Neeva-Gründer Sridhar Ramaswamy Ex-Google-Manager will eigene werbefreie Suchmaschine bauen, für die Nutzer fünf Dollar im Monat zahlen

Der Gründer von Neeva fordert seinen alten Arbeitgeber Google heraus.
Lissabon Viele Jahre lang hat Sridhar Ramaswamy auf Bühnen gestanden und das Gegenteil von dem erzählt, was er jetzt zu sagen hat. Zum Beispiel vor fünf Jahren in Las Vegas: Dank Googles werbebasiertem Geschäftsmodell seien Konsumenten besser über Unternehmen und Produkte informiert, sagte er damals bei der Money20/20-Konferenz: „Und wir als Konsumenten treffen dadurch informierte Entscheidungen, was wir kaufen.“
Beim Web-Summit in Lissabon klingt es fast, als wolle er sich dafür entschuldigen, als er sagt: „Menschen ändern sich.“ Er habe seine Meinung zum Anzeigenmodell geändert.
Sridhar Ramaswamy war bei Google dafür verantwortlich, dass die Suchmaschine zur Geldmaschine wurde. In seinen mehr als 15 Jahren bei dem US-Technologiekonzern hat er es bis zum SVP Ads & Commerce gebracht.
Das heißt, er war unter anderem für die Werbung in der Suchmaschine verantwortlich, für Anzeigen bei Youtube und für Google Analytics, das Tracking-Tool, mit dem Werbekunden die Wirksamkeit ihrer Anzeigen nachvollziehen können. Man kann auch sagen: Er hat bei Google all das gemanagt, was nach seiner heutigen Auffassung in einer Suchmaschine nichts zu suchen hat.
Anfang 2019 hat Sridhar Ramaswamy zusammen mit Vivek Raghunathan Neeva gegründet. In ihrer gleichnamigen Suchmaschine soll es keine Werbung geben. Sie soll ein eigenes Inhaltsverzeichnis (Index) für das Internet anbieten und so gut sein, dass Menschen fünf Dollar im Monat dafür bezahlen.
Immer mehr Menschen hadern mit werbefinanzierten Geschäftsmodellen
„Uns motiviert der Wunsch, ein wirklich einfacheres und besseres Produkt zu entwickeln“, sagt Ramaswamy im Gespräch mit dem Handelsblatt am Rande der Lissaboner Technologiekonferenz. Dafür seien die Gründungsprinzipien fundamental wichtig: Neeva sei und bleibe eine werbefreie, datenschutzsichere Suchmaschine, die von den Nutzern bezahlt wird. „Das ist unverhandelbar.“
Immer mehr Menschen hadern mit werbefinanzierten Geschäftsmodellen wie denen von Google, Facebook und Tiktok. Der wohl meistgenannte Grund: Datenschutz. Die Unternehmen müssen viele Informationen über Nutzer sammeln, um ihnen genau die Werbebotschaften anzuzeigen, die sie zum Klicken und Kaufen bringen. Bemerkenswert ist, dass Sridhar Ramaswamy auf diese Gruppe als erste Nutzer setzt – aber fest daran glaubt, dass sein Produkt bald viel mehr Menschen überzeugen wird.
„Verschiedene Geschäftsmodelle können zu unterschiedlichen Formen von Innovationen führen“, sagt der Ex-Google-Manager: „Wir können mit Neeva eine Reihe von Sachen anbieten, die Google nie in den Sinn kämen.“
Ein Beispiel kann er schon präsentieren: Wer in das Eingabefeld bei Neeva zu tippen beginnt, dem schlägt die Suchmaschine unmittelbar Internetadressen vor, beispielsweise amazon.com. „Das würde Google nie machen, weil es eine Menge Geld damit verlieren würde“, sagt Ramaswamy. Google verdient nämlich nur, wenn Nutzer an Werbung vorbeikommen.
Fast 70 Millionen Euro eingesammelt
Bei Neeva sollen Nutzer auf der Suche nach Produkten auch verlässlichere Informationen bekommen, etwa durch Testberichte. „Nutzer können uns vertrauen, weil sie uns dafür bezahlen, dass wir nur für sie arbeiten“, sagt Ramaswamy. Im Bereich Shopping schwebt ihm auch eine Art Preis-Alarm vor, der Nutzer informiert, wann der beste Zeitpunkt ist, um beim Onlineshopping zuzuschlagen. Und wenn Nutzer nach Reisezielen suchen, will er ihnen mehr Bilder zeigen. „Mit Text kann man mehr Geld verdienen“, sagt er – aber wer eine Ferienwohnung suche, wolle doch vor allem sehen, wie es dort aussieht.
