Linux-Anbieter Melissa Di Donato managt 30.000 Entwickler – und strebt mit Suse wohl aufs Börsenparkett

Als CEO von Suse strebt Melissa Di Donato einen Börsengang an.
Düsseldorf Insidern zufolge wird sie bis zum Frühsommer einen Milliardenkonzern an die Frankfurter Börse führen, den bisher kaum jemand kennt: Melissa Di Donato (47), seit zwei Jahren CEO des Nürnberger Softwareunternehmens Suse. „Wir sind wahrscheinlich das wichtigste Techunternehmen, von dem Sie noch nie gehört haben“, sagt sie.
„Wir halten die Wirtschaft am Laufen: Neun der zehn weltgrößten Händler arbeiten mit uns, die 14 größten Unternehmen im Sektor Luft- und Raumfahrt, 13 der 15 größten Pharmaunternehmen und die zehn größten Autohersteller“, sagt die Konzernchefin. Suse steckt etwa in Fahrzeugbetriebssystemen und Mammografiegeräten – doch nirgends steht Suse drauf.
Die britisch-amerikanische Managerin räumt allerdings ein, dass sie das selbst nicht wusste, bevor sie der schwedische Finanzinvestor EQT anheuerte, dem Suse gehört. Damals verantworte Di Donato beim größten europäischen Softwareunternehmen SAP für den Bereich S/4Hana den weltweiten Umsatz, Gewinn und die Kundenzufriedenheit. Zwar arbeitet auch SAP mit Suses Linux-Distribution, aber über andere Anwender hatte sie sich nie Gedanken gemacht.
Dass die 1992 gegründete Firma bisher wenig Aufmerksamkeit bekam, mag auch am Open-Source-Prinzip liegen, auf dem das Geschäftsmodell beruht. Dabei geht es um Code, den Entwickler im Netz fortlaufend gemeinsam weiterentwickeln und kostenlos zur Verfügung stellen. Das klingt nicht nach einer lukrativen Geschäftsgrundlage. Doch das Gegenteil ist der Fall.
„Große Konzerne können nicht einfach Software aus dem Netz runterladen und in unternehmenskritischen Systemen einsetzen“, erklärt die Suse-Chefin. Ihre Mitarbeiter prüfen und zertifizieren die Software und sorgen dafür, dass sie bei den Kunden funktioniert und aktualisiert wird.
Nur wenige öffentliche Zahlen
Doch auch die Innovation aus dem Netz ist kein Selbstläufer. Genau genommen ist Melissa Di Donato nicht nur CEO für fast 2000 Mitarbeiter. Sie managt gewissermaßen auch die Zusammenarbeit mit einer Community von 30.000 Linux-Entwicklern, wie in Firmenkreisen geschätzt wird. „Wir geben fortlaufend etwas zurück. Die Community bekommt freie Downloads, Schulungen, Zertifikate, und wir stellen immer wieder Vordenker aus dieser Gemeinschaft ein“, sagt Di Donato. „Ich versuche, bei diesen Ingenieuren den Wunsch zu wecken, immer mehr Anwendungen auf Suse zu entwickeln.“
Im abgelaufenen Geschäftsjahr bis Ende Oktober hat Suse mehr als 450 Millionen Dollar umgesetzt. Bisher sind nur wenige Zahlen öffentlich. Nach Firmenangaben sind die Umsätze im Vorjahresvergleich aber im zweistelligen Prozentbereich gewachsen. Der Gewinn soll sich ähnlich entwickelt haben.
Dabei profitiert Suse vom Corona-bedingten Digitalisierungsschub, aber wohl auch von den Fähigkeiten seiner Chefin. Der frühere IBM-Manager Larry Hirst CBE kennt sie aus der gemeinsamen Zeit dort und sagt: „Melissa kann in einem Raum mit IT-Technikern sitzen und versteht alles, was sie sagen, und dann in einen Raum mit Leuten treten, die keine Ahnung von Technologie haben, und ihnen die Sache leicht verständlich erklären.“
Es sind Qualitäten, die auch mit ihrem Werdegang zu erklären sind. Während ihres Studiums in Politikwissenschaften, Russisch und internationaler Wirtschaft wollte Di Donato US-Botschafterin in Russland werden. Dann führte sie ein Tipp ihres Dekans in die Technologiebranche, wo sie das Coden lernte.
Di Donato will Rollenklischees brechen
In ihren ersten hundert Amtstagen bei Suse hat Di Donato 97 Kunden besucht, um sie besser zu verstehen. Nun war sie seit einem Jahr nicht einmal mehr am Nürnberger Standort. Der Lockdown hält sie im heimischen Arbeitszimmer in London fest.
„Die Transformation, durch die alle Unternehmen gerade gehen, ist eigentlich eine große Unternehmensmetamorphose“, sagt sie, von dort zugeschaltet in einer Videoschalte. „Ich will, dass wir die innovativste Firma der Welt werden, für die digitale Transformation, aber noch mehr für die Transformation der Unternehmen.“ Nachts hielte sie die Frage neuer Technologien wach. Sie wolle an der Spitze der Entwicklung stehen.
Hinter Di Donato drapiert steht unter anderem ein Branchenmagazin mit ihrem Gesicht auf dem Cover und ein von ihr geschriebenes Kinderbuch. Die dreifache Mutter will Rollenklischees brechen, die später die Berufswahl beeinflussen. „Wie kacken Meerjungfrauen?“ richtet sich an Mädchen, die die Welt hinterfragen und große Träume haben, heißt es im Klappentext.
Di Donato selbst dürfte die erste Frau werden, die in Deutschland einen Milliardenkonzern an die Börse bringt. Finanzkreise halten eine Bewertung von bis zu neun Milliarden Euro für möglich. Das wäre ein großer Erfolg für den Investor EQT, der Suse Mitte 2018 für nur 2,5 Milliarden Dollar von Micro Focus übernommen hat – und für Melissa Di Donato.
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