrea Coscelli. Die Behörde berücksichtige dabei nicht die Auswirkungen auf Industriepolitik oder Arbeitsplätze, sondern nur mögliche Nachteile für Verbraucher. Über Fragen der nationalen Sicherheit entscheide die britische Regierung, so Coscelli.
Die konservative Regierung unter Premier Boris Johnson wiederum hatte im November die Investitionskontrolle verschärft. „Wir prüfen den Deal sorgfältig und sprechen mit den relevanten beteiligten Parteien“, teilte die Regierung auf Anfrage des Handelsblatts mit. „Wenn Übernahmen erhebliche Auswirkungen auf Großbritannien haben, werden wir nicht zögern, weitere Untersuchungen durchzuführen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.“
Angeführt wird der Widerstand vom Unternehmer Hermann Hauser, der ARM im Jahr 1990 mitgegründet hatte. Der Österreicher hatte im Herbst einen offenen Brief an Johnson geschrieben. Diese Petition wurde von mehr als 2000 Personen unterzeichnet. Im Schreiben fordert Hauser vertragliche Garantien, etwa dass die Zentrale von ARM in Cambridge bleibt und Nvidia den Verkauf von Chips an Konkurrenten nicht einschränkt. Außerdem soll die Firma von US-Exportregeln ausgenommen werden.

Der Chef und Co-Gründer von Nvidia setzt zur größten Übernahme der Halbleiterindustrie an: 40 Milliarden Dollar will der Unternehmer für ARM hinlegen – wenn er denn darf. Denn die Genehmigung der Wettbewerbsbehörden weltweit steht noch aus.
Könne Nvidia dies nicht garantieren, solle die britische Regierung den Deal stoppen und ARM an die Börse bringen – mit dem Staat als Ankerinvestor. Die Firma sei die einzige britische Techfirma, die einen globalen Markt dominiere, erklärte Hauser.
Auch die Behörden in Brüssel haben ein Wort mitzureden. Der EU-Kommission liegt aber noch kein Antrag auf eine wettbewerbsrechtliche Prüfung vor. „Dieses Vorhaben wurde nicht bei der Kommission angemeldet. Es ist Sache der Parteien, dies zu tun“, erklärte eine Kommissionssprecherin auf Anfrage des Handelsblatts.
Eine Übernahme in dieser Dimension muss grundsätzlich bei der EU-Kommission angemeldet werden. Die EU prüft nach eigenen Angaben jährlich rund 300 Fälle. Konzerne können die Kommission im Vorfeld kontaktieren, um zu erfahren, wie sie ihre Anmeldung am besten vorbereiten können.
Zu den wichtigsten Beschwerdeführern dürfte der Chiphersteller Qualcomm gehören. Mit dem Smartphone-Chip Snapdragon basiert das wichtigste Produkt des Halbleiterentwicklers aus San Diego auf einer ARM-Architektur. Qualcomm verteidigte seine Marktführerschaft bei Mobilgeräten auch gegen Nvidias Ambitionen – und nicht immer mit fairen Mitteln: 2019 belegte die EU-Kommission das Unternehmen mit einer 242 Millionen Euro schweren Strafe, weil der US-Konzern den britischen Konkurrenten Icera mit Kampfpreisen aus dem Markt gedrängt habe. Icera gehört heute zu Nvidia.
Ausgelastete Kapazitäten
Nvidias Geschäft läuft unterdessen glänzend. Der Chipkonzern kann jedoch gar nicht so viel liefern, wie die Kunden bestellen. Das Unternehmen produziert seine Halbleiter nicht selbst, sondern bezieht sie von den Auftragsfertigern TSMC und Samsung in Asien. Dort sind die Kapazitäten seit Monaten voll ausgelastet.
Der Umsatz in dem Ende Januar abgeschlossenen vierten Quartal des Geschäftsjahrs ist um 61 Prozent auf fünf Milliarden Dollar gestiegen. Das sind knapp 200 Millionen Dollar mehr, als Analysten vorab erwartet hatten. Vor allem Chips für Rechenzentren sind gefragt, in dem Bereich haben sich die Erlöse nahezu verdoppelt. Der Konzerngewinn stieg um mehr als die Hälfte auf rund 1,46 Milliarden Dollar (umgerechnet 1,2 Milliarden Euro).
Jensen Huang, Chef und Co-Gründer Nvidias, hat im Herbst bereits versprochen, Zusagen zum britischen Standort, zu Arbeitsplätzen und der Unabhängigkeit ARMs auch rechtlich bindend festzuschreiben. Die Zentrale in Cambridge soll laut Huang zu einem „weltweit führenden KI-Zentrum“ werden, welches als europäischer Hub für die Zusammenarbeit mit Universitäten, Start-ups und Industrie fungiere. Doch zuerst müssen davon die Behörden überzeugt werden.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.