Niederlage für Microsoft Oracle gewinnt offenbar Wettstreit um Tiktok

Der Softwarekonzern Microsoft ist mit seinem Übernahmeversuch der Video-Plattform gescheitert.
San Francisco, Peking, Düsseldorf, Berlin Es ist eine spektakuläre Volte: Bytedance will das amerikanische Geschäft der Videoplattform Tiktok offenbar an Oracle abgeben und doch nicht an den Favoriten Microsoft. Der Software-Konzern Oracle bestätigte, dass er Technologie-Partner von Tiktok werden soll.
US-Finanzminister Steven Mnuchin sagte, der Vorschlag sehe auch die Ansiedlung des globalen Tiktok-Geschäfts in den USA mit rund 20.000 Arbeitsplätzen vor. Der Plan werde nun von einem Gremium zur Bewertung ausländischer Investitionen in den USA und danach von US-Präsident Donald Trump geprüft werden, sagte Mnuchin im TV-Sender CNBC.
Auf massiven Druck von Trump muss sich Bytedance vom lukrativen Geschäft in den USA trennen. Bytedance und Oracle versuchen dabei die Quadratur des Kreises. Die in Hongkong erscheinende „South China Morning Post“ berichtet unter Berufung auf einen Insider, dass Bytedance nicht den Algorithmus hinter der App verkaufen werde.
Oracle gibt sich danach damit zufrieden, als „vertrauenswürdiger Technologiepartner“ mit Tiktok zusammenzuarbeiten, wie das „Wall Street Journal“ schreibt. Microsoft hatte dagegen größere Ambitionen und wollte beispielsweise das gesamte Geschäft in den USA und anderen Ländern übernehmen.
Ein mögliches Modell für den Deal: Oracle könnte eine Beteiligung an einer neu gegründeten Organisation übernehmen und in diesem Zuge die Nutzerdaten von Tiktok beim eigenen Cloud-Dienst speichern. Der Algorithmus würde bei Bytedance bleiben. Dieser hat eine zentrale Bedeutung: Er steuert, welche Videos an die Nutzer ausgeliefert werden, was die Attraktivität des Dienstes ausmacht.
Auf den ersten Blick ist Oracle kein natürlicher Partner für Tiktok. Der 43 Jahre alte Konzern verkauft Datenbanken, Unternehmenssoftware und Cloud-Dienste. Ein Geschäft mit Privatnutzern hat er bislang nicht. Damit hat er auch keine Erfahrungen mit dem Betrieb eines sozialen Netzwerks samt der – politisch heiklen – Moderation von Inhalten. Tiktok ist dagegen eine sehr junge Firma mit einer stark wachsenden Plattform für Teenager, die sich dort etwa bei der Lippensynchronisation von Musikvideos austoben.
Oracle stärkt Cloudsparte
Für Oracle wäre der Deal ein Riesenerfolg. Eine Partnerschaft stärkt das Infrastruktur-Geschäft aus der Cloud. Bislang liegt Oracle abgeschlagen hinter Amazon, Microsoft und Google. Virale Apps wie Tiktok seien der Schlüssel, um die Auslastung zu steigern, sagt Holger Müller, Analyst bei Constellation Research. Das drücke die Kosten. Tiktok könne unter Oracle weiter wachsen, ist der Experte überzeugt: „Die Bedenken der US-Regierung gegen den chinesischen Eigentümer bieten die einmalige Gelegenheit, zusätzliche Auslastung zu bekommen.“
Auch baut Oracle seit einigen Jahren die Oracle Data Cloud auf. Der Konzern verkauft Nutzerdaten an Unternehmen, damit die die Effektivität ihrer Digitalwerbung überprüfen können. So übernahm Oracle verschiedene Digitalmarketing-Firmen für geschätzte zwei Milliarden Dollar, darunter 2017 Moat für angeblich 850 Millionen Dollar. Deren Software verspricht, dass die Werbung die richtigen Nutzer erreicht. „Das Problem ist die Aufmerksamkeit“, kommentierte Eric Roza, Chef von Oracle Data Cloud, den Deal damals: „Wir wissen, dass wir die richtige Anzeige an die richtige Person bringen können.“
Voraussetzung dazu ist aber nicht nur gute Software, sondern der Zugang zu Daten. Je mehr Nutzerprofile Oracle besitzt, desto genauer kann man Werbung platzieren. Dabei wären die mehr als 100 Millionen amerikanischer Tiktok-Fans Gold wert. Nicht nur erhält Oracle für seine Data Cloud Solutions sehr ausführliche Daten. Diese sind zudem zum größten Teil von Teenagern, die bei Werbetreibenden besonders beliebt sind.
