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Studie Der Hype um KI-Start-ups ist vorbei – jetzt kommt es auf Qualität an

Immer weniger Gründer fokussieren sich auf Künstliche Intelligenz, zeigen jüngste Daten. Denn nur wer global denkt, erhält hohe Finanzierungen.
09.03.2021 - 04:00 Uhr Kommentieren
Europäische Chance bei Übersetzungen. Quelle: Christopher Kränzler
Lengoo-Gründer Christoph Kränzler

Europäische Chance bei Übersetzungen.

(Foto: Christopher Kränzler)

Hamburg Auf die Frage, wo er China im Vergleich zu Europa bei Künstlicher Intelligenz (KI) sieht, kann Han Xiao ein Lachen gerade noch unterdrücken. Natürlich sei China bei dem Thema weit voraus, sagt der frühere Entwickler des chinesischen Techriesen Tencent im Videogespräch, gerade bei Anwendungen für Endverbraucher. Doch der größte Teil der 25 Mitarbeiter seines KI-Start-ups Jina AI arbeitet nicht im Pekinger, sondern im Berliner Büro. Denn, so sagt der Gründer, die deutsche KI-Szene habe verborgene Stärken.

Eine aktuelle Studie des Münchener Gründerzentrums UnternehmerTUM zeigt: Unter den deutschen KI-Start-ups trennt sich die Spreu vom Weizen. „Die Hype-Welle ist vorbei – aber das ist nicht unbedingt negativ“, sagt Philipp Hartmann, KI-Strategiechef bei UnternehmerTUM.

Die Qualität steigt: Inzwischen zeichnet sich ab, dass Gründer wie Xiao inzwischen größere Summen an Risikokapital bekommen. Aussichtsreich sind Start-ups, die eine echte KI-Infrastruktur aufbauen wollen. Sie sind zwar in der Minderzahl, doch haben sie die bessere Wachstumsperspektive – und locken so Investoren. Die Kehrseite: Vor allem bei Anbietern von sehr spezialisierten KI-Anwendungen für Unternehmen gibt es Ernüchterung. Sie bekommen nur wenig Risikokapital, weil ihre Ambitionen zu klein sind.

So ist 2020 die Zahl der Neugründungen in dem Bereich zum zweiten Mal in Folge gesunken und erreicht nur noch das Niveau von 2011. Von den 278 erfassten KI-Start-ups sind nur elf im Jahr 2020 neu entstanden. Dabei gilt KI global als Schlüsseltechnologie. Die Bundesregierung hat eigens eine „Zukunftsstrategie“ entworfen. Seit wenigen Jahren sind die Rechenkapazitäten groß genug, um breite Anwendungsfelder zu bespielen – etwa die inhaltliche Analyse von Texten, Bildern und Videos.

Das ermöglicht es auch Start-ups, auf Grundlage dieser Technologie Anwendungen zu entwickeln. Voraussetzung sind immer große Datenbestände. Daher gehören besonders Konzerne zu den potenziellen Kunden der Start-ups. Jetzt entscheidet sich, ob die Großunternehmen mit Technologieanbietern aus Deutschland zusammenarbeiten werden oder ob die globale Konkurrenz das Rennen macht.

Jina AI ist ein Beispiel für die Hoffnungsträger der Branche. Gründer Xiao ist mit seinem Unternehmen erst im Februar 2020 gestartet, hat jedoch bereits 7,4 Millionen Dollar Risikokapital bei Investoren aus China, den USA und dem Wagniskapitalarm SAPs eingesammelt.

Sein Ziel ist, eine Art Programmiersprache für KI-getriebene Suchanwendungen zu entwickeln. Konkret geht es bei Jina AI um Fragen, die Xiao schon als Entwickler bei Zalando und Tencent umgetrieben haben: Wie können etwa Webshop-Betreiber anhand von Nutzerfotos ähnliche Kleidungsstücke empfehlen? Jina AI will dafür keine eigenen Suchmaschinen anbieten, sondern das Werkzeug, diese in kurzer Zeit selbst zu bauen.

Xiao setzt auf Open Source und will die ersten drei Geschäftsjahre nutzen, frei verfügbaren Quellcode zu entwickeln. Erst dann soll Jina AI mit darauf aufsetzenden Angeboten Umsatz machen. Dieser Ansatz ist der Grund dafür, dass der Schwerpunkt seines Unternehmens in Berlin liegt. „In Europa