Risikomanagement Dieses Start-up will mit einem digitalen Frühwarnsystem weltweit Lieferengpässen vorbeugen

Mit ihrem KI-Start-up Interos wurde Jennifer Bisceglie zur Einhorn-Unternehmerin.
Düsseldorf Jennifer Bisceglies Geschäftsmodell ist für international vernetzte Unternehmen nicht mehr wegzudenken – davon ist zumindest die CEO des Supply-Chain-Start-ups Interos in Arlington, nahe Washington D.C. überzeugt. Erst die Pandemie, dann das querstehende Containerschiff im Suezkanal und die Ransomware-Attacken gegen mächtige Firmen wie Colonial Pipeline oder JBS Beef.
In der Automobil-, IT- oder der Lebensmittelbranche führten Vorfälle wie diese zu gravierenden Engpässen in der Lieferkette. „Ein Event nach dem anderen passiert, und oft sind Unternehmen nicht vorbereitet“, erklärt die Tech-Unternehmerin. Mit ihrer Technologie könne sie jedoch Unternehmen hohe Geldverluste und vor allem auch Rufschädigungen ersparen, sagt sie.
Auf einer interaktiven Plattform zeigt Interos mithilfe einer Künstlichen Intelligenz an, wo und bei wem Risiken für Lieferungen weltweit bestehen. Kürzlich hat Bisceglie mit Interos eine Serie-C-Finanzierung abgeschlossen und sammelte 100 Millionen US-Dollar ein. Seitdem wird Interos mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet und hat somit den Einhorn-Status erreicht.
Die Plattform, so Bisceglie, funktioniere wie ein Frühwarnsystem. Eine digitale Erdkugel zeigt auf der Plattform etwa 20 Millionen Unternehmen an. Die Künstliche Intelligenz visualisiert alle Verbindungen von Zulieferern eines Unternehmens und unterteilt die mit ihnen verbundenen Risiken in sechs Faktoren: Finanzielle Risiken, Cybersicherheit, Einschränkungen in einem Land, geopolitische Risiken, betriebliche Restriktionen und die soziale Unternehmensverantwortung, auch genannt Corporate Social Responsibility (CSR).
Die Finanzierungsrunde wurde von Night Dragon angeleitet, einem Wagniskapitalunternehmen, das in Start-ups in späteren Phasen im Bereich Cybersicherheit und Datenschutz investiert.
„Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass das Supply-Chain-Risiko eine der größten Lücken für Cybersecurity und Business Resiliency in der Geschichte darstellt“, sagt Dave DeWalt, Geschäftsführer von Nightdragon. Auch Wissenschaftler Marco Motta vom Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) bestätigt: „Risikomanagement war nie relevanter als heute.“
Gestörte Lieferketten führen zu starken Geschäftsschäden
Eine Studie der Firma Economist Intelligence Unit mit 400 Unternehmen zeigt: Der Hälfte schadete die Pandemie erheblich wegen unterbrochener Lieferketten. Eine Befragung des Herchenbach Supply Chain Institutes mit 142 Unternehmen ergab außerdem, dass 60 Prozent nicht auf disruptive Lieferketten vorbereitet sind.
Für Bisceglie bedeutet das erfreuliche Geschäftszahlen: Im ersten Coronajahr wuchs der Kundenstamm von Interos um das Dreifache und im Jahr 2020 hat sich ihr Umsatz verdoppelt und lag bei 15 Millionen US-Dollar.
Knapp 200 Mitarbeiter zählt das Start-up, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Zu den Kunden zählen Unternehmen, die das US-Magazin „Fortune“ zu den 500 wichtigsten Firmen der USA zählt, Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten und die Nasa. In Deutschland hat Interos ebenfalls einen Zweig: Neben dem Automobil- und Fertigungssektor kommen Kunden aus den Bereichen Finanzen und Versicherungen sowie der Chemie.

Auf der Plattform von Interos sollen Unternehmen einsehen können, welche Schwierigkeiten mit ihrer Lieferung zusammenhängen können.
Die Daten für die Frühwarnplattform sammelt Interos von rund 85.000 Quellen und speist sie in die KI ein. Die Quellen sind zum Teil kostenlos zugänglich im Internet, zum Teil sind es Informationen von Nachrichtenportalen, oder Interos kauft Daten von Unternehmen. Etwa 250 Millionen Risikoereignisse verarbeitet Interos laut eigenen Angaben pro Monat.
Schnelleres Handeln mit KI
Saskia Wagner-Sardesai, Wissenschaftlerin beim Fraunhofer IML, sieht im Einsatz von KI beim Risikomanagement einen Vorteil: „In Europa hat die Automobilindustrie in der Pandemie nach Ersatzlieferanten gesucht, diese waren aber ausgebucht.“ Eine KI könne das gesamte Netzwerk hinter einer Lieferung erfassen, auch deren Abnehmer.
Statt traditionell beim Risikoeintrittsfall viel zu telefonieren und Excel-Tabellen aufzustellen, meint Wagner-Sardesai, könne man mit KI Risiken früh erkennen und „Kosten senken, Handlungsoptionen gewinnen und am Ende dem Endkunden liefern können“.
In Deutschland gibt es ähnliche Start-ups wie Orbica oder auch Supply On aus Bayern, die weltweit rund 100.000 Unternehmen verbinden und Lösungen für optimierte Lieferketten bieten. Jennifer Bisceglie hat indes Expansionspläne: Mit dem neuen Investment will sie immer weiter wachsen, die Tech-Plattform und die KI weiter verbessern und den Kundenstamm erweitern.
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