Lieferengpässe „Wir brauchen mehr Verbindlichkeit“: Elektronikverband nimmt Chip-Kunden in die Pflicht

Die Produktion im Ausland schaffe eine Kostenlücke für TSMC – Japan hat es geschafft, dem taiwanischen Unternehmen diese Sorge zu nehmen.
München Keine Chips weit und breit: Halbleiter sind Mangelware. Kurzfristig wird sich daran nichts ändern. Auf lange Sicht aber können die Kunden selbst dazu beitragen, dass sie verlässlicher beliefert werden. „Die hiesigen Abnehmerindustrien müssen mehr Verbindlichkeit bei ihren Bestellungen zeigen, wenn sie hier Chipfertigung haben wollen“, sagte Gunther Kegel, Präsident des Branchenverbands ZVEI, dem Handelsblatt.
Seit Monaten sind die Chipfabriken weltweit ausgelastet. Wer heute ordert, wartet im Schnitt fünfeinhalb Monate auf seine Chips. In ganz Europa stehen daher immer wieder Autofabriken still, auch viele andere Branchen auf dem Kontinent leiden unter der Knappheit. Es fehlt in der Regel an Nachschub aus den Werken in Fernost.
An dieser Abhängigkeit von Asien werde sich erst etwas ändern, wenn sich die Kunden verpflichten, in Europa einzukaufen, betonte Kegel. Nur dann rechneten sich die milliardenschweren Investitionen für die Chiphersteller in der Region. Der ZVEI ist das Sprachrohr der Halbleiterindustrie hierzulande. Zu den Mitgliedern gehören große Chipkonzerne wie Infineon, NXP oder Bosch.
In den vergangenen 20 Jahren sind die meisten Chipfabriken in Asien entstanden. Das lag einerseits an üppiger öffentlicher Förderung. Andererseits seien die Hersteller ihren Kunden gefolgt, erläuterte Kegel. „Denn die PCs und die Unterhaltungselektronik haben wir in Europa schon länger weitgehend verloren.“
Computerhersteller und Smartphone-Produzenten sind heute die größten Käufer der Halbleiter – und die sitzen überwiegend in China und Vietnam.
Europas Chiphunger wächst
Allerdings werden Chips für die in Europa verbliebenen Industrien inzwischen immer wichtiger. Daher steigt auch das Interesse an einer zuverlässigen Versorgung mit den Bauelementen vor der eigenen Haustür. So stecken in einem Auto heute im Schnitt Halbleiter im Wert von 750 Dollar, in vier Jahren sollen es bereits mehr als 1000 Dollar sein. Die EU-Kommission hat sich daher das Ziel gesetzt, den Anteil Europas an der Chipproduktion von unter zehn auf 20 Prozent zu steigern.
Erste Anzeichen gibt es, dass die Chipkunden bereit sind, langfristige Verträge mit den Herstellern abzuschließen. So hat BMW zugesagt, jedes Jahr mehrere Millionen Chips des Münchener Anbieters Inova abzunehmen, die vom Auftragsfertiger Globalfoundries produziert werden. Der US-Konzern Globalfoundries betreibt große Werke in Dresden.

