Lilium-Konkurrent Seriengründer Gadowski investiert 100 Millionen Dollar in Flugtaxis aus China

Das Autoflight-Fluggerät für den Personentransport soll mit vier Sitzen ausgestattet werden. Hier ist es im Modell zu sehen.
München, Düsseldorf Ein deutscher Investor macht den nächsten Riesen-Deal im umkämpften Flugtaxi-Segment: Lukasz Gadowski steckt mit Team Global 100 Millionen Dollar in die chinesische Firma Autoflight, wie das Handelsblatt exklusiv erfuhr. Die Finanzierungsmeldung kommt kurz nach dem Jungfernflug ihres Fluggeräts V1500M. Und sie ist insbesondere nach den jüngsten harten Regulierungsmaßnahmen im Tech-Sektor in China bemerkenswert.
Zahlreiche neue Regulierungsvorschriften haben den chinesischen Technologiesektor und die Investoren zuletzt verunsichert. Chinas Staatsführung sieht Beteiligungen ausländischer Investoren in sensiblen Bereichen zunehmend kritisch. Sie sorgen sich, dass heikle Daten und Knowhow in die falschen Hände geraten könnten. Die Vorschriften scheinen darum nur schwer kalkulierbar.
Autoflight-Gründer und Geschäftsführer Yu Tian zeigt sich dennoch unbesorgt: „Von den neuen Datensicherheitsgesetzen sind wir nicht betroffen, weil wir keine Daten sammeln“, sagt er. Er sehe im Bereich der elektrisch angetriebenen Senkrechtstarter (eVTOL) „keine Probleme bei ausländischen Investments“. Einzige Einschränkung sei, dass ein ausländischer Investor nicht mehr als 50 Prozent halten dürfe.
Für die Firma mit Hauptsitz in Schanghai wurden dennoch Vorkehrungen getroffen. „Wir investieren nicht direkt in das Unternehmen in China, sondern in eine VIE-Gesellschaft auf den Cayman Islands“, sagt Lukasz Gadowski. Dabei handelt es sich um einen Offshoremantel, der im Zweifelsfall keinerlei Zugriff auf das operative Geschäft in China hat.
Die meisten chinesischen Unternehmen, die im Ausland an die Börse gehen, wählen diese Konstruktion, um Restriktionen für ausländische Investoren in bestimmten Bereichen zu umgehen. Chinas Aufseher überprüfen die VIE-Konstruktionen derzeit kritisch. Welche Konsequenzen sie ziehen, ist noch nicht absehbar.
„Vertretbares Risiko“
Gadowski sieht darin „ein vertretbares Risiko.“ Insbesondere bei der geplanten globalen Expansion könnte es angesichts der wachsenden Spannungen im Verhältnis mit China zudem weitere Restriktionen geben, weiß er. „Dabei gibt es durchaus das Risiko, dass wir unter Exportkontrollbeschränkungen fallen.“
Gadowski hat den Dax-Konzern Delivery Hero mitgegründet und ist ein erfahrener Investor. Im Portfolio seiner Berliner Technologie-Holding Team Global befinden sich auch weitere Flugtaxi-Hersteller. Denn er ist von dem Segment überzeugt, hält verschiedene regionale Marktführer für möglich: Das Ziel sei, „Massenindividualverkehr in der Luft zu ermöglichen“. In Europa setzt Gadowski auf Volocopter aus Bruchsal. In den USA ist er an Archer aus dem kalifornischen Palo Alto beteiligt.

