iPhone-Betriebssystem iOS-Update: Entwickler wehren sich gegen Apples Anti-Tracking-Regeln

Nicht einmal jeder sechste Apple-Nutzer will sich tracken lassen.
San Francisco Apple hat nur ein Update gebraucht, um die globale Werbewirtschaft durchzuschütteln: Seit einigen Wochen dürfen Apps im mobilen Betriebssystem iOS nur noch Daten über Nutzer in anderen Programmen sammeln, wenn diese zugestimmt haben. „App Tracking Transparency“ (ATT) nennt der iPhone-Hersteller die Maßnahme.
„Apple entscheidet nicht. Wir überlassen es dem Nutzer, ob er getrackt werden will“, sagte Konzernchef Tim Cook dem Handelsblatt im Januar. Doch nur ein Bruchteil der Anwender stimmt bisher der Nachverfolgung quer durch Apps zu. Auch Google hat kürzlich auf seiner Entwicklerkonferenz I/O angekündigt, die Kontrolle über die Privatsphäre-Einstellungen auf Android-Smartphones zu vereinfachen.
Für Unternehmen, die mit Digitalwerbung Geld verdienen, ist das ein großes Problem. Je weniger Informationen sie über das Nutzerverhalten haben, desto weniger sind ihre Werbeplätze in den Millisekunden schnellen Auktionen der Online-Werbewelt wert.
Wem der Fokus auf Privatsphäre nützt und wem er schadet, ist aber nicht ganz klar: Einerseits rechnen Experten damit, dass Facebook als einer der größten Online-Werbekonzerne im laufenden Quartal rund sieben Prozent Werbeumsatz wegen ATT einbüßt. Im ersten Quartal meldete das Unternehmen Erlöse von mehr als 26 Milliarden Dollar, fast ausschließlich aus dem Anzeigengeschäft.
Andererseits profitieren Facebook und Google mehr als jeder andere von dem Ausweg, der App-Entwicklern mit Werbegeschäft bleibt: Zwischen eigenen Apps können sie iOS-Nutzer weiterhin verfolgen. Auch kleinere Unternehmen wie der Spieleentwickler Zynga wollen diesen Weg nutzen – etwa durch Zukäufe.
Für die Werbewirtschaft sind die Besitzer von iPhones und iPads besonders lukrativ, da diese im Durchschnitt wohlhabender als Nutzer von Googles Betriebssystem Android sind, dem einzigen großen Rivalen. Doch nicht einmal jeder sechste Apple-Nutzer will sich tracken lassen. Der Marktforscher Flurry Analytics schätzte die globale Zustimmungsrate auf gerade mal 15 Prozent.
Facebook sieht sich als möglicher Profiteur
Der Ausweg, der den Entwicklern bleibt: Zustimmen müssen die iOS-Nutzer nur, wenn unterschiedliche Firmen Daten austauschen. Unternehmen mit mehreren beliebten Apps können also das Nutzerverhalten von Apple-Kunden ganz gut durchleuchten.
Der Facebook-Konzern betreibt mit dem gleichnamigen Netzwerk, den Messengern WhatsApp und Instagram drei Plattformen mit jeweils mehr als einer Milliarde aktiven Nutzern. Google hat sogar neun Produkte, die diese Marke überspringen. Wer weiß, was derselbe Nutzer auf Gmail, Google Maps und YouTube macht, weiß schon ganz schön viel.
Facebook könne daher sogar gestärkt aus ATT hervorgehen, sagte Konzernchef Mark Zuckerberg im März: „Apples Änderungen könnten mehr Unternehmen auf unsere Plattformen bringen, weil es für sie schwerer wird, mit ihren eigenen Daten neue Nutzer zu werben.”
