Stornierungswelle Zahl der Buchungen von Airbnb bricht ein – Börsengang in Gefahr

Das Coronavirus wird für die Vermittlungsplattform zur Bewährungsprobe.
San Francisco, Düsseldorf In Toms E-Mail-Postfach sind in der zweiten Märzwoche so viele Stornierungen aufgepoppt wie zuvor in zehn Jahren nicht. Der Berliner vermietet zwei seiner Wohnungen im Stadtteil Mitte über die Plattform Airbnb. Und normalerweise lieben Touristen seine Wohnungen: 2019 waren die Appartements zu 95 Prozent ausgebucht.
Nun aber hat niemand mehr Interesse. Museen in der Hauptstadt sind aufgrund des Coronavirus geschlossen, Messen abgesagt. Das trifft nicht nur Tom, sondern unzählige Vermieter – und damit auch die Plattform selbst.
Grenzkontrollen, Reiseverbote und Kontaktverbote wie auch Ausgangssperren treffen Airbnb so hart wie wenige andere Unternehmen. Weltweit bricht der Umsatz der Plattform aus San Francisco dramatisch ein, wie Daten des Marktanalysten Airdna zeigen, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegen.
Bisher hat das Unternehmen der Gründer Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk viele Rückschläge gut überstanden. Aber Corona könnte das Unternehmen nun im Kern treffen. Das Virus bedroht eines der am höchsten bewerteten Start-ups der Welt.
Die Zahlen zeigen: In Deutschland lag der Umsatz auf der Plattform laut Airdna Mitte Februar noch bei 31 Millionen Euro, Ende vergangener Woche lag er nur noch knapp über 13 Millionen Euro. Airbnb nimmt von diesem Umsatz eine Kommission, die zwischen 14 und 20 Prozent liegt.
In anderen europäischen Märkten bricht Airbnbs Geschäft ähnlich stark ein: In Frankreich, wo mit Paris eines der wichtigsten Airbnb-Reiseziele weltweit liegt, sank der Umsatz von rund 120 Millionen Euro Mitte Februar auf 55 Millionen Mitte März. Auch in Italien und Spanien halbierte er sich von jeweils rund 60 auf unter 30 Millionen.
Für einen Teil des Umsatzeinbruchs ist Airbnb selbst verantwortlich: Die Plattform hat für Buchungen bis Mitte April die Stornierungsgebühren gestrichen. Den Großteil der Kosten tragen aber ohnehin Gastgeber, die nun zur hundertprozentigen Erstattung gedrängt werden.
Vermieter müssen Wohnungen wieder regulär vermieten
Tom sagt, er könne das nachvollziehen: „Zum einen, weil Airbnb selbst momentan Verluste anhäuft, und keiner weiß, wie lange das geht. Ferner sind die Gäste von heute auch die Gäste von morgen“, sagt er. „Irgendwann ist die Krise vorbei, und dann werden sich die Gäste an die kulante Art Airbnbs erinnern.“
Tom vermietet seine Wohnungen dauerhaft über die Plattform. Vermieter wie er werden oft dafür kritisiert, die Wohnungsnot in Städten wie Berlin zu verschärfen. Deshalb will er seinen Nachnamen auch nicht in der Zeitung lesen. Gegen das Berliner Zweckentfremdungsgesetz verstößt er aber nicht, unter anderem weil er schon vor dessen Inkrafttreten 2014 über Airbnb inseriert hat.
Für ihn waren die Vermietungen lange ein lukratives Geschäft. Zunächst hatten Tom und seine Frau sich mit der Vermietung nur eine eigene Wohnung finanzieren und dann ein zweites Standbein aufbauen wollen. Inzwischen leben sie ausschließlich davon. Doch je abhängiger die Gastgeber von ihren Airbnb-Vermietungen sind, desto härter trifft sie nun die Krise.
„Wir machen auch mal Kotze weg und putzen die Klos selbst“, sagt Tom. Wohnungen über Airbnb vermieten – das sei lukrativ, aber auch Arbeit. Im besten Fall bräuchten sie zwei Stunden für die Reinigung bei einem Mieterwechsel.
