Lieferengpässe Tesla macht es vor: Wie die Autoindustrie ihre Chipstrategie ändert

Ford will künftig eigene Chips entwickeln und direkt vom Auftragsfertiger Globalfoundries beziehen.
München Silizium statt Aluminium: Für Autobauer wird die Chipversorgung zur Überlebensfrage. Immer mehr Marken sichern sich den Nachschub inzwischen direkt bei den Herstellern. Ford geht noch einen Schritt weiter: Der US-Konzern kündigte gerade erst an, selbst entwickelte Bauelemente künftig unmittelbar von Globalfoundries zu beziehen, einem der größten Auftragsfertiger der Halbleiterindustrie weltweit.
Ford übergeht damit nicht nur Autozulieferer wie Bosch, Continental oder ZF. Die Amerikaner versuchen auch, ohne große Autochip-Spezialisten wie Infineon oder NXP auszukommen.
Tesla war in den vergangenen Jahren der Vorreiter bei eigenen Chips. In diesen Tagen ziehen immer mehr Autohersteller nach. Einerseits, um künftig Lieferengpässe zu vermeiden, die derzeit das Geschäft bremsen. Andererseits versuchen sie, sich damit von den Wettbewerbern abzusetzen.
„Die Autohersteller müssen mehr Kontrolle über ihre Chipversorgung bekommen“, sagt Peter Fintl, Halbleiterexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini. Jeder Autohersteller prüfe momentan, ob oder wie er Chip-Know-how ins Unternehmen holen könne.
Dabei gehen die Konzerne unterschiedliche Wege. Ford setzt mehr auf selbst entwickelte Halbleiter, die künftig in Partnerschaft mit dem Auftragsfertiger Globalfoundries entstehen sollen. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir neue Wege der Zusammenarbeit mit Zulieferern gehen“, so Ford-Vorstandschef Jim Farley. So könnte der Konzern den Kunden Funktionen bieten, die sie „in Zukunft am meisten schätzen werden“. Diese Vereinbarung sei „nur der Anfang und ein wichtiger Teil unseres Plans, Schlüsseltechnologien und -fähigkeiten vertikal zu integrieren“.
General Motors will Chipvielfalt reduzieren
Rivale General Motors sucht dagegen den Schulterschluss mit etablierten Autochipspezialisten. Dazu gehören der Dax-Konzern Infineon und dessen europäische Konkurrenten NXP und ST Microelectronics. Mit diesen würden gemeinsam neue Halbleiter entwickelt. Ziel sei es, künftig mit nur drei Chipfamilien auszukommen und damit die Typenvielfalt um 95 Prozent zu reduzieren, so GM-Präsident Mark Reuss. In die einzelnen Bauelemente sollen stattdessen mehr Funktionen integriert werden.

Die Autohersteller suchen den direkten Kontakt zu Chipherstellern, um künftig Lieferengpässe zu vermeiden.
Der Chipmangel macht den Autokonzernen seit Monaten weltweit zu schaffen. So brachen die Zulassungen in Deutschland im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Drittel auf knapp 179.000 Fahrzeuge ein. In China, dem größten Automarkt weltweit, ging der Absatz deshalb um fast zehn Prozent zurück: auf 2,3 Millionen.
Die Marktforscher von Alix Partners gehen davon aus, dass dieses Jahr weltweit wegen der Lieferengpässe 7,7 Millionen Autos weniger produziert werden als geplant. Den Automarken entgehe dadurch ein Umsatz von 210 Milliarden Dollar.
Der Elektroautopionier Tesla setzt seit Jahren auf selbst entwickelte Chips und enge Partnerschaften mit Halbleiterproduzenten wie dem Auftragsfertiger TSMC oder ST Microelectronics.
Die Eigenentwicklung ist zwar eine riskante Angelegenheit, setzt hohe technische Kompetenz voraus – und zahlt sich erst bei einem bestimmen Produktionsvolumen aus. Sie macht den Konzern aber auch flexibler, um bei Engpässen reagieren zu können. „Tesla zeigt, dass es ein Wettbewerbsvorteil sein kann, wenn ein Hersteller auf eigens designte Halbleiter setzt“, meint Capgemini-Berater Fintl.
Was die deutschen Autobauer vorhaben
Ähnliche Nachrichten wie von Ford und GM dürfte es bald wohl auch von deutschen Autokonzernen geben. „Wir streben strategische Partnerschaften mit Chipherstellern in Asien an“, sagte unlängst VW-Chef Herbert Diess. Zudem arbeite der Konzern an eigenen Halbleitern: „Wir machen da gute Fortschritte. Wir gehen mit eigenen Chips in die nächste Software- und Elektronikarchitektur, die künftig vor allem im Wolfsburger Trinity-Projekt sichtbar wird.“ Trinity nennt sich eine geplante Elektro-Modellreihe von VW.
Die ersten selbst entwickelten Halbleiter für Trinity sollen ab 2026 verwendet werden und Diess zufolge sehr fahrzeugspezifisch sein: „Heutige Halbleiter kommen zu großen Teilen aus dem Bereich der Consumer Electronics oder der Telekommunikation. Das erklärt auch den Mangel: Wir müssen die vorhandenen Chipmengen mit anderen Branchen teilen“, erklärte der Manager. „Mit eigenen, auf die Autobranche zugeschnittenen Chips können wir zudem weitere Wettbewerbsvorteile erreichen.“

Europas größter Autohersteller will in seine Elektroauto-Reihe Trinity selbst entwickelte Chips einbauen.
Daimler geht derweil stärker auf die Halbleiterhersteller zu: „Wir werden uns ähnlich wie bei Batteriezellen deutlich tiefer in der Lieferkette engagieren“, sagte Entwicklungsvorstand Markus Schäfer im Spätsommer auf der Mobilitätsmesse IAA. So werde es künftig engere geschäftliche Beziehungen mit den Chipproduzenten direkt geben und nicht nur mit dazwischengeschalteten Autozulieferern. Mit den Chipfirmen werde auch über deren „Kapazitätsausbau und geografische Ansiedlung“ gesprochen.
Eigenes Know-how aufzubauen dürfte allerdings nicht ganz einfach werden, fürchtet Berater Fintl: „Das Schwierigste ist, die richtigen Chipdesigner zu bekommen.“ Die Experten sind weltweit gefragt.
Infineon investiert deutlich mehr als vergangenes Jahr
Ganz ohne die etablierten Chipkonzerne würden die Autobauer auch in Zukunft nicht auskommen, meint der Capgemini-Halbleiterexperte. Zumal die Hersteller durchaus bemüht sind, die Lieferengpässe endlich zu überwinden. „Für die nächsten Jahre konnten wir mit verschiedenen unserer Fertigungspartner substanzielle zusätzliche Kapazitäten vereinbaren“, sagte jüngst Infineon-Chef Reinhard Ploss.
Die Münchener produzieren nur einen Teil ihrer Ware in eigenen Werken, für den Rest greifen sie auf Globalfoundries oder TSMC zurück. Zugleich will Infineon im gerade begonnenen Geschäftsjahr 2,4 Milliarden Euro in Fabriken und Maschinen stecken. Das sind 800 Millionen mehr als im abgelaufenen Geschäftsjahr.
Egal was Autohersteller und Chipkonzerne in diesen Tagen vereinbaren: Die Halbleiter werden erst einmal knapp bleiben. Denn die Foundries würden vor allem in hochmoderne Technologien investieren, wie sie für Handys oder Computer gebraucht werden, so Infineon-Produktionsvorstand Jochen Hanebeck. Die seien für die Fahrzeuge aber gar nicht so sehr gefragt.
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