Neuer dezentraler Standard Dominic Williams will mit dem Internet-Computer die Vorherrschaft von Amazon und Facebook brechen

„Der Internet-Computer ist wohl eine der weltweit komplexesten und faszinierendsten Technologieunternehmungen der Gegenwart.“
Düsseldorf Entwickler, Programmierer und Technikfans auf der ganzen Welt haben lange darauf gewartet: An diesem Freitagabend startet der erste sogenannte Internet-Computer. „Ich bin aufgeregt“, sagt Dominic Williams, Gründer der Stiftung Dfinity, die den Internet-Computer entwickelt hat.
Fünf Jahre lang arbeitete der Engländer mit einem Top-Team von Dfinity an dem Projekt, immer wieder musste die Einführung verschoben werden. Das Unterfangen sei „ungeheuerlich schwierig“ und basiere auf „außerordentlicher Mathematik“, sagt Williams. „Ich kann es kaum glauben, dass wir so ein komplexes Biest so weit gebracht haben.“
Schließlich soll die Technologie nicht weniger als die Machtverhältnisse im Internet neu ordnen. „In fünf Jahren kennt uns jeder, in zehn Jahren ist jedem klar, dass wir gewonnen haben, und in 20 Jahren werden wir der Standard sein“, prophezeit Williams.
Hinter den großen Worten steckt einige Expertise – und viel Geld: Risikokapitalgeber wie Andreessen Horowitz oder Hedgefonds investierten 102 Millionen Dollar in das Konzept.
Fast 200 Programmierer, Kryptografen und Mathematiker arbeiten in Forschungszentren in Zürich, San Francisco und Tokio für Dfinity. Die Anzahl soll sich bis zum Jahresende verdoppeln. „Bald werden es Tausende sein“, verspricht Williams.
So soll die Revolution gelingen: Dfinity hat einen neuen Standard entwickelt – das „Internet Computer Protocol“ (ICP). Dieses dezentrale Protokoll soll es ermöglichen, sowohl Software als auch Daten frei im Internet zirkulieren zu lassen. Software hat in diesem Konzept keine feste physikalische Adresse mehr, sondern kann sich überall auf der Welt zwischen den Geräten hin und her bewegen.
Jede Software, zum Beispiel eine App, braucht einen Computer, also Hardware, auf der sie laufen kann. Damit eine App funktionieren kann, müssen Daten zwischen Servern und den Endgeräten der Nutzer ausgetauscht werden. Das können Laptops, Smartphones oder Spielekonsolen sein.
Immer öfter müssen Nutzer dabei allerdings auf Server zugreifen, die sich im Besitz der großen Cloudanbieter wie Amazon, Microsoft oder Google befinden oder von ihnen kontrolliert werden. Dieser Mechanismus kennzeichnet die Funktionsweise des regulären Internets, wie wir es kennen.
Token im Wert von 70 Milliarden Dollar
Das neue dezentrale Protokoll ICP soll nun diese zunehmende Machtkonzentration aufbrechen: Wenn Software keine feste physikalische Adresse mehr hat, können Apps veröffentlicht werden, ohne dass ihre Nutzung oder Funktionsfähigkeit die Kommunikation mit den Serverzentren der großen Cloudanbieter erfordert.
ICP soll anfangs auf die Rechenkapazitäten von 48 unabhängigen Rechenzentren in Nordamerika, Europa und Asien zugreifen können. Der Anspruch ist es, das öffentliche Internet in einen dezentralen globalen Computer zu verwandeln – den Internet-Computer. „Als ich die Idee 2015 hatte, fanden es alle sehr interessant – glaubten aber nicht, dass es möglich wäre“, sagt Williams.
Anbieter, die dem Projekt Speicherplatz oder Rechenleistung zur Verfügung stellen, erhalten Token, ebenso wie diejenigen, die das System pflegen und verwalten. Die Token sind die Geldquelle von Dfinity: Die Stiftung mit Sitz in Zürich verkaufte in den vergangenen Jahren bereits einige an Investoren. Insgesamt gibt es 469 Millionen Token, die auf Kryptowährungsbörsen aktuell 70 Milliarden Dollar wert sind. Allerdings schwanken die Kurse und damit auch die Bewertung stark.
Blockchain-Technologie als Grundlage
Ermöglichen soll den Internet-Computer modernste Blockchain, also die Technologie einer verteilten, öffentlichen und sicher verschlüsselten Datenbank. Es ist die weltweit erste Blockchain, die mit Web-Geschwindigkeit laufen soll und deren Kapazität unbegrenzt ausgebaut werden kann.
