Kommentar Europa braucht mehr eigene Chipfabriken

Die Halbleiterhersteller kommen mit der Produktion kaum hinterher. Naturkatastrophen haben zuletzt für weitere Verzögerungen gesorgt.
München Eis, Feuer und Wasser: Die Chipindustrie kapituliert vor den Naturgewalten. Erst legten Schneestürme Halbleiter-Fabriken in Texas lahm. Vorige Woche legte ein Brand ein Werk in Japan still. Nun ist die Produktion in Taiwan bedroht, weil Wasser knapp wird. Derweil stauen sich im Suezkanal die Frachter.
Die durch und durch globalisierte Lieferkette in der Chipbranche wird durcheinandergewirbelt wie selten zuvor. Das ist umso schlimmer, als die Hersteller angesichts des Auftragsbooms mit der Produktion ohnehin kaum hinterherkommen. Rund um den Globus pausieren die Autofabriken. Um mehr als zehn Prozent soll der Umsatz der Branche dieses Jahr klettern, schätzen Marktforscher.
So schlimm das Chaos für Hersteller und Kunden ist: Für Europa stellt es eine riesige Chance dar. Die Lieferengpässe beweisen, dass die Fertigung näher an die Kunden heranrücken muss.
Die EU und die einzelnen Regierungen sollten gemeinsam alle Hebel in Bewegung setzen, jetzt neue Chipfabriken anzusiedeln.
Das käme allen entgegen: den Kunden, den Herstellern und natürlich ganz Europa, weil auch hochwertige Jobs entstünden.
Chip-Hersteller wollen sich in Europa engagieren
Neue Chipfabriken in Europa sind kein Hirngespinst. Momentan stammt zwar nicht einmal jeder zehnte Halbleiter weltweit aus der EU, 80 Prozent dagegen aus Fernost.
Die führenden Konzerne selbst aber sind durchaus bereit, sich in Europa zu engagieren. Der neue Intel-Chef, Pat Gelsinger, hat gerade zugesagt, auf dem Kontinent zu bauen. Bislang produziert der Weltmarktführer aus dem Silicon Valley in Europa lediglich in Irland. Jetzt gilt es, Gelsinger mit attraktiven Konditionen zu möglichst umfangreichen Investitionen zu bewegen.
Es darf aber nicht bei Intel bleiben. Europa muss sich bemühen, mit TSMC und Samsung auch jene beiden Chipkonzerne anzulocken, die über die weltweit fortschrittlichsten Produktionsverfahren verfügen. TSMC aus Taiwan ist der weltgrößte Auftragsfertiger, Samsung aus Südkorea der führende Speicherchiphersteller.
Selten gab es so viele gute Argumente für Europa. Natürlich, ein Brand wie beim japanischen Autochip-Lieferanten Renesas ist Pech. Das lässt sich auch in der EU nicht ausschließen.
Aber Erdbeben und Wirbelstürme, wie sie in Taiwan und Japan die Produktion immer wieder unterbrechen, sind in Europa eher selten.
Standortvorteil: Europa ist politisch stabil
Wichtiger noch: Europa ist politisch stabil. Das sieht in Ostasien ganz anders aus. Taiwan wird von der Volksrepublik China bedrängt. Südkorea sieht sich mit einem unberechenbaren Diktator im Norden konfrontiert. Kommt es zu einer militärischen Auseinandersetzung, steht die Industrieproduktion weltweit schnell vor dem Kollaps, weil die Chips ausgehen. Die Fabriken in den beiden Ländern stellen rund 40 Prozent aller Halbleiter weltweit her.
Wer nah an den Kunden in der EU produziert, der muss sich zudem um Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Zölle keine Sorgen machen. Das ist relevant, seit der ehemalige US-Präsident Donald Trump die Chips als politisches Instrument entdeckt hat.
Dazu kommt: Europa braucht immer mehr Chips. Die Halbleiterbranche ist auch deshalb so global, weil sich ein Werk für eine einzelne Region bisher oft nicht gelohnt hat. Das dürfte sich aber ändern.
Schließlich brauchen sowohl die einheimischen Autobauer als auch Industrieanlagen-Hersteller in Europa immer mehr von den elektronischen Bauteilen. Ein Elektrofahrzeug benötigt ein Vielfaches an Chips im Vergleich zu einem Auto mit Verbrennungsmotor. Deshalb braucht die Industrie ohnehin zwingend neue Werke.
Subventionen könnten die Ansiedlung erleichtern
Zugegeben, es gibt gute Gründe, warum Konzerne wie TSMC und Samsung bislang vor allem in ihrer asiatischen Heimat neue Fabriken bauen. Dort können sie Skalenvorteile nutzen. Die Lieferanten sind vor Ort, gut ausgebildete Mitarbeiter ebenso. In Taiwan und Südkorea bekommen sie bis zu dreimal so hohe staatliche Zuschüsse wie in den USA und der EU.
Gleichwohl, TSMC hat sich entschlossen, ein erstes Werk in den USA zu bauen. Auch Samsung schaut sich nach einem Standort in Amerika um. Das geschieht einerseits auf politischen Druck hin, andererseits sind die USA inzwischen eher bereit, die Subventionen aufzustocken.
Nun sollten die Kunden, die gerade verzweifelt auf Chips warten, darauf drängen, dass die Hersteller auch in Europa investieren. Die Politik wiederum ist gefordert, zügig jene Milliarden bereitzustellen, die Brüssel und Berlin bereits für die Branche in Aussicht gestellt haben. Das würde es auch europäischen Anbietern wie Infineon und NXP erleichtern, künftig stärker in der Heimat zu investieren.
Wenn alles gut läuft, wird es den europäischen Chip-Kunden in ein paar Jahren egal sein, falls mal wieder ein Containerschiff im Wüstensturm vom Kurs abkommt oder ein Reinraum in Japan verkohlt.
Mehr: Milliarden für Chipwerke: Amerika und Europa starten die Aufholjagd gegenüber Asien
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