Soziales Netzwerk Facebook-Whistleblowerin gibt sich zu erkennen – und enthüllt geheime Geschäftspraktiken

Die Whistleblowerin war Produktmanagerin bei Facebook.
San Francisco Als das Bild von Frances Haugen an diesem Sonntag öffentlich wird, verbreitet es sich sofort um die Welt. Die 37-Jährige ist die Ex-Mitarbeiterin, die Tausende Dokumente aus den Systemen von Facebook geladen und an einen Reporter des „Wall Street Journal“ weitergegeben hat. Die darauf basierenden Enthüllungen haben den Internetkonzern in eine Krise gestürzt – für manche Beobachter die schlimmste seit der Präsidentschaftswahl 2016.
„Ich liebe Facebook, und ich will es retten“, sagt Haugen im Interview mit dem Nachrichtenmagazin „60 Minutes“ des US-Fernsehsenders CBS. Der Betreiber von Facebook, Instagram und WhatsApp habe eine Kultur, die Wachstum über die Sicherheit seiner Nutzer und Nutzerinnen stelle und gesellschaftliche Spaltung fördere.
Das hat Haugen bei der eigenen Arbeit erfahren. Im Juni 2019 wechselte sie als Produktmanagerin von Pinterest zu Facebook, um die Integrität der US-Präsidentschaftswahl 2020 zu sichern. Vier Jahre zuvor hatten Lügen über die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Millionen Nutzer erreicht, ohne dass das Netzwerk dagegen einschritt.
Das sollte nun besser werden. Doch sie habe schnell gemerkt, wie wenig Facebook wirklich am Wandel gelegen war. Ihr Team, das Wahlbeeinflussung, Menschenhandel oder Zwangsprostitution auf den Plattformen weltweit bekämpfen sollte, sei mit 200 Mitarbeitern zu klein gewesen. „Ich fragte, warum Facebook die Teams nicht aufstockte. Sie taten so, als hätten sie keine Möglichkeit, mehr Ressourcen zu geben“, sagt Haugen im Interview.
Bei ihrer Arbeit sei sie auf weitere Probleme gestoßen. Facebook hatte etwa erforscht, wie sich Instagram auf Mädchen auswirkt, die mit ihrem eigenen Körper unzufrieden sind. Das Ergebnis der internen Studie: Jede dritte Userin fühlte sich schlechter, wenn sie Instagram mit all seinen perfekten Model- und Fitness-Influencer-Accounts nutzte. Doch die Mädchen verwendeten Instagram weiter.
Facebook „profitiert davon, dass sie unsere Sicherheit gefährden“, sagt Haugen. Beiträge, die emotional berühren, hielten die Menschen auf der Seite, wo sie folglich mehr Werbung sähen und Facebook mehr Geld brächten. Deshalb gehe Facebook gegen die Probleme nur dann vor, wenn PR-Krisen drohten.
Facebook ist zurück im Krisenmodus
Das Unternehmen bestreitet das. „Wir haben massiv in Personal und Technologie investiert, um unsere Plattform zu sichern. Falschinformation zu bekämpfen und Fakten zu verbreiten ist eine Priorität“, sagte Unternehmenssprecher Andy Stone dem „Wall Street Journal“.
Facebook ist wieder voll im Krisenmodus: Die eigene Instagram-Studie zog das Unternehmen im Nachgang in Zweifel, was intern für Ärger gesorgt haben soll. Nick Clegg, Facebooks Vizepräsident für Politik, versuchte die Vorwürfe am Sonntag in einem eigenen Interview auf CNN zu kontern.
Doch Haugen droht eine unangenehme Gegenspielerin zu werden. Sie besitzt die Integrität, die sie bei Facebook verteidigen sollte. Die Investorin Katie Jacobs Stanton, die vor Jahren mit Haugen bei Google zusammenarbeitete, nannte sie „sehr intelligent, ehrlich und fleißig. Und wow, ist sie mutig.“
Zudem wird es schwer, Haugens Motive als fragwürdig darzustellen. Sie habe sich nicht als Ziel gesetzt, Facebook zu schaden, beteuert sie bei „60 Minutes“. „Wenn die Leute Facebook deswegen nur mehr hassen, dann habe ich versagt. Ich glaube an Wahrheit und Versöhnung – dazu müssen wir aber erst mal die Wahrheit zugeben.“
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