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Investitionsrunde Gewinner statt Krisenverlierer: Reise-Start-up Omio sammelt 100 Millionen Dollar ein

Die Reiseplattform erhält frisches Kapital für die Expansion. Zugleich will Omio bei der EU-Kommission Auflagen für Staatshilfen bei der Bahn durchsetzen.
19.08.2020 - 08:30 Uhr Kommentieren
Die Coronakrise könnte Omios Expansion vorantreiben. In Deutschland konkurriert die Reiseplattform auch mit den Apps der Deutschen Bahn. Quelle: GoEuro
Reiseplattform Omio

Die Coronakrise könnte Omios Expansion vorantreiben. In Deutschland konkurriert die Reiseplattform auch mit den Apps der Deutschen Bahn.

(Foto: GoEuro)

Düsseldorf Die Berliner Reiseplattform Omio bereitet sich auf die Zeit nach der Coronakrise vor. Dazu hat das Start-up 100 Millionen US-Dollar von den bestehenden Investoren um Kinnevik, Temasek und Goldman Sachs und einigen neuen Geldgebern eingesammelt. Damit hat Omio bereits 400 Millionen Dollar an Kapital erhalten.

Die Meta-Suchmaschine, die bei Gründung noch GoEuro hieß, dürfte nach Branchenschätzungen längst zu den sogenannten Einhörnern zählen. Das sind Unternehmen, die mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet werden.

Omio will nach Angaben von Finanzchef Jan Kemper die Gelegenheit der Krise nutzen, andere Reiseplattformen zuzukaufen. Als interessante Regionen für das einst rein für den europäischen Markt gegründete Unternehmen nannte er Nord- und Südamerika sowie Südostasien. „Es geht darum, ein erweitertes Angebot auf die Plattform zu bekommen“, sagte Kemper dem Handelsblatt. Die Namen der neuen Investoren werden nicht genannt. Das Kapital soll über eine Wandelanleihe hereingeholt werden, sodass die Anteile der Altgesellschafter vorerst nicht verwässert werden.

Omio sieht sich als die führende Transport-Buchungsplattform Europas für Bus, Bahn und Flug. Sie verkauft Tickets und bietet Informationen rund ums Reisen an. Viel deutet nun darauf hin, dass das Unternehmen vom vermeintlichen Krisenverlierer zum Gewinner werden könnte, während Wettbewerber vom Markt verschwinden. Nach Monaten, in denen auch bei Omio nur Stornierungen eingingen, könnte die Expansion sogar schneller vorangehen als zuvor.

Erst im Januar hatte Omio bekanntgegeben, auch Bahn- und Busgesellschaften in den USA und Kanada ins Angebot zu nehmen. Zuvor kaufte das Berliner Start-up die australische Planungsplattform „Rome2rio“. Durch die Übernahme erhielt Omio mehr Informationen zum Suchverhalten von Menschen, die sich über Reiseoptionen informieren wollen.

„Man kann nicht einfach mit dem Produkt von vor der Krise weitermachen“

Kemper erklärte dem Handelsblatt, die jüngste Kapitalerhöhung werde nicht zur Deckung des akuten Finanzbedarfs im Zuge der Coronakrise benötigt. So musste Omio unter anderem stornierte Reisen im Wert eines „großen zweistelligen Millionenbetrags“ erstatten und teilweise vorfinanzieren.

„Mit der letzten Kapitalerhöhung aus dem Jahr 2018 hätten wir noch gut ein Jahr überwintern können“, sagte Kemper. Weil die Branche in der Pandemie aber noch „längst nicht aus dem Gröbsten heraus ist“, trage das frische Geld „zur Entspannung“ bei. Omio will zum 1. September alle 350 Mitarbeiter, die während der Coronakrise bis zu 90 Prozent in Kurzarbeit waren, voll zurückholen. Das Geschäft war zweitweise auf fast null eingebrochen.