Dazu kommen Check-in, Wäschewaschen und die Organisation der Buchungen. Nach eigenen Angaben haben sie etwa 1000 Euro an laufenden Kosten im Monat, sagt er – für Nebenkosten, Grundkosten wie die Rundfunkgebühren, den Steuerberater, Versicherungen und Abschreibungen.
Und nun das: Im April wurden sämtliche Buchungen storniert, im Mai, Juni und Juli bisher die Hälfte, und auch für den August seien bereits 25 Prozent der Buchungen zurückgezogen worden, sagt Tom. „Der Virus trifft uns wie jedes mittelständische Hotel.“
Er erwartet nun eine Art „Marktbereinigung“. Einige Airbnb-Vermieter würden Wohnungen wieder an Studenten vermieten. Aus Vermieterforen weiß er, dass viele kaum eine andere Wahl haben dürften: „Viele hatten nur Dollarzeichen im Kopf und sind mit Unvernunft an das Thema rangegangen.“ Monatelang keine Touristen? Damit habe niemand gerechnet.
Zahl der Vermieter sinkt
Dass sich einige Vermieter bereits von Airbnb abwenden, zeigen auch die Airdna-Zahlen: In Deutschland sank die Zahl der Vermieter zwischen Januar und März von 162.000 auf 151.000. In größeren Märkten ist der Trend ähnlich: In den USA sank die Zahl von 1,045 Millionen Unterkünften auf rund eine Million, in China von 700.000 auf unter 600.000. Das Unternehmen kommentiert die Airdna-Zahlen nicht.
Allerdings gibt es inzwischen sogar Anzeichen, dass es einen Effekt auf den Wohnungsmarkt gibt – in bei Touristen beliebten Städten weltweit werden seit dem Ausbruch der Coronakrise wieder mehr Wohnungen regulär zur Vermietung angeboten.
Die Corona-Pandemie trifft die gesamte Reisebranche hart: Die Buchungsplattformen Booking und Expedia haben seit Mitte Februar 40 respektive 60 Prozent ihres Wertes verloren. Die Hotelkette Marriott schickte Zehntausende ihrer Mitarbeiter in den unbezahlten Zwangsurlaub. Doch für Airbnb kommt der globale Reisestopp zu einem besonders schlechten Zeitpunkt: Das Start-up wollte eigentlich im Laufe des Jahres an die Börse gehen.
Vor der Coronakrise versprach der Airbnb-IPO der größte Technologie-Börsengang des Jahres zu werden. Die Plattform ist schon heute eines der wertvollsten Start-ups der Welt. Mit 31 Milliarden Dollar oder 105 Dollar pro Aktie wurde die Reise-Plattform in ihrer letzten Finanzierungsrunde Mitte 2016 von Investoren wie Andreessen Horowitz oder Googles Investment-Arm Capital G bewertet.

Der Chef der Vermittlungsplattform könnte mit einer Verschiebung des Börsengangs viele Mitarbeiter verärgern.
Bei der Übernahme der Buchungsplattform Hotel-Tonight im März 2019, die Airbnb teilweise in eigenen Aktien tätigte, wurde der Wert von Airbnb sogar mit mehr als 35 Milliarden Dollar oder 120 Dollar pro Aktie taxiert. Bei einzelnen Transaktionen auf dem Sekundärmarkt stieg der Wert der Airbnb-Aktie auf bis zu 166 Dollar, was einer Gesamtbewertung von 52 Milliarden Dollar gleichgekommen wäre.
Mit diesem Rückenwind und der weltweiten Bekanntheit flirtete Airbnb-Chef Brian Chesky sogar mit einem Direct Listing als Airbnbs Weg an die Börse. Bei einer solchen Notierung ohne Konsortialbanken verzichtet das Unternehmen auf die PR-Roadshow und die Sicherungsmechanismen am ersten Börsentag, die einen plötzlichen Kursabsturz verhindern sollen. Doch Airbnb schien stabil genug, um auf all das verzichten zu können.