Auch kleinere Unternehmen versuchen solche „Content-Festungen“ zu errichten, wie es Eric Seufert, Gründer der Branchenberatung Heracles, nennt. „Es ist fressen oder gefressen werden“, sagt Bernard Kim, Präsident des Spieleentwicklers Zynga dem Handelsblatt: „Wir setzen schon seit einigen Jahren auf anorganisches Wachstum als einen Pfeiler unserer Strategie“ – das umfasst auch den aggressiven Ausbau seines Werbenetzwerks durch Zukäufe.
Zynga war einst für das Facebook-Spiel „Farmville“ bekannt. Als das soziale Netzwerk das Wachstum der Bauernhof-Simulation einschränkte, geriet Zynga einige Jahre in die Krise. Unter Kim und CEO Frank Gibeau schaffte Zynga ab 2016 erst die Wende mit Glücksspielen wie „Zynga Poker“ oder „Social Slots“.

Wenn unterschiedliche Firmen Daten austauschen, müssen auch iOS-Nutzer Tracking zustimmen. Davon könnte zum Beispiel Facebook profitieren.
Dann baute das Unternehmen ein breites Portfolio an Smartphone-Spielen im „Casual“ und „Hypercasual“-Bereich auf – nette Nebenbeschäftigungen für die U-Bahn oder das Wartezimmer wie das Scrabble-artige „Words with Friends“, das Geschicklichkeitsspiel „High Heels“ oder das Puzzlespiel „Toy Blast“.
Letzteres hat das türkische Spielestudio Peak Games entwickelt, das Zynga im Juni 2020 für 1,8 Milliarden Dollar übernommen hat. Zwei Monate später schlug Zynga wieder in der Türkei zu und übernahm für 168 Millionen Dollar die Mehrheit an Rollic, das zum Beispiel „Tangle Master 3D“ entwickelt hat . Dabei muss ein Spieler mit seinem Fingern auf seinem Display virtuelle Knoten entwirren.
„Wir wollen eine große, diverse Spielerschaft aufbauen“, sagt Kim. „Words with Friends“ erreicht eher ältere Frauen, High Heels junge Spielerinnen, die Casino-Spiele eher Männer. Das Ziel ist es, Werbekunden in den eigenen Apps verschiedene Zielgruppen anbieten zu können.
Viele deutsche Spielefirmen wurden verkauft
Die 100 Millionen Smartphone-Nutzer, die monatlich Zynga-Spiele spielen, reichen aber nicht aus. Anfang Mai hat das Unternehmen aus San Francisco die Übernahme der App-Marketing-Plattform Chartboost für 250 Millionen Dollar bekanntgegeben. Diese ist auf sogenannte programmatische Werbung, also den vollautomatischen Verkauf von Werbeflächen in Echtzeit, und die Monetarisierung von Handyspielen spezialisiert.
Chartboost soll einerseits die Werbeeinnahmen in Zyngas eigenen Apps steigern. Das Tochterunternehmen solle andererseits aber relativ autonom bleiben und seine bisherigen Kunden weiter betreuen. Dadurch erhalte Zynga Zugang zu 700 Millionen weiteren Nutzern, sagt Kim.
Nicht nur der Spieleentwickler ist dabei, eine „Content-Festung“ zu errichten: Das Werbeunternehmen AppLovin aus Palo Alto übernahm im Februar die Berliner App-Marketing-Plattform Adjust, angeblich für knapp eine Milliarde Dollar. Im April ging AppLovin dann mit einer Bewertung von 24 Milliarden Dollar an die Börse.
Die Konsolidierung der Branche habe schon vor Apples Tracking-Update begonnen, sagt Zynga-Präsident Kim. „Es beschleunigt diese Deals aber spürbar.“
Wie Adjust waren auch die Größten der deutschen Spielebranche in der Welt von Fressen und Gefressenwerden zuletzt meist die Beute: Mit Goodgame Studios, Innogames oder Wooga wurden einige der einst größten deutschen Entwickler teilweise oder ganz an ausländische Unternehmen verkauft. Wer zu klein ist, eine eigene Festung zu bauen, muss in einer fremden Unterschlupf suchen.
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