Im Fokus stehe jetzt die Überarbeitung des Angebots, so Kemper, der vor anderthalb Jahren von Pro Sieben Sat1 als Finanzchef zu Omio kam. Reisende nutzten seit der Krise bevorzugt Apps, weil sich aufgrund des Infektionsrisikos weniger Menschen am Schalter oder Automaten in die Schlange stellen wollten. Die Nachfrage habe sich vom Flugzeug zu Bahn, Bus und anderen Verkehrsmitteln auf dem Land verschoben. Außerdem suchten Nutzer zusätzliche Informationen zu Reisewarnungen. „Man kann nicht einfach mit dem Produkt von vor der Krise weitermachen“, sagte Kemper.

Jüngste Neuerung ist der Travelindex, mit dem sich Interessierte über Reiserestriktionen weltweit informieren können. Kemper führt Beispiele an: „Bevor die Leute bei uns buchen, fragen sie jetzt im Kundenservice: Darf ich das überhaupt? Was passiert, wenn ich über ein anderes Land einreise? Welche Hygienevorschriften muss ich einhalten?“ Das werde auf absehbare Zeit ein Kernelement bleiben.

Bei der Weiterentwicklung des Angebots in Deutschland sieht sich Omio allerdings von der Deutschen Bahn ausgebremst. Ein Ärgernis in der Coronakrise: Die Bahn habe Informationen über die Auslastung ihrer Züge nicht weitergegeben. „Die Bahn hat in ihrer eigenen App gewarnt: Lieber Kunde, dieser Zug ist mit 60 Prozent ausgelastet, buche aufgrund des Infektionsrisikos lieber den nächsten“, sagt Kemper. Diese Information habe Omio aber nicht bekommen, um seine Nutzer zu schützen. „Da geht es nicht mehr nur um Wettbewerb, sondern auch ums Allgemeinwohl.“

Beschwerdebrief an EU-Wettbewerbskommissarin

Mit Blick auf die milliardenschwere Hilfe der Bundesregierung wendet sich die Firma nun gemeinsam mit anderen Reiseunternehmen an die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, die auch Wettbewerbskommissarin ist.

In einem Brief, der dem Handelsblatt vorliegt, beschweren sich die Mitglieder der Lobbygruppe Allrail (Alliance of Rail New Entrants): „Wir befürchten, dass die Covid-19-Maßnahmen nur staatlichen Eisenbahnen helfen, den Markt weiter verzerren und das Wachstum bei Wettbewerbern unumkehrbar und langfristig limitieren.“ Die Freigabe von Mitteln müsse an wettbewerbsfördernde Maßnahmen gekoppelt werden.

In Bezug auf Deutschland schreiben die Unterzeichner: Im Zuge einer Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG müssten strukturelle Veränderungen sichergestellt werden. Konkret fordern sie „die Stimulation eines Gebrauchtmarktes für Eisenbahnfahrzeuge, Zugang zu Passagierinformationen und Ticketverkäufen oder ein faires Verhalten bei Ausschreibungsverfahren für Regionalzüge.“

Zwar kann die Kommission über die konkreten Staatshilfen nicht entscheiden. Als staatliche Beihilfe müssen die Investitionen in die Bahn aber von der Kommission genehmigt werden, die den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt sicherstellen muss. „Die Lage ist sehr ernst. Die Marktöffnung selbst, die bei andere Verkehrsträger beflügelt hat, ist bei der Eisenbahn ernsthaft in Gefahr“, sagt Allrail-Generalsekretär Nick Brooks. Allrail ist ein Zusammenschluss junger Unternehmen, die sich als Konkurrenten der ehemaligen Staatsbahnen im Güter- und Personenverkehr verstehen.

„Die Gelder, die jetzt vergeben werden, sollten am Ende beim Kunden landen“, fordert Jan Kemper. „Aus unserer Sicht sollte das im Rahmen eines besseren Angebots über einen stärkeren Wettbewerb passieren.“

Teil der Lobbygruppe Allrail sind auch Omio-Konkurrent FromAtoB und das Münchener Start-up Flix Mobility, das den Bahn-Konkurrenten Flixtrain betreibt. Dessen Mitgründer André Schwämmlein hatte bereits Ende Juli im Handelsblatt angekündigt, eine Klage gegen die Bahn-Milliarden vor dem Europäischen Gerichtshof zu prüfen. Die Bahn könne die Hilfe der Bundesregierung nutzen, um das Beinahe-Monopol im Personenfernverkehr zu zementieren und private Wettbewerber auf der Schiene klein zu halten.

