Heidelberger Start-up Aleph Alpha Deutscher Ex-Apple-Manager plant eine KI für Europa

Der Gründer von Aleph Alpha will eine Künstliche Intelligenz für Europa entwickeln.
Hamburg Vor wenigen Monaten sorgte ein Zeitungstext für Aufsehen – nicht wegen seines Inhalts, sondern wegen seines Zustandekommens. „Ein Roboter hat diesen ganzen Artikel geschrieben. Kriegst du jetzt Angst, Mensch?“, titelte der britische „Guardian“. Die Zeitung ließ eine Künstliche Intelligenz (KI) einen gut lesbaren und scheinbar durchdachten Meinungsbeitrag verfassen. Thema: Wieso die Menschen KI eben nicht fürchten müssen.
Hinter der Technik steht das amerikanische KI-Unternehmen OpenAI, finanziert mit über einer Milliarde Dollar über eine gemeinnützige Organisation unter anderem vom Tesla-Gründer Elon Musk und Microsoft. Der Softwarekonzern sicherte sich bereits einen besonderen Zugriff auf den Code, allen anderen steht nur eine Schnittstelle zur Verfügung.
Für Jonas Andrulis ist OpenAI eine Provokation und ein Ansporn. Er hat sich eine Mission gegeben: Der 39-Jährige will dem amerikanischen Projekt eine europäische Antwort entgegensetzen. „Wenn wir unsere sozialen und ethischen Wertgrundlagen selbst bestimmen wollen, müssen wir die technische Expertise und Wertschöpfung in Europa halten“, sagt er dem Handelsblatt.
Der Alte Kontinent dürfe die Entwicklung von KI, die für viele Nutzungen offen ist, nicht allein Anbietern aus Nordamerika und Asien überlassen. „Wir wollen zur europäischen Souveränität beitragen“, sagt der ehemalige Apple-Manager. Aleph Alpha wolle nicht nur europäische Datenschutzregeln beachten, sondern auch die Vielfalt des Kontinents berücksichtigen. „Mir ist wichtig, dass auch kleine Länder wie Rumänien und Estland sprachlich nicht abgehängt werden“, sagt er.
Andrulis findet Gehör. Für sein Start-up Aleph Alpha bekommt er nun die nötige Anschubfinanzierung: 5,3 Millionen Euro stellen Risikokapitalgeber bereit, angeführt vom Karlsruher Tech-Investor LEA Partners und von dem von ehemaligen Rocket-Internet-Managern gegründete Berliner Risikokapitalgeber 468 Capital. Auch der Berliner Gründer-Fonds Cavalry Ventures ist dabei.
Eine zunehmende Anzahl deutscher Start-ups arbeitet an Lösungen mit KI. In Berlin gründet etwa der Investor Merantix derzeit einen KI-Campus, der den Austausch in der Szene fördern soll. Auch die Universitäten verstärken die Forschung. Der Darmstädter KI-Professor Kristian Kersting will direkt mit Aleph Alpha kooperieren. „Europa braucht Leuchtturmprojekte“, sagt er. Andrulis packe das Thema an. „Er strahlt die Vision aus und will etwas schaffen“, sagt Kersting.
Projekt mit der Bundesdruckerei
Offenbar trauen auch die Investoren Andrulis zu, sein ambitioniertes Ziel erreichen zu können. Denn der Gründer ist kein Frischling. Bereits 2014 gründete der Wirtschaftsingenieur in Heidelberg sein erstes KI-Unternehmen, das sich unter anderem mit Bilderkennung für autonome Fahrzeuge beschäftigte.
2016 wechselten Andrulis und große Teile des Teams zu Apple. Dort leitete er Teams für Sonderprojekte, zu denen bei Apple angeblich selbstfahrende Autos gehören. Später wechselte er in die Weiterentwicklung des Sprachassistenten Siri.
„Ich habe allerdings festgestellt, dass Management in einem Konzern nicht zu meinen größten Stärken gehört“, sagt Andrulis. Er sei regelmäßig zwischen seiner Heimat Deutschland, der Apple-Zentrale in Kalifornien sowie Standorten in Großbritannien und Israel unterwegs gewesen, habe sich zudem bei Apple mit Konzernpolitik und häufigen Umstrukturierungen herumschlagen müssen. „In einem Konzern arbeiten viele Leute vor allem an der eigenen Karriere. Mir geht es aber um die Inhalte“, sagt er. Daher will er wieder ein eigenes Unternehmen aufbauen.
