Konferenz Das sind die sieben wichtigsten Erkenntnisse der Digitalkonferenz DLD

Auf der Digitalkonferenz in München herrscht Aufbruchstimmung.
München Die Grundstimmung bei der DLD-Konferenz in München war positiv wie lange nicht. Klar, die Konferenz des Burda-Konzerns bringt alljährlich kurz vor dem Davoser Gipfeltreffen Berufsoptimisten zusammen – Start-up-Unternehmer mit Risikokapitalgebern, Wissenschaftler mit Aktivisten, Studenten mit emeritierten Geistesgrößen. Doch diesmal, knapp zwei Wochen vor dem Brexit, sorgte ausgerechnet ein Gast aus Brüssel für zusätzliche Aufbruchstimmung. Hier finden Sie die sieben wichtigsten Lehren aus der DLD:
1. Europa hat das Rennen um die Digitalisierung noch nicht verloren.
Der EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton vertrat seine Chefin Ursula von der Leyen auf der DLD-Bühne. In freier Rede bewies der frühere Orange-Chef eine solide Fachkenntnis, die viele Teilnehmer überraschte – und Optimismus. „Wir mögen als Europa die erste Welle der Daten-Revolution verpasst haben, aber ich werde alles dafür tun, dass wir die zweite Welle nicht verpassen: die B2B-Daten“, versprach der Franzose. Die EU werde dabei globale Standards setzen: „Sie können auf mich zählen. Wir werden sehr deutlich sein bei den Regeln, denen Unternehmen bei der Datenverarbeitung in der EU unterliegen.“
Weitgehende Einigkeit herrschte drüber, dass Europa die verlorenen Schlachten von gestern nicht erneut schlagen sollte. Der britische Sachbuchautor Andrew Keen brachte es auf den Punkt: Europa könne nur verlieren, wenn es versuche, bei Produkten wie Browsern, Smartphones und Suchmaschinen hinter den USA und China herzulaufen.
Stattdessen müsse sich Europa auf eigene Stärken besinnen: Aus seiner Sicht habe die EU Chancen, bei der Regulierung digitaler Produkte Standards zu setzen – und zwar anders als China auf demokratische Weise.
Dass Europa für diese Entwicklung nicht nur auf Start-ups setzen muss, sondern auch auf Großkonzerne, zeigte Infineon-Chef Reinhard Ploss am Montag: „Wir haben eine sehr gute Chance, das nächste Level zu definieren. Die Datenschutzgrundverordnung ist ein guter Beginn. Jetzt dürfen wir nicht nur über Beschränkungen für Daten nachdenken, sondern auch darüber, wie wir die Zukunft gestalten können, welche Probleme wir lösen können.“
2. Fortschritt im Quantencomputing ist nicht zu unterschätzen
Kommissar Breton lehnte sich allerdings in seiner Keynote noch weiter aus dem Fenster. Europa werde nicht nur bei B2B-Daten vorne sein, sondern auch bei einer der Zukunftstechnologien schlechthin. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass wir in den nächsten fünf, zehn oder 15 Jahren einen ausgereiften Quantencomputer haben. Aber innerhalb der nächsten fünf Jahre müssen wir in der Lage sein, die Entwicklung deutlich zu beschleunigen“, sagte er.
Doch was Quantumcomputing eigentlich ist, war vielen DLD-Teilnehmern laut einer Blitzumfrage im Saal gar nicht wirklich klar. Ian Walmsley vom Imperial College London erklärte: „Quantencomputing ist etwas ganz Neues. Es ist sind nicht einfach Computer auf Steroiden.“ Der Unterschied zum konventionellen Computer sei so groß wie zwischen dem PC und einem Rechenschieber.
Quantancomputer können Berechnungen ausführen, die auf herkömmlichen Computern viele Jahre dauern würden oder gar nicht möglich wären. Das ist vor allem für Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Gleichungen mit vielen Unbekannten relevant.
Unternehmen sehen trotz der frühen Phase bereits Chancen, die Europa in dem Feld hat. Ein Beispiel: Quantencomputer könnten die Technik sein, die emissionslose Flugzeuge überhaupt möglich macht – weil sie anders nicht zu berechnen seien, sagte Grazia Vittadini vom europäischen Flugzeugbauer Airbus voraus.
