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Start-ups Zu wenig Künstliche Intelligenz: Was Deutschlands Gründern fehlt

Eine neue Studie zeigt: Die Zahl der Gründungen bei der Schlüsseltechnologie sinkt. Dabei gibt es Erfolgsfälle, die zeigen, was möglich wäre.
02.03.2020 - 17:36 Uhr Kommentieren
Deutsche Start-ups im Zukunftsgeschäft KI sind rar. Quelle: Moment/Getty Images
Geschäfte mit der Künstlichen Intelligenz

Deutsche Start-ups im Zukunftsgeschäft KI sind rar.

(Foto: Moment/Getty Images)

Berlin, Hamburg Millie treibt an: Noch zehn Sekunden Hampelmann-Sprünge fordert die animierte Comicfigur ein. Dem Kameraauge des iPhone entgeht nicht, dass der erschöpfte Hobbysportler nicht mehr ganz aufrecht in die Höhe springt: Gnadenlos geht die Punktezahl zurück.

Die noch namenlose Sport-App mit der virtuellen Trainerin „Millie“ ist Ergebnis von über vier Jahren Entwicklungsarbeit. Der Deutsche Roland Memisevic hat in Berlin und Toronto ein Start-up aufgebaut, das mit Künstlicher Intelligenz (KI) Bewegungsmuster von Menschen erkennt. Hunderttausende von Videoschnipseln hat sein Unternehmen Twenty Billion Neurons dafür von Crowdworkern aufzeichnen lassen, hat Leute springen, winken, gehen lassen. „Wir brauchten tiefen Glauben und langen Atem, um das durchzuexerzieren“, sagt er dem Handelsblatt.

Er geht persönlich ins Risiko: Für sein Start-up hat Memisevic eine Professur in dem Bereich aufgegeben. Nach einigen kleineren Lizenzdeals folgt ab Mai die Bewährungsprobe: Wird die App, die die Bewegungen von Fitness-Sportlern besser analysieren soll als alle bisherigen, ein Erfolg?

Twenty Billion Neurons ist eine Ausnahme in der deutschen KI-Szene: Es ist das einzige Start-up, das es in die Liste der 100 meistversprechenden KI-Start-ups der renommierten Analyseplattform „CBInsights“ geschafft hat – und auch das vielleicht nur deshalb, weil Memisevic in Kanada Talente aus den dortigen Hochschulen anwerben konnte, an denen er lange aktiv war.

Eine aktuelle Studie, die dem Handelsblatt vorab vorliegt, zeigt das Problem: Obwohl KI nach Meinung der meisten Tech-Experten zu einer Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert wird, geht die Zahl der Neugründungen in Deutschland zurück. Anfang 2020 gab es gerade einmal 33 mehr aktive KI-Start-ups als ein Jahr zuvor. Insgesamt zählte das Münchener Gründer-Zentrum UnternehmerTUM nur 247 Start-ups, die sich in Deutschland mit echten KI-Anwendungen befassen. Diese Schwäche wird zum Problem im digitalen Wandel.

Künstliche Intelligenz – wie gefährlich ist sie wirklich?

„Wir sollten uns Sorgen machen“

Potenziell kann KI sehr viele Branchen verändern. Die Technologie beruht auf Forschung zu neuronalen Netzen, die erst durch stärkere Rechenleistung um 2012 zum Durchbruch kam. Grundlage sind große Datenmengen, aus denen die Technik Muster herausdestilliert. Anwendungsfelder sind etwa die inhaltliche Erkennung von Bildern, also die Antwort auf die Frage, was konkret auf einem Bild zu sehen ist. Ähnlich kann KI Muster in Texten interpretieren. Die Hoffnung ist, dass große Datenmengen, die ungeordnet etwa in E-Mails und Verträgen vorliegen, erstmals maschinenlesbar werden.