Als große erste Anwender für Aleph Alpha sieht Andrulis staatliche Stellen. Sie hätten ein Interesse an Datenschutz – und daran, dass Wertschöpfung in Europa erfolge. Damit will der Gründer auch dem US-Konzern Palantir Konkurrenz machen.
So läuft ein Projekt mit der Bundesdruckerei. Die neue Generation der KI, die dank großer Datenmengen ohne spezifisches Training in verschiedenen Anwendungsbereichen eingesetzt werden könne, sei „für ein digitales Deutschland von größter Bedeutung“, sagt Bundesdruckerei-Innovationsmanagerin Franziska Brecht.
Ein Demonstrationsprojekt soll dabei helfen, die Antworten auf Parlamentarische Anfragen zu formulieren. Die offiziellen Auskunftsersuchen der Abgeordneten binden bislang viel Kapazität in den Ministerien. Die KI formuliert aus einem Textbeginn und einigen Stichwörtern einen sinnvollen Text über die Bund-Länder-Beziehungen. Dafür nutzt Aleph Alpha die Daten der Website KleineAnfragen.de, die Tausende solcher Texte digitalisiert hat.
Die Bundesdruckerei sieht das Projekt als Beitrag zur digitalen Souveränität: „Die Zusammenarbeit ergänzt sich sehr gut: Aleph Alpha mit innovativen KI-Technologien, die Bundesdruckerei als IT-Sicherheitsunternehmen des Bundes mit Expertise in der Anwendung dieser Technologien und dem sicheren Hosting“, meint Brecht.
Künftig will Gründer Andrulis auch stärker mit Unternehmen und Mittelständlern zusammenarbeiten – auch bei der Bilderkennung: So kann die KI in Worten beschreiben, was sie sieht.
Weitere Finanzierung nötig
Dazu braucht es starke Rechenkapazitäten. „Den aktuellen Stand der OpenAI-Technik GPT-3 nachzubauen ist an sich nicht sehr schwer. Aber es kostet sicherlich fünf bis 20 Millionen Euro – ohne Ausgaben für die Daten“, prognostiziert Andrulis. Bislang sieht er das deutsche Sprachmodell noch nicht ganz auf der Höhe von GPT-3.
Das Training der Nachfolgegeneration GPT-4 könne sogar 100 Millionen Euro verschlingen, erwartet der Gründer. „Das Schwierigste wird dann aber sein, die Technologie so in eine Anwendung zu bringen, dass wir einen Unterschied machen können.“ Denkbar sei auch der Aufbau eines eigenen Rechenzentrums in Heidelberg. Dabei könnte es auch zu Kooperationen kommen. Der KI-Professor Kersting hofft beispielsweise, dass gemeinsam mit der Industrie der Aufbau von Rechenzentren möglich wird.
Für seine ambitionierten Pläne baut Andrulis derzeit ein Team auf. „Man kann eine Weltklasse-KI-Innovation nicht erzwingen, indem man das Team einfach größer macht. Es kommt darauf an, eine überschaubare Anzahl wirklich guter Leute zu holen“, sagt er. Seine Erwartung: Wenn sich in der Szene herumspreche, woran sein Unternehmen arbeitet, werde das talentierte Leute überzeugen. Derzeit arbeiten bereits 13 Menschen für das Start-up, in 18 Monaten sollen es 30 sein.
Bis dahin hofft Andrulis auch auf eine zweite Finanzierungsrunde. Um die 100 Millionen Euro seien dann nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben, meint er. Dabei will er bevorzugt europäische Investoren an Bord holen.
Unmöglich erscheint das nicht. Schließlich haben sich mehrere Investoren auf die Fahne geschrieben, Projekte zur europäischen Souveränität zu unterstützen. „Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wertvoll es ist, Unternehmen wie Curevac unter europäischer Leitung zu haben“, sagte etwa Klaus Hommels kürzlich dem Handelsblatt. Er verwaltet mit Lakestar einen der größten Risikokapitalfonds im deutschsprachigen Raum.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.