Auch eine Serie misslungener Börsengänge von prominenten Technologie-Unternehmen wie Lyft, Uber oder WeWork im Laufe des Jahres 2019 konnte Airbnb aus Sicht seiner Investoren nichts anhaben: Nach einer Auswertung des Handelsblatts von sieben Investmentfonds, die Anteile an Airbnb halten, bewerteten sie eine Airbnb-Aktie zum Jahreswechsel 2019/20 im Durchschnitt noch immer mit 120 Dollar. Einige der Fonds veröffentlichen den Wert ihrer Anteile jedes Quartal – sie müssen zum 31. März Airbnbs Wert neu taxieren.
Tiefrote Zahlen
Doch im zweiten Halbjahr 2019 häuften sich Negativschlagzeilen, nicht nur bei den Zahlen. Der dramatischste Zwischenfall für das Unternehmen ereignete sich bei einer Halloween-Party. Dabei wurden fünf Menschen in einer Airbnb-Wohnung in den USA erschossen. Ein Horror nicht nur für die Betroffenen, sondern für alle Vermieter und die Firma. Damals kündigte das Unternehmen unter anderem an, stärker gegen nicht genehmigte Partys vorzugehen.
Nachdem Airbnb die Jahre 2017 und 2018 nach eigener Angabe mit einem Ebitda-Profit im niedrigen zweistelligen Millionenbereich abgeschlossen hatte, glitt das Unternehmen 2019 tief in die roten Zahlen. Laut einem Bericht des digitalen Fachmediums „The Information“ sorgten stark erhöhte Marketing-Ausgaben im ersten Quartal 2019 für einen Verlust von 306 Millionen Dollar – doppelt so hoch wie im Vorjahreszeitraum.
Auch der Verlust im vierten Quartal 2019 verdoppelte sich gegenüber dem Vergleichszeitraum auf 276,4 Millionen Dollar, wie Bloomberg kürzlich berichtete.
Selbst der Marketing-Turbo konnte nicht dafür sorgen, den Umsatz entsprechend steigen zu lassen. Im vierten Quartal 2019 legte er zwar um 32 Prozent auf 1,1 Milliarden Dollar zu, wuchs damit aber langsamer als im Vorjahr.
Alleine in diesem Jahr sollen die Verluste von Airbnb in die Hunderte Millionen gehen. In einer bedrohlichen Lage steckt die Vermittlungsplattform damit aber noch nicht. Vier Milliarden Dollar Liquidität habe Airbnb derzeit, sagte ein Sprecher – drei Milliarden Dollar auf der Bank und eine Kreditlinie von einer Milliarde Dollar, die Airbnb bislang nicht angerührt habe.
Die Finanzagentur Bloomberg hatte dagegen vor zwei Wochen mit Berufung auf Insider berichtet, dass das Unternehmen nur noch zwei Milliarden Dollar an liquiden Mitteln vorweisen könne, eine Milliarde weniger als ein halbes Jahr zuvor.
Die Coronakrise setzt Gründer Brian Chesky nun unter Zugzwang: Das Wachstum, das sich zuvor schon verlangsamt hatte, dürfte nun endgültig passé sein. Zwar gelten die ersten drei Monate des Jahres ohnehin als eher schwaches Reisequartal – doch niemand weiß, wie lange der Corona-Effekt die Plattform leerfegen wird. Und auf ein defizitäres Start-up mit magerem oder gar keinem Wachstum wartet an der Wall Street niemand.
Mitarbeiter dringen trotz allem auf Börsengang
Laut Medienberichten lotet Airbnb derzeit aus, zu welcher Bewertung eine weitere, private Finanzierungsrunde stattfinden könnte. Ron Conway, einer der ersten Airbnb-Investoren, sagte CNBC am Freitag, er erhalte zahlreiche Anrufe großer Tech-Investoren, die gerade jetzt investieren wollten.
Die Frage ist nur, wie tief die Bewertung dabei sinken könnte. Selbst die Marke von 31 Milliarden Dollar aus der letzten Runde 2016 dürfte laut Insidern in der aktuellen Situation nicht mehr zu halten sein. Nicht nur vier Jahre Wertzuwachs wären verloren – eine „Downround“ genannte Finanzierung zu einem gesunkenen Wert weckt im wachstumsverwöhnten Silicon Valley das Schamgefühl.