Experte Philipp Hartmann von UnternehmerTUM sieht zu wenig Mut in der deutschen KI-Szene: „Wir sollten uns Sorgen machen, dass große Plattformen etwa aus den USA auch dieses Feld dominieren und eine weitere grundlegende Technik an uns vorbeigeht.“

Zwar ist 2019 das Investment je Start-up von 15,6 auf 19,4 Millionen Euro gestiegen – doch für Hartmann ist das zu wenig: „Im internationalen Maßstab ist die Gesamtsumme von knapp 2,2 Milliarden Euro, die in deutsche KI-Start-ups geflossen ist, ernüchternd.“ Das zeige der Vergleich: So viel Geld wie alle deutschen KI-Start-ups zusammen habe allein das chinesische KI-Unternehmen SenseTime eingesammelt. Die Universitätsausgründung bietet Gesichtserkennung an – auch für den staatlichen Überwachungsapparat.

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Solche Nutzungen schließen sich im freiheitlichen Europa weitgehend aus, doch es gibt andere Bereiche, in denen Deutschland sein spezifisches Potenzial verpasst. Experte Hartmann sieht etwa in der gewachsenen industriellen Basis ein gutes Fundament, das bisher zu wenig belastet wird: „Viele deutsche Gründungen wachsen solide in einem B2B-Umfeld, aber eben langsam“, sagt Hartmann. „Die Frage ist, ob dann nicht irgendwann die Großen aus Übersee auch hier die Märkte fressen – wie wir das in anderen Bereichen bereits gesehen haben“, warnt er.

Vor allem der Zugang zu Daten ist ein Problem. Wenige der Start-ups nehmen sich wie Twenty Billion Neurons mit seiner Bewegtbildsammlung die Zeit, einen eigenen Datensatz aufzubauen. Die Valley-Riesen wie Google und Apple verfügen dagegen von vornherein über riesige Datenschätze, in China profitieren Gründer wie SenseTime vom laschen Datenschutz.

Deutsche B2B-Gründer haben es hingegen schwer: „Die deutschen Unternehmen machen oft Testprojekte mit KI-Start-ups über ihre Innovationsabteilungen, lassen sie aber nicht an die Kerndaten. Hier fehlt es an Bereitschaft“, sagt Hartmann. „Zu viel bleibt im Bereich Innovation oder Marketing – Bereiche, in denen der Einsatz vermeintlich nicht wehtut.“ 

Unternehmen suchen nach Lösungen

Tom Alby möchte ein Gegenbeispiel sein: Er will KI im Kernbereich seines Geschäftsmodells einsetzen – doch ihm fehlen bislang die passenden Start-ups als Partner. Der studierte Computerlinguist leitet die digitale Transformation beim Kreditversicherer Euler Hermes. Die Allianz-Tochter ist vor einem Monat aus ihrem angestammten Sitz, einem weißen Hochhaus in Hamburg-Bahrenfeld, in einen Neubau nebenan gezogen. Der Backsteinbau ist sichtlich kleiner – auch weil viele Kilometer Akten nun nicht mehr bei Euler Hermes lagern.

In den Monaten vor dem Umzug veranstaltete das Unternehmen regelrechte Wettbewerbe, welcher Mitarbeiter die meisten Dokumente scannt. Das spart nicht nur Platz. Alby kann jetzt auch auf einen riesigen digitalisierten Datenpool zugreifen. Das Problem: Die Schriftstücke sind bislang für Maschinen unverständlich. „Bald gehen auch bei uns die Babyboomer in Rente – und mit ihnen in Jahrzehnten aufgebautes Fachwissen. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir diese Expertise konservieren und gleichzeitig sicherstellen, dass sie sich weiterentwickelt“, sagt Alby.

Doch kein Gründer steht mit einer Lösung bereit. „Ich bekomme fast jeden Tag Anrufe von Dienstleistern, die sagen, dass sie etwas mit KI machen – aber bei genauem Blick dahinter ist es dann doch nur lineare Regression.“ Also will er selbst zusammen mit einer der Hamburger Hochschulen eine echte KI über einen längeren Zeitraum so trainieren, dass sie Texte aus dem Bereich des Kreditversicherers verstehen kann. Eine Partnerhochschule will der Euler-Hermes-Manager über eine neue Einrichtung finden, die auch Gründern offensteht.