Die Vorwürfe gegen die Deutsche Bahn vonseiten der Start-ups an sich sind nicht neu. Das Bundeskartellamt geht dem Verdacht auf Missbrauch der Marktmacht durch die Deutsche Bahn bereits nach. Doch in der Coronakrise intensivieren die deutschen Reise-Start-ups ihren Austausch mit den Wettbewerbshütern auf EU-Ebene. In kaum einer Branche können sich junge deutsche Technologiefirmen bisher derart profilieren wie in der Reisebranche. Nun würfelt die Pandemie den Markt durcheinander, durchkreuzt ihre Wachstumspläne und bringt ihre Zukunftswetten in Gefahr.

Verkehrsdaten stark nachgefragt

Erst in der vergangenen Woche hatten die Spitzen der Start-ups Omio und Flixbus zusammen mit denen von GetYourGuide, Trivago und HomeToGo Beschwerden bei der EU über das Verhalten Googles angekündigt. Auch dabei geht es um datengetriebene Geschäftsmodelle und die Frage, wer welche Informationen einsehen, weitergeben und nutzen darf. Dazu sagte Flixbus-Chef Jochen Engert: „In Brüssel fühlen wir uns derzeit besser verstanden, weil sich Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager tief ins Thema eingearbeitet hat.“

Auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung weist ein großes Interesse an Verkehrs- und Echtzeitdaten aus. Ein Team um den Leiter des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Uni Tübingen, Bernhard Bookmann, untersuchte dabei den Zusammenhang zwischen der Öffnung von Regierung und Verwaltung und der Schaffung neuer Geschäftsmodelle. Verkehrsdaten gehören laut den befragten Kommunen zu den am häufigsten angeforderten Informationen.

Bisher laufen diese Anfragen jedoch ins Leere, weil die Kommunen sie nicht herausgeben dürfen oder können. Neue Regeln für offene Daten in Europa könnten das allerdings ändern, sagt Mitautor Michael Mangold: Nach der Überarbeitung der PSI-Richtlinie sollen nämlich öffentliche Unternehmen, nicht nur im Verkehrsbereich, künftig verpflichtet werden, ihre Daten in Echtzeit bereitzustellen. (Die Abkürzung PSI steht für „Re-use of Public Sector Information“, also die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors.)

Bis zum Juli 2021 muss die Entscheidung auf EU-Ebene in nationales Recht überführt werden. Inwiefern Ausnahmeregelungen für Unternehmen mit direkten Wettbewerbern geschaffen werden könnten, gilt noch als Auslegungsfrage. „Derartige Veränderungen sollten öffentlich diskutiert werden, die Gesetzesveränderung der EU wurde jedoch öffentlich nur in Fachkreisen wahrgenommen, die Öffentlichkeit hat davon nichts erfahren“, kritisiert Mangold.

Eine Debatte ist aus Sicht des Wissenschaftlers aber dringend notwendig: „Die Auswirkungen für die Wettbewerbsstellung dieser Kommunalunternehmen ist hierbei nicht geklärt, denn Privatunternehmen sind nicht zur Datenbereitstellung verpflichtet.“

Für Omio ist unklar, was diese Änderung zur Folge haben könnte. Unternehmensgründer Naren Shaam wollte mit der Plattform europäische Reisebuchungen deutlich einfacher machen. Aber auch für Omio war es ein mühseliger Prozess, über Jahre Verträge mit kommunalen Verkehrsunternehmen zu schließen und ihre Daten in eine Plattform zu integrieren. Auch in der Behebung dieser Eintrittsbarrieren und Schwierigkeiten liegen der Wert und der Vorsprung der Plattform gegenüber potenziellen neuen Marktteilnehmern.

Mehr: Kartellbeschwerde bei der EU – Deutsche Start-ups gegen Google.

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