Eigentlich könnte die Coronakrise Airbnb den perfekten Anlass geben, den Börsengang abzusagen. Die Cashreserven dürften selbst in einem grausamen Jahr 2020 ausreichen, und nach ausgestandener Krise könnten die Wachstumsraten umso beeindruckender aussehen. Doch bei einer Absage würde dem Unternehmen ein Aufstand vieler langjähriger Mitarbeiter drohen, die dann leer ausgehen könnten.
Wie „The Information“ berichtet, hat das Unternehmen an viele Mitarbeiter, die während einer großen Einstellungswelle 2014 und 2015 zu Airbnb gekommen sind, sogenannte „Restricted Stock Units“ (RSU) statt der üblichen Aktienoptionen verteilt und ihnen nur in sehr engem Rahmen erlaubt, diese auf Sekundärmärkten zu verkaufen.
Diese RSUs werden erst bei einem Börsengang in Aktien umgewandelt und haben ein Verfallsdatum – im Airbnb-Fall sieben Jahre nach Ausgabe. Im November würden die ersten Mitarbeiter ihre Chance auf einen großen Zahltag verlieren, Mitte 2021 wären die nächsten dran: ein katastrophales Signal für die Moral in der Zentrale in 888 Brennan Street in downtown San Francisco.
Vergangenen Sommer schrieben Mitarbeiter einen Brief an Chesky und seine Mitgründer Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk und drangen auf einen Börsengang – die reagierten im September mit der einzeiligen IPO-Ankündigung für das folgende Jahr.
„Wir sehen unser Maßnahmenpaket nur als ersten Schritt an“
Nun scheint Airbnb keine guten Alternativen mehr zu haben. Die Krise aussitzen und von den Barreserven zu leben ist riskant, eine Downround hinnehmen dagegen blamabel. Ein Direct Listing scheint in der aktuellen Marktstimmung ausgeschlossen und würde zudem kein zusätzliches Geld in die Kasse spülen. Laut „Wall Street Journal“ wird in Airbnbs Board aktuell wieder über einen klassischen Börsengang beraten – mit Banken und Millionenkosten, die sich Chesky eigentlich sparen wollte.
Vergangene Woche bat Airbnb deshalb erst einmal um Hilfe. In einem offenen Brief an US-Politiker bat Chris Lehane, der oberste Lobbyist des Unternehmens, um Notfallkredite für die Gastgeber auf der Plattform, denen nun das Geschäft wegbreche. Von der Börsenhoffnung zum Bittsteller – in Zeiten von Corona geht das schnell.
Airbnb-Vermieter Tom hat für schlechte Zeiten vorgesorgt. Erst nach einem Jahr würde ein Ausbleiben der Touristen für seine Familie kritisch, sagt er. Deshalb kann er nun selbst seinen Beitrag zur Krise leisten. Ab Ende März vermietet er vorübergehend zum Selbstkostenpreis an Gastmitarbeiter der Berliner Charité und dem Robert Koch-Institut, deren Häuser fußläufig von seinen Wohnungen zu erreichen sind.
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Die Aussage "Die Plattform hat für Buchungen bis Mitte April die Stornierungsgebühren gestrichen" stimmt nur bedingt. Bei mir wurde die Servicegebühr einbehalten und in Form eines Gutscheins, der nur bis zum 30.12.20 gültig ist, hinterlegt. Denke so verdient airbnb auch trotz Stornierungen noch was daran...
Auch die Aussage: „Irgendwann ist die Krise vorbei, und dann werden sich die Gäste an die kulante Art Airbnbs erinnern.“ kann ich nicht nachvollziehen. Was ist daran kulant, wenn mir seitens der Bundesregierung von privaten Reisen abgeraten wird, ich diese eigentlich nicht antreten kann? Die Veranstaltung fällt aus (angeordnet), also steht mir auch zu, die Kosten ersetzt zu bekommen und zwar vollständig!