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Der lokalen Politik dämmert bundesweit: Die Stärke der KI-Szene wird zum Standortfaktor im Wettbewerb zwischen den deutschen Regionen. Mitte Februar steht daher Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann vor einer Glasfront mit spektakulärem Blick auf den Hafen. In einem schiffsförmigen Bürobau entsteht das „Artificial Intelligence Center Hamburg“, kurz Aric. Es ist ein konkreter Ort für die Vernetzung von Wissenschaft, Start-ups und Traditionsunternehmen.

„Ein Punkt, den ich schon lange in dieser Stadt vermisst habe, ist: Was machen wir eigentlich im Bereich Künstliche Intelligenz?“, sagt der parteilose Senator. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Entwicklung und wirtschaftlicher Umsetzung“, pflichtet ihm der Chef der Hamburger Förderbank IFB, Ralf Sommer, bei. „Daher ist es wichtig, dass wir ein Ökosystem auch in diesem Bereich entwickeln.“ Als ersten Schritt erhält der Aric-Verein einen riesigen symbolischen Scheck aus den Händen des Senators und des Förderbankers – und 400.000 Euro Förderung.

Deutsche Erfolgsmodelle

Laut der UnternehmerTUM-Studie sind in Hamburg im vergangenen Jahr immerhin sechs neue KI-Start-ups entstanden, die Gesamtzahl verdoppelt sich damit fast auf 14. Doch die Hansestadt liegt damit immer noch deutlich hinter München und besonders hinter Berlin zurück.

In der Hauptstadt ist Adrian Locher einer der Unternehmer, auf denen der Vorsprung beruht. Der Schweizer Seriengründer bringt zusammen mit dem KI-Experten Rasmus Rothe aus einem Souterrain an der Friedrichstraße die Szene voran. Dort hat er einen Inkubator speziell für KI aufgebaut. Er gibt Gründern die Möglichkeit, eigene Geschäftsmodelle aufzubauen – auch mithilfe eines 25 Millionen Euro schweren Fonds. „Wir haben in Europa gar keine Wahl: Wir müssen in die Technik investieren“, sagt er. „Allerdings gibt es hier im Vergleich zu Amerika und Asien viel zu wenig Leute, die wirklich groß denken.“

Bei Merantix steckt er daher die Ziele hoch: Eine der ersten Ausgründungen, die mit KI Mammografiebilder nach Brustkrebstumoren untersucht, soll ein Marktführer für die Analyse medizinischer Bilddaten werden. „Wir wollen konkrete Beispiele schaffen“, sagt Locher. Eine echte Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen funktioniert nur, wenn die KI-Start-ups ein Geschäftsmodell mitdenken, ist Lochers These: „Den Kunden ist letztlich egal, ob KI drin ist oder nicht. Sie wollen, dass ein Problem gelöst wird.“

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Optimistisch stimmt den Unternehmer, dass er in der Szene immer mehr konkrete Geschäftsmodelle sieht. „Noch vor einem Jahr haben viele Gründer etwas mit KI gemacht und dann ein Problem dafür gesucht, das sie lösen können. Heute denken sie mehr von Geschäftsmodellen aus“, sagt sein Partner Rothe.

So wie Celonis: In wenigen Jahren ist aus einem Münchener Studentenprojekt ein Konzern für Unternehmenssoftware geworden. Ende 2019 sammelte das Unternehmen 290 Millionen Dollar bei Investoren ein, die es so mit stolzen 2,5 Milliarden Dollar bewerteten. Das Erfolgsgeheimnis: Celonis greift auf vorhandene Daten aus SAP zurück. Auch DeepL gilt als ein deutscher KI-Star. Die Kölner nutzen neuronale Netze, um Übersetzungen zu verbessern – anhand von bereits übersetzten Texten.

Solche Beispiele für solide Geschäftsmodelle machen Hoffnung: Experte Hartmann hat beobachtet, dass im Vergleich zu anderen Tech-Start-ups nur relativ wenige KI-Gründer aufgeben. Selbst von den 2018 aufgeführten Start-ups sind noch drei Viertel aktiv. „Das ist ein Zeichen dafür, dass der Sektor reifer wird“, sagt der Experte. Noch hat Deutschland sein KI-Potenzial nicht verspielt.

Mehr: Geld für junge Unternehmen ist inzwischen genug vorhanden. Doch es braucht mehr global denkende Visionäre. Ein Kommentar.

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