Softwarehersteller Manipulation bei SAP-Aufsichtsratswahl? Prozess könnte ohne Urteil enden

Den Konzern dürfte interessieren, ob ein aktueller Mandatsträger in Wahlmanipulation verwickelt ist.
Düsseldorf Eine Ahnung über den langwierigen und verbitterten Streit vermittelte die dicke Akte, die die Vorsitzende Richterin Ute Schneiderat vor sich wälzte. Der Hefter hielt den Papierstapel kaum zusammen. Ein „sehr spannender Fall“ sei das, sagte die Juristin am Dienstag bei der Verhandlung am Landgericht Heidelberg.
Das dürfte man auch bei SAP so sehen. Denn in dem Zivilverfahren, Aktenzeichen 2 O 17/16, stehen sich ein aktueller und ein ehemaliger Aufsichtsrat des Softwareherstellers gegenüber. Während das Gericht zu klären hat, ob der eine dem anderen bei einer Wahl fürs Aufsichtsgremium geholfen hat und ihm dafür ein Honorar zusteht, dürfte den Konzern interessieren, ob ein aktueller Mandatsträger in Wahlmanipulation verwickelt ist.
Allerdings ist es möglich, dass es nie zu einer gerichtlichen Klärung kommt: Die Kammer unter der Leitung von Richterin Schneiderat legte den Parteien bei der Verhandlung nahe, sich außergerichtlich zu einigen.
Das Verfahren laufe bereits seit 2016 und könne sich noch hinziehen, etwa wenn erneut Beweise erhoben werden müssten. Es scheine daher „eine sachgerechte Lösung“ zu sein, wenn beide Seiten die gegenseitigen Klagen fallen ließen.
Der Streit reicht bis 2012 zurück. Der Kläger, mittlerweile nicht mehr beim Softwarehersteller tätig, will seinem ehemaligen Kollegen beim Wahlkampf für das Aufsichtsgremium geholfen haben. Dafür habe man per Vertrag ein Honorar vereinbart: Sein Kollege habe sich verpflichtet, die Hälfte der Tantiemen aus der Amtszeit an ihn zahlen.
Posten im SAP-Aufsichtsrat ist lukrativ
Man muss wissen: Ein Aufsichtsratsposten bei SAP ist lukrativ. Der Beklagte erhielt in der Wahlperiode von 2012 bis 2015 rund 700.000 Euro Vergütung. Da er als unabhängiger Kandidat der Arbeitnehmer antrat, musste er keine Tantiemen abführen, wie es bei Vertretern der großen Gewerkschaften üblich ist – die behalten nur einen kleinen Teil der Zahlung selbst.
Der SAPler, der noch im Unternehmen aktiv ist, bestreitet jedoch sowohl die Zusammenarbeit im Wahlkampf als auch die Echtheit des Papiers. Das sei entweder gefälscht oder ihm untergeschoben worden. Bewusst unterschrieben habe er es nicht. Dass er die Unterstützung seines früheren Kollegen nötig gehabt oder in Anspruch genommen hätte, sei „absurd“.
Allerdings gibt es durchaus Argumente dafür, dass der Vertrag echt ist. Eine Schriftgutachterin war zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens zu dem Schluss gekommen, dass die Unterschrift auf dem Papier „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit“ von dem Beklagten stamme. Ob der Schriftzug auf ein bereits ausgedrucktes Dokument gesetzt oder der Text erst nachträglich gedruckt wurde, lasse sich aber nicht sagen: Dafür brauche es ein weiteres Gutachten mit einer Spektralanalyse.
Die Vereinbarung – sofern authentisch – wirft eine Frage auf, die über den Streit zweier ehemaliger Kollegen hinaus Bedeutung hat: Ist es bei der Aufsichtsratswahl 2012 zu Manipulationen gekommen, in die ein aktueller Mandatsträger verwickelt war? Schließlich hat der Kläger nach eigenen Angaben auf die Abstimmung Einfluss genommen, womöglich maßgeblich.
Dazu muss man wissen, dass es bei SAP bis 2012 eine Delegiertenwahl gab, bei der die Mitarbeiter zunächst Wahlleute bestimmten, die anschließend über die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat abstimmten.
Honorarvertrag könnte nichtig sein
Der Kläger will auf Vertreter seiner Liste eingewirkt haben, damit diese nicht für einen eigenen Kandidaten, sondern den Beklagten votierten. Er selbst konnte zudem sechs Delegiertenstimmen abgeben. Tatsächlich sorgte der Ausgang der Wahl 2012 für Erstaunen: Der damalige Betriebsratsvorsitzende, der mit dem Beklagten auf einer Liste war, verpasste überraschend den Einzug in den Aufsichtsrat.
Das Mitbestimmungsgesetz verbietet es, Wahlen „durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen“ zu beeinflussen. Die Kammer des Landgerichts sieht in dem Vertrag einen möglichen Verstoß gegen die Klausel – womit er gesetzes- und sittenwidrig sein könnte, und damit nichtig. „Wir neigen zu einer Klageabweisung“, sagte Schneiderat.
„Damit haben Sie nicht gerechnet, das ist uns klar“, betonte die Richterin. Die beiden Parteien reagierten überrascht, ließen aber Unterstützung für den Vorschlag erkennen, den Streit außergerichtlich beizulegen. Ein Knackpunkt in den Verhandlungen: Der Beklagte musste bereits 121.000 Euro seiner Tantiemen auf einem Konto hinterlegen – wer bekommt das Geld?
Selbst wenn das Verfahren vor dem Landgericht Heidelberg dann ohne Urteil endet, könnte die juristische Auseinandersetzung über die SAP-Aufsichtsratswahl weitergehen: Wenn es in Zivilverfahren Anzeichen für strafrechtlich relevante Handlungen gibt, wird die Akte üblicherweise an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Eines ist klar: Einer der beiden hat in dem Verfahren offenbar nicht die Wahrheit gesagt. Somit könnte versuchter Prozessbetrug in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro vorliegen – so hoch war schließlich die Forderung.
Ob SAP reagiert, ist unklar. Bislang bewertete der Konzern den Vorgang als eine privatrechtliche Angelegenheit. Diese Position habe sich nicht geändert, erklärte er am Mittwoch.
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