Der Chinese gründete Autoflight im Jahr 2017.
Die 360-Mitarbeiter-Firma Autoflight ist für Team Global das bisher größte Einzelinvestment. Auch das zeigt, wie überzeugt Gadowski trotz aller Risiken von seiner Sache ist. „Ich habe in den vergangenen drei Jahren gehört, was Tian versprochen und erreicht hat. Und was andere angekündigt und geschafft haben. Dadurch ist Vertrauen entstanden“, sagt er. Dazu muss man wissen, dass anderen Gründern in dem Segment zu ehrgeizige Ziele unterstellt werden.
Modell könnte vergleichsweise leicht zertifizierbar sein
Autoflight will mit einem Viersitzer antreten, der langfristig autonom fliegen soll. Das technische Konzept für den Octokopter V1500M gilt als traditionell: Das Fluggerät hat acht Propeller für den Aufstieg oben und zwei Push-Propeller für den Vorwärtsflug hinten. Anders als die börsennotierten Joby Aviation aus Kalifornien und Lilium aus Weßling kommt es ohne Schwenkmechanismus aus. „Das Konzept mit statischen Propellern ist einfacher und dürfte leichter zu zertifizieren sein“, sagt ein Drohnenexperte, der hier nicht namentlich genannt werden will.
Zweifel hegt man in der Szene, ob es eine chinesische Firma in dem Prozess nicht noch schwerer hat als Wettbewerber. Die Zertifizierung gilt als Knackpunkt für die Flugtaxi-Hersteller.
Yu Tian hat Autoflight 2017 mit viel Ingenieurserfahrung gestartet. Mit der Firma Yuneec hatte er bereits eine Massenproduktion für Modellflieger (sogenannte Schaumwaffeln) aufgebaut und sie millionenfach verkauft. Später stieg das Unternehmen ins Leichtflugzeuggeschäft ein. Im Frühjahr 2011 erschütterte ein dramatischer Zwischenfall das Unternehmen: Ein Testpilot stürzte ab.
Der tragische Unfall bei Yuneec sei damals „auf technisches und menschliches Versagen zurückzuführen“ gewesen, betont das Unternehmen in einer Stellungnahme. Dieser sei in einer umfangreichen Untersuchung aufgearbeitet worden. Der Vorfall habe Yu schwer getroffen.
Mit Blick auf Autoflight betont der chinesische Gründer deshalb, dass Sicherheit das oberste Gebot sei. Starten will das Unternehmen darum vorsichtig: „von klein nach groß, von Fracht zu bemannt“. In China hat Autoflight bereits eine unbemannte Lieferdrohne im Einsatz. Diese liefert beispielsweise Meeresfrüchte per Transportflug von der Insel Zhoushan nach Schanghai. Im laufenden Jahr soll die Lieferdrohne fünf Millionen Dollar Umsatz einfliegen.
Ende 2020 hatte die chinesische Zivilluftfahrtbehörde bereits 13 zivile unbemannte Testbasen in Betrieb genommen und erstmals senkrecht startende und landende unbemannte Starrflügler für den Transport von Logistikgütern über große Entfernungen zu Inseln erlaubt. In China wird der Luftraum sehr streng verwaltet. Allerdings gibt es Pilotprojekte, den Tiefflugbereich zu öffnen, um Innovationen in der Branche zu fördern.
Das Modell V400 Albatross kann bis zu 100 Kilogramm transportieren und erreicht nach Unternehmensangaben rein elektrisch eine Reichweite von 210 Kilometern. Bisher fliegt das Unternehmen in unbewohnten Gegenden, 10.000 Flugstunden soll es schon gesammelt haben. „Nächstes Jahr planen wir mit Umsätzen zwischen 20 und 30 Millionen Dollar“, sagt der CEO.

Der Seriengründer und Investor hat neben Autoflight weitere Flugtaxi-Unternehmen im Portfolio: Volocopter aus Bruchsal und Archer aus Palo Alto, Kalifornien.
Einen Marktvorteil erhoffen sich die Partner auch durch vergleichsweise niedrige Produktionskosten: „Wir haben Kostenvorteile durch das einfache Design und weil wir alle Kernkomponenten selbst bauen“, sagt Yu. Auch die Produktion in China dürfte eine Rolle spielen. „Die Region Schanghai ist der beste Ort, um eine Lieferkette aufzubauen“, sagt der CEO, der in den USA studiert und vor der Pandemie in München gearbeitet hat.
Als nächste Schritte für seine Firma nennt er den Aufbau einer Fabrik nahe Schanghai, die Einstellung eines Teams in München, das für die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA verantwortlich sein wird und den erfolgreichen Transitionsflug, also den Übergang vom Aufstieg in die Vorwärtsbewegung. Mittelfristig soll in Nordamerika eine weitere Niederlassung mit Testzentrum aufgebaut werden.
500 Millionen Dollar Eigenkapital werden noch benötigt
Den weiteren Eigenkapitalbedarf bis zum Start der Personentransporte schätzt Gadowski auf eine halbe Milliarde Dollar. Mehrere Konkurrenten haben sich ähnliche Summen mit einem Spac-Börsengang beschafft. Zur Bewertung von Autoflight wurde Stillschweigen vereinbart. Auch zur Höhe früherer Investments ist nichts bekannt. Beteiligt sind Angel-Investoren und TDK Ventures, der Venture-Arm des gleichnamigen japanischen Elektronikherstellers.
Die weiteren Finanzierungschancen für Autoflight hängen wohl auch von China ab. Laut der Nachrichtenagentur Reuters haben zuletzt viele Private-Equity- und Wagniskapitalfonds wegen der Regulierungsmaßnahmen ihre Investments umgeschichtet: Statt bei datenintensiven und verbraucherorientierten Internetunternehmen engagieren sie sich demnach nun stärker im Halbleitersektor und im Bereich erneuerbarer Energien. Aber die Situation kann sich wieder ändern.
„Investoren in China müssen sich heute in einem wechselnden politischen Umfeld zurechtfinden und sicherstellen, dass Investmenthypothesen mit regulatorischen Bedingungen im Einklang stehen“, sagt Akio Tanaka, der für die Wagniskapitalfirma Headline von Peking aus investiert. „Das heißt nicht, dass es keine Investitionsmöglichkeiten mehr in China gibt, aber wir müssen selektiver sein.“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.