Auch Merck-Chef Stefan Oschmann outete sich als Quanten-Fan. Der Menschheit eröffneten sich Chancen für beispiellosen Fortschritt, meinte er. Die Pharmaindustrie ist besonders erpicht auf diese Entwicklung. Denn die neuartigen Computer sollen Berechnungen ausführen können, die auf herkömmlichen Computern viele Jahre dauern würden oder gar nicht möglich wären – das soll unter anderem die medizinische Forschung revolutionieren.
Doch es stünden noch schwierige Aufgaben bevor, sagte der Chef des Darmstädter Pharma- und Technologiekonzerns: technische Probleme, Energieverbrauch und auch womöglich auch heute noch unerkannte ethische Fragen.
Heike Riehl, Wissenschaftlerin bei IBM, warb bei den Unternehmern im Publikum dafür, dennoch schon heute mit Quantencomputern zu arbeiten. Der Konzern habe mehrere der Maschinen, die über eine Cloud auch für Partner verfügbar sind. Dennoch: Derzeit ist die Anwendung für kurzfristige Geschäftsmodelle noch zu weit weg. Aber die DLD-Teilnehmer werden die Technik sicherlich beobachten – und versuchen, die Physik dahinter zu verstehen.
3. Jenseits der Internet-Konzerne: Das Netz braucht eine Reform
Der Auftritt der philippinischen Journalistin Maria Ressa dürfte zu den emotionalsten Momenten des diesjährigen DLD gehören: „Wir haben die Rolle der Kontrolleure an die Tech-Konzerne übergeben“, stellte sie fest. Die Frau schilderte, wie sie gegen den umstrittenen Präsidenten Rodrigo Duterta anschreibt – und dabei ständigen Drohungen ausgesetzt ist. Konzerne wie Facebook förderten den Aufstieg autoritärer Politiker, klagte sie. Die Zuhörer reagierten mit stehendem Applaus.
Der Ton für eines der großen Themen der Konferenz war somit gesetzt: Wie reparieren wir das Internet? Wie lässt sich das Problem mit Hass, Hetze und Manipulation lösen? Die Kritik an den großen Internet-Konzernen war nicht zu übersehen, die Sehnsucht nach einem Neustart für gewissen Teile des Netzes in vielen Diskussionsrunden greifbar.
Wikipedia-Mitgründer Jack Wales brachte die Kritik an Facebook und Twitter auf den Punkt: „Wenn die Öffentlichkeit überzeugt ist, dass dein Geschäftsmodell die westliche Zivilisation zerstört, ist es ein langfristiges Problem für die Marke.“ Er stellte sein eigenes Gegenmodell vor: WT.Social (WikiTribune Social). Der Twitter-Konkurrent soll ohne Werbung auskommen – und sich damit leisten können, auf Klicks durch Fake-News und Hasspostings zu verzichten.
Vergleichsweise harmlos kam der Auftritt des eher im Niedergang befindlichen Social-Messangers Snapchat, Evan Spiegel, daher: Er philosophierte mit dem kalifornischen Künstler Alex Israel über die Möglichkeiten, mit Videoschnipseln und erweiterter Realität kreativ zu werden. Bemerkenswert sein begeistertes Lob für TikTok. Auf Nachfrage wagte er sogar die Prognose, die App könne größer als Facebooks Instagram werden.
Die Kritik an den großen Netzwerken ist nicht neu. Und Facebook verspricht seit Jahren, sich zu bessern. Die schwere Aufgabe, das Image aufzupolieren, hat Nick Clegg. Der Cheflobbyist des sozialen Netzwerks hat in München Facebooks Umgang mit politischer Werbung verteidigt.