Aber all das ist noch in weiter Ferne. Bisher ist Neeva in einer Testphase noch kostenfrei – und ausschließlich in den USA verfügbar.
Die beiden Neeva-Gründer sind nicht die Einzigen, die das Bezahlmodell als bessere Grundlage für eine Suchmaschine halten. Auch das aus einem Forschungsprojekt entstandene Berliner Start-up Xayn baut an einer Such-App, die sich langfristig durch bezahlpflichtige Funktionen finanzieren soll.
Gründer und CEO Leif-Nissen Lundbæk will dabei eine Suchmaschine bauen, die einerseits hochpersonalisiert und andererseits datenschutzkonform ist. Möglich wird das durch den Ansatz des dezentralen Lernens, bei dem die Verarbeitung von persönlichen Daten ausschließlich auf dem Endgerät des Nutzers stattfindet. Für die nächsten Entwicklungsschritte hat die Firma zehn Millionen Euro von Wagniskapitalinvestoren aufgenommen.
Neeva ist da sogar schon weiter. Es hat bei bekannten Investmentfirmen fast 70 Millionen Euro eingesammelt. Das Geld kommt unter anderem von Sequoia und der bereits 1965 gegründeten Wagniskapitalfirma Greylock, bei der Ramaswamy nach seinem Abschied von Google vor drei Jahren als Partner eingestiegen ist. Zu den bekanntesten Investments der Firma zählen Facebook und Instagram, die Krypto-Handelsplattform Coinbase und Aurora, eine der gehyptesten Firmen im Bereich der selbstfahrenden Fahrzeuge. Im Beirat von Neeva sitzen unter anderem der LinkedIn-Gründer Reid Hoffman sowie die frühere Google-Amerika-Chefin und Ex-CEO des Ahnungsforschungsunternehmens Ancestry.com, Margo Georgiadis.
Weitere Manager wechseln von Google zu Neeva
Zudem hat Ramaswamy eine Reihe von Experten überzeugt, in das derzeit etwa 65 Mitarbeiter zählende Neeva-Team einzusteigen. Udi Manber beispielsweise, der vom „Wall Street Journal“ schon als „Such-Genie“ bezeichnet wurde. Er hat unter anderem acht Jahre lang bei Google den Bereich Suche geleitet und zuvor Amazons A9-Lab gegründet, in dem Such- und Inserat-Technologien entwickelt werden. Der Ex-Google-Bereichsleiter für den Chrome-Browser, Darin Fisher, wechselte Anfang des Jahres nach 16 Jahren bei Google zu Neeva.
Ramaswamy weiß, dass solche Abwerbe-Erfolge seinen ehemaligen Arbeitgeber ärgern. Genau wie seine öffentlichen Auftritte wie jetzt beim Web-Summit, bei denen er auch über die Nachteile von Googles Anzeigengeschäft spricht.
„Einige Leute sind nicht glücklich, dass ich Neeva gestartet habe“, sagt er. „Es geht nicht um einzelne Personen oder einzelne Firmen, es geht um Prinzipien“, sagt er. „Und ich glaube einfach nicht, dass ein werbebasiertes Geschäftsmodell gut für die Gesellschaft ist.“
Wie weit er mit seinem eigenen Ansatz kommt, ist trotz der ersten Erfolge nicht zu sagen. „Es ist schwer, überhaupt Aufmerksamkeit zu erzeugen, wenn man de facto versucht, eine Zwei-Billionen-Dollar-Firma auszustechen“, sagt er selbst. Vor ihm sind schon viele daran gescheitert.
Neben den hohen Erwartungen von Investoren und Mitarbeitern mache er sich selbst am meisten Druck, sagt Ramaswamy. Und er setze intern hohe Ziele, zu denen er nur so viel sagen will: „Wir müssen nächstes Jahr einige Hunderttausend aktive Nutzer gewinnen, einige davon als zahlende Abonnenten. Und wir müssen unsere Dienste in Europa anbieten.“
Immerhin: Ganz ausstechen muss Ramaswamy Google so oder so nicht. Dank des Abo-Modells kann Neeva schon mit einem kleinen Marktanteil eine große Firma werden.
Mehr: Diese neuen Suchmaschinen wollen mit Google konkurrieren
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.