Oracle Data Cloud kann die Daten sehr gut gebrauchen. Der Geschäftsbereich kämpft seit einiger Zeit mit Problemen. Die zahlreichen Akquisitionen von Firmen wie BlueKai, Datalogix, Moat, AddThis und Grapeshot wurden nicht gut integriert. Dazu erschwert seit 2018 das verschärfte Datenschutzrecht in Europa das Geschäft. Auch schränkte Facebook nach dem Cambridge-Analytics-Datenskandal den Zugang zu Daten ein. Wegen der schlechten Entwicklung musste der Geschäftsbereichsleiter Roza im vergangenen Jahr gehen. 2018 und 2019 kam es zudem zu Entlassungen in der Sparte.
Doch immer noch läuft es nicht rund. Im Juni 2019 sagte Oracle, die Umsätze seien in dem Bereich um 15 Prozent gefallen. Über die absoluten Erlöse von Oracle Data Cloud gibt es keine offiziellen Zahlen, Analystenschätzungen sprechen von einstelligem Prozentanteil am Gesamtumsatz.
Die große Frage aber lautet: Wird Trump den Kompromiss akzeptieren? Kaum ein Unternehmen hat so gute Drähte ins Weiße Haus wie Oracle. Gründer Larry Ellison und Vorstandschefin Safra Catz unterstützen Trump aktiv beim Wahlkampf. Ellison äußerte sich in der Vergangenheit oft mit scharfen Worten zu China. Amerika müsse „die Schlacht mit China“ gewinnen, sagte er beispielsweise 2018.
Bundesregierung sieht Tech-Nationalismus mit großer Sorge
Ein Oracle-Deal hätte allerdings einen Vorteil: Die chinesische Regierung könnte ihn akzeptieren. Seit Ende August gibt es eine neue Exportbeschränkung von China für „Push-Dienste für persönliche Informationen auf der Grundlage von Datenanalysen und interaktive Schnittstellentechnologie mit Künstlicher Intelligenz“. Die chinesische Regierung hatte wegen der US-Restriktionen gegen die Tiktok-Mutter Bytedance bereits angekündigt, dass Peking die „legitimen Rechte und Interessen chinesischer Unternehmen“ verteidigen werde, dies aber nicht weiter spezifiziert.
Beobachter hatten die Erweiterung so ausgelegt, dass der Verkauf des Tiktok-Geschäfts dadurch erschwert oder verhindert werden könnte. Da aber der Algorithmus bei Bytedance bleiben soll, würde auch die wesentliche Technologie nicht exportiert. Für Tiktoks Plattform in Europa hat der nun erreichte Deal offenbar keine Relevanz, dort gibt es mehr als 100 Millionen Nutzer. Die auch in Deutschland sehr populäre App wird weiterhin von Bytedance betrieben. Ob Nutzer in Deutschland allerdings künftig noch Videos aus den USA sehen können, ist ungeklärt.
Die Bundesregierung verfolgt den Kampf um TikTok genau. Nicht nur, weil die Teenie-App zum Gegenstand der globalen Machtrivalität zwischen China und den USA geworden ist. Sondern vor allem auch, weil sich eine politische Zäsur andeutet.
Berlin ist nicht verborgen geblieben, dass die chinesische Regierung ihr Vorgehen gegen einen Verkauf von TikTok mit der Sorge begründet, wertvolle Technologie könnte in ausländische Hände fallen. Das zeigt, wie sich die Machtverhältnisse im Tech-Sektor gewandelt haben. Bisher hat China gern auf eigene Entwicklungsdefizite verwiesen, um Sonderregeln für sich zu beanspruchen und ausländisches Know-How zu importieren.
Doch inzwischen hat China viele westliche Länder in Zukunftsmärkten überflügelt. Die Volksrepublik strebt eine weltweite Technologieführerschaft an, hat dafür Leitmärkte identifiziert und disruptive Unternehmen, die zugleich Instrumente bei der Durchsetzung der strategischen Interessen der Kommunistischen Partei sind.
Die Bundesregierung sieht die Rivalität zwischen China und den USA um Digitaltechnologien mit großer Sorge. Sie fürchtet, dass gerade das exportorientierte Deutschland darunter leiden wird, wenn die Welt in zwei abgeschlossene, konkurrierende Technologie- und Wirtschaftssphären zerfällt. „Wir sind uns vollkommen im Klaren darüber, dass ein Teil der Geopolitik heute über die Kontrolle und die Normensetzung neuer Technologien ausgefochten wird“, sagt Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Bytedance selbst wird der Verlust des US-Geschäfts zwar schmerzen. Doch obwohl Bytedance mit Tiktok im Ausland enorm erfolgreich ist, ist der Heimatmarkt immer noch am bedeutendsten für das Unternehmen. In China bietet das Unternehmen dort unter anderem einen nahezu identischen Dienst mit dem Namen Douyin an. Laut Medienberichten macht Bytedance in China fast 90 Prozent seines Umsatzes.
Das Unternehmen mit Hauptsitz in Peking hat laut Schätzungen einen Marktwert von 110 Milliarden US-Dollar (94 Milliarden Euro) und beschäftigt in 126 Städten 60.000 Mitarbeiter. Namhafte Investoren haben ihr Geld in den Konzern investiert, etwa KKR, Softbank oder Sequoia Capital.
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