Facebook sei inzwischen sehr transparent bei Werbeinhalten. In der Anzeigenbibliothek des Netzwerks ließe sich genau nachverfolgen, welche Partei welcher Nutzergruppe welche Werbung zeige, sagte er am letzten Konferenztag in München: „Es ist jetzt unmöglich, politische Anzeigen im Verborgenen zu platzieren.“
Womöglich jedoch wird Facebook eines Tages ganz abgelöst. Die wohl umfangreichste Zukunftsvisionen abseits der großen Plattformen brachte Dominic Williams mit. Der Programmierer will Blockchain-Technik nutzen, um ein radikal offenes Netz zu schaffen. Seine Stiftung Dfinity arbeitet dafür an einem völlig neuen Internetprotokoll, das Speicherplatz fernab der großen Cloud-Anbieter schaffen soll. In dieser neuartigen Cloud sollen auch neuartige Plattformen entstehen, als Alternativen zu Netzwerken wie LinkedIn und Facebook zum Beispiel.
4. Die deutsche Start-up-Szene setzt auf Nachhaltigkeit
Eine der großen Ankündigungen bei der Konferenz war, dass sich einige der führenden Risikokapitalgeber in Deutschland dazu verpflichten, klimaneutral zu werden. Bislang lag ausgerechnet die zukunftsverliebte Szene hinter den Ankündigungen großer Konzerne wie Microsoft hinterher.
Nun machen sie ernst: Es gehe bei der Initiative um rechtlich bindende Verträge, sagte Earlybird-Partner Fabian Heilemann. „Wenn ein Gründer sich nicht um seine Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft kümmert, sind wir nicht daran interessiert, unser Geld in seine Firma zu stecken“, sagt er. Diese Botschaft dürfte ankommen, immerhin ist Earlybird einer der großen Finanziers der Szene in Deutschland. Hinter der im Herbst 2019 gestarteten Initiative Leaders for Climate Action (LFCA) standen bisher über 100 Digitalunternehmen, jetzt kommen ihre Geldgeber dazu. Das Besondere dabei: Die Organisation ist aus der deutschen Start-up-Szene heraus entstanden.
Einem dürfte das nicht radikal genug sein: dem Friedensnobelpreisträger und Mikrokredit-Pionier Muhammad Yunus. Er forderte einen radikalen Wandel des Wirtschaftssystems: „Es ist eine tickende Zeitbombe, sozial, politisch, wirtschaftlich. Es kann so nicht weitergehen!“ In die gegengesetzte Richtung argumentierte der MIT-Ökonom Andrew McAfee: Es sei gerade der Kapitalismus, der bei kluger Regulierung einen Anreiz biete, ressourcenschonend zu wirtschaften, argumentierte er. Genug Input für die Zuhörer, sich eine eigene Meinung zu bilden.
5. Digitale Innovationen für Geschäftskunden werden immer wichtiger
Bei den Kapitalgebern ist ein Thema total out: E-Commerce. Die Online-Shops, die noch vor einigen Jahren massenhaft Investorengelder anzogen, spielten in München kaum noch eine Rolle. Von Zalando oder Home24 war nicht die Rede, selbst Otto-Manager Alexander Klauke handelte das Thema im Gespräch mit der Ex-EU-Kommissarin Viviane Reding kurz ab, um dann auf Datensicherheit zu sprechen zu kommen. Ein Großteil der Investoren interessiert sich aktuell eher für B2B-Modelle, also Anwendungen für Unternehmen.
Deep Nishar vom Softbank Vision Fund sieht vier aussichtsreiche Investitionsfelder für die kommenden Jahre: Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge (IoT), Roboter – nach Industrierobotern auch Geräte für den Privathaushalt -, und Blockchain.
McKinsey-Partner Nico Mohr meinte: „Für die Digitalisierung der Industrie ist eine perfekte Kombination aus digitaler Technologie und Domain-Know-how notwendig.“ Das heißt: Man führt das Wissen der Experten für KI und Datenanalyse – meist kommen die von Start-ups – und das der Maschinenbauer und Elektroingenieure aus der Industrie zusammen. Gerade da habe Deutschland eine große Stärke.
Das zeigte sich ganz konkret: Am Montagmittag gab die B2B-Einkaufsplattform Scoutbee bekannt, was das Handelsblatt bereits am frühen Morgen veröffentlicht hatte: ein Investment über 60 Millionen Euro. Das Geld soll unter anderem helfen, den Sprung nach Amerika zu schaffen.