Das ist eine bahnbrechende Idee. Denn Blockchain läuft bislang sehr langsam und benötigt wie auch gewöhnliche Software die Server von Datenzentren und Cloudanbietern. Doch mit ICP soll die Blockchain-Technologie auch außerhalb der Server von Amazon Web Services oder Microsoft Azure laufen können.
Mit dem Start gibt Dfinity den Quellcode des Internet-Computers frei. Entwickler und Unternehmen könnten damit Websites, Unternehmenssysteme oder andere Applikationen auf dem Internet-Computer bauen – alles ohne Firewalls, Datenbanken oder Cloud-Systeme.
Beispielsweise könnte man ein soziales Netzwerk wie das von Facebook errichten, bei dem aber keine persönlichen Daten für Werbezwecke übertragen werden können. Auch wären Identitäten nicht mehr zu fälschen. Konkurrent für Facebook könnte das Start-up und Sozialnetzwerk Capsule werden, das als eine der ersten Applikationen auf dem Internet-Computer laufen soll. „Wir sind im Vergleich zu Facebook das, was gesundes, vegetarisches Essen im Vergleich zu McDonald’s ist“, sagt Capsule-Gründer Nadim Kobeissi.
Andere Anbieter der ersten Stunde sind die Tiktok-Alternative CanCan oder der Nachrichtendienst OpenChat. Ihre Motivation: Sie wollen ICP-Token verdienen. Benutzernamen oder Passwörter macht das Projekt mithilfe einer digitalen Identitätstechnologie überflüssig. Nutzer können sich mit ihrer digitalen Identität sicher bei den Apps anmelden oder einloggen.
Seele des Internets
Dominic Williams kennt das Internet der ersten Stunde. Den ersten Webbrowser versuchte er Anfang der 90er-Jahre auf einer Fax-Maschine zu öffnen. Damals machte er seinen Bachelor in Informatik mit Summa cum laude am King’s College.
Der Engländer schwärmte wie viele Programmierer damals vom Internet als einem Ort der Freiheit und Gerechtigkeit. „Wo wir uns versammeln, habt ihr keine Macht“, schrieb beispielsweise 1996 John Perry Barlow von der Netzbürgerrechtsbewegung Electronic Frontier Foundation.
Die Sache sieht heute anders aus: Big Tech dominiert das Internet, Cloudanbieter verdienen Milliarden, Daten sind ein riesiges Geschäftsmodell geworden. Auch Williams schwamm im Laufe seiner Karriere mit dem Strom und gründete mit mehr oder weniger Erfolg mehrere Internetfirmen. Am bekanntesten war noch das Computerspiel „Fight My Monster“.
Den Traum von damals hat Williams aber nie aufgegeben: ein kreatives, freies Internet zu schaffen, in dem jeder unter gleichen Voraussetzungen ein Geschäft oder Unternehmen aufbauen kann. 2015 setzte er ihn mit der Stiftung um, ernsthaft arbeitet Dfinity seit Anfang 2017 an dem Internet-Computer.
Einer der Stars von Dfinity ist Jan Camenisch, der 19 Jahre lang einer der führenden Wissenschaftler bei IBM war. Der Schweizer hält 120 Patente aus den Bereichen Kryptografie und Datenschutz, die bis heute Beachtung finden. Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeiten sind folgende Fragen: Wie können sich Benutzer bei minimaler Herausgabe von persönlichen Informationen sicher authentisieren und wie können ihre Daten im Internet besser geschützt werden? 2010 erhielt er für seine Arbeit eine Auszeichnung von der Association for Computer Machinery, der weltgrößten Vereinigung für Informatik. „Es ist ein großartiges Team mit viel Talent“, sagt Williams.
Der Internet-Computer erforderte Kryptografie mit einer komplexen Mathematik, die „oft nur eine Hand voll von Menschen auf der Welt verstehen“, sagt Williams. „Der Internet-Computer ist wohl eine der weltweit komplexesten und faszinierendsten Technologieunternehmungen der Gegenwart.“
Mehr: Dfinity-Gründer Williams: „Wir wollen das Internet neu erfinden“
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Was will uns der Autor sagen?
Die große Luftnummer aus Zug?
So zockt man heute ohne staatlichen Kontrollen die Menschen ab, die das ganze System nicht durchschauen und nicht wissen,was wirklich hinter dem Unternehmen steht.
150 Mitarbeiter und 400 Mrd. wert. Was eigentlich genau?
Dominic Williams fährt sicher in Zug mit einem Bentley oder Ferrari am Zuger See entlang.
Es wäre interessant zu wissen, wie der zu erwartende Energieverbrauch und die zusätzlich Netzbelastung im Internet durch das Internet-Computing sind.