Der Automobilzulieferer hat in Dresden dieses Jahr die erste neue Chipfabrik in Deutschland seit 15 Jahren eröffnet.
Der Autohersteller Renault wird seine Leistungshalbleiter künftig direkt vom Chipkonzern ST Microelectronics beziehen. Die Genfer Firma unterhält zahlreiche Werke in Frankreich und Italien. „Diese Partnerschaft sichert uns die künftige Versorgung mit wichtigen Bauteilen“, sagte Renault-Chef Luca de Meo, als er den Deal verkündete.
ST Microelectronics kann angesichts der Abnahmegarantie mehr investieren. Das Unternehmen werde „von den erheblichen jährlichen Stückzahlen profitieren, die für die Leistungsmodule und Transistoren von 2026 bis 2030 garantiert werden“, heißt es bei ST.
ZVEI-Funktionär Kegel sieht aber auch die EU und die einzelnen Staaten in der Pflicht, attraktive Pakete für die Chiphersteller zu schnüren, damit sie sich in Europa ansiedeln. Denn ohne Subventionen baut niemand in Europa. Schließlich werden Halbleiterwerke in Asien mit bis zu 40 Prozent gefördert. Kegel: „Mehrheiten zu organisieren kostet Kraft und Zeit. Schneller als die anderen werden wir in Europa daher nie sein. Uns bleibt nur, es besser zu machen.“
In jüngster Zeit haben sich die großen Chipkonzerne samt und sonders für Standorte in Übersee entschieden. Mit Ausnahme von Bosch hat in den vergangenen 15 Jahren kein Unternehmen eine neue Chipfabrik in Deutschland gebaut. Zuletzt hatte der Auftragsfertiger Globalfoundries Investitionen in den USA und Singapur verkündet. Dabei betreibt der US-Konzern aktuell zwei Werke in Dresden und hätte auch in Sachsen erweitern können.
Im November hat Samsung, die Nummer zwei der Branche, einen Werksneubau für 17 Milliarden Dollar in den USA angekündigt. Kurz zuvor hatte Texas Instruments bekannt gegeben, bis zu 30 Milliarden Dollar in seiner Heimat in neue Fabriken zu stecken.
Dem ZVEI fehlt die Willkommenskultur hierzulande
Das zeigt: An den Kosten liegt es nicht, die sind insbesondere im Stadtstaat Singapur nicht niedriger als in Europa. Doch dort werde der Chipindustrie der rote Teppich ausgerollt, meint Kegel: „Die haben eine Willkommenskultur, wie wir sie auch brauchen.“
Kegel kennt die Halbleiterindustrie in- und auswendig. Der Manager führt den Mannheimer Sensorhersteller Pepperl und Fuchs.
Der weltgrößte Auftragsfertiger, TSMC, denkt zumindest über eine Fabrik in Deutschland nach und spricht darüber mit der Bundesregierung. Das Management verhandele auch bereits mit mehreren Kunden, sagte der Verwaltungsratsvorsitzende Mark Liu.

Deutschlands größter Chipfertiger hofft auf verbindliche Bestellungen der Kunden.
Neben TSMC prüft Branchenführer Intel Investitionen in Europa. Der neue Intel-Chef Pat Gelsinger hat im Frühjahr angekündigt, in der EU mehrere Fabriken bauen zu wollen. Eine endgültige Entscheidung darüber wollte der Manager bis Ende des Jahres treffen. In Europa ringt Gelsinger aber noch mit Regierungen und potenziellen Kunden um die Bedingungen der Investitionen.
In Amerika hingegen laufen bereits die Bauarbeiten für milliardenschwere, neue Intel-Werke. Selbst mit Malaysia wurde sich der Manager schnell einig: Für sieben Milliarden Dollar will der Ingenieur eine Fabrik für Chipverpackung in Penang errichten, kündigte Intel Mitte des Monats an.
Bei Deutschlands größtem Chiphersteller Infineon sind sie überzeugt, dass sich Abnahmegarantien für Hersteller und Abnehmer auszahlen. Denn so könnten die Anbieter vorausschauend investieren und damit die passenden Mengen bereitstellen. „Es muss für unsere Kunden nicht unbedingt teurer werden, wenn sie sich langfristig auf Liefermengen festlegen. Schließlich kostet es auch viel Geld, Steuergeräte im Flugzeug zu transportieren, um in letzter Minute die Produktion zu retten“, sagte jüngst Peter Schiefer, Chef der Autodivision, dem Handelsblatt.
Die Kunden der Chipindustrie sollten sich schon aus Eigeninteresse stärker engagieren. Denn die Lieferengpässe werden nicht von selbst verschwinden. ZVEI-Präsident Kegel: „Eine gewisse Entspannung ist für die nächsten Monate zu erwarten. Aber ganz normalisieren wird sich die Lage 2022 nicht.“
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