Klar ist: B2B-Gründer können sich die Geldgeber gerade aussuchen.
6. Anonymisierte Daten müssen leichter nutzbar werden
So kritisch viele Facebooks Umgang mit Daten bewerten, klar ist: Europa und auch Deutschland brauchen eine Strategie für die digitalen Netzwerke. Zumindest in der Politik ist diese Erkenntnis bereits angekommen. „Wenn wir uns nicht ändern, werden wir eine digitale Kolonie sein – entweder von den USA oder von China“, sagte EU-Parlamentarier Axel Voss. Er forderte, Brüssel müsse viel aktiver werden, damit Europa eigene substanzielle Internet-Unternehmen aufbaut.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wiederum plädierte eindringlich dafür, anonymisierte Patientendaten für die Forschung nutzbar zu machen. „Wenn tausende Patienten mit Diabetes, Krebs oder Demenz ihre Daten verfügbar machten, könnten wir daraus lernen. Daten können Menschen heilen“, sagte er.
Paradox ist es, dass Menschen den deutschen Behörden einerseits misstrauten, andererseits teilten sie Gesundheitsdaten von Fitnesstrackern bedenkenlos mit US-Unternehmen wie Google und Apple. Aus seinen Vorschlägen zur anonymisierten Datennutzung werde gleich ein „großer, großer Skandal“, ärgerte er sich.
Die Übernahme des Fitnessuhren-Herstellers Fitbit durch Google sei jedoch kein Aufreger gewesen: „Solange es dieses grundsätzliche Vertrauen in große US-Konzerne gibt und das grundsätzliche Misstrauen gegenüber dem Staat, der die Datennutzung organisiert, werden wir in Deutschland und Europa keinen Weg finden, konkurrenzfähig zu sein.“
Noch einen Schritt weiter ging Stefan Vilsmeier, Gründer des Münchner Medizintechnologie-Start-ups Brainlab: „Daten nicht zu nutzen, tötet Patienten in großem Maßstab“, sagte er.
Doch bislang hatten Unternehmen wenig Chancen, sie durften viele Daten schlichtweg nicht nutzen. Das Problem ist mittlerweile in der Europa-Politik angekommen: EU-Parlamentarierer Voss will die Datenschutzgrundverordnung so ändern, dass anonymisierte Daten leichter nutzbar werden.
7. …und außerdem: Es gibt ihn noch, den Goodie-Bag
In der S-Bahn zum Flughafen „Franz-Josef Strauß“ sind die Teilnehmer der DLD einfach zu erkennen: Sie tragen einen signalroten Rucksack. Der Goodie-Bag ist beliebt wie eh und je. „Mein Sohn liebt die Dinger, die kriegt er jedes Mal“, verriet ein Manager eines großen deutschen Handelskonzerns. Wertvollster Inhalt in diesem Jahr ist ein Buch des Speakers Andrew McAfee. Dazu gibt es eine Gummi-Ente vom Sponsor-Lufthansa.
Dass es die Gratis-Tasche bei der vom Burda-Konzern veranstalteten Konferenz noch gibt ist keine Selbstverständlichkeit. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, das in dieser Woche stattfindet, verzichtet erstmals auf den Goodie-Bag. Dabei war dieser ein echter Werbeträger für die High-Class-Veranstaltung. Doch WEF-Mastermind Klaus Schwab hat sich vorgenommen, künftig komplett auf Plastik zu verzichten. Ein Opfer sind die Geschenke.
Bei der DLD ist der Öko-Trend hingegen sichtbar nur an einer Stelle angekommen: Der Partner BMW setzt für den Shuttle-Service auch sein Elektromobil i3 ein. Ansonsten gab es beim Catering weiterhin auch Fleisch, an der Kaffeebar Pappbecher – und der Sponsor Red Bull karrte kühlschrankweise Aludosen an.
Mehr: Die nächste Welle der Digitalisierung gilt der Industrie. Es geht um eine Transformation, die niemand besser gestalten könnte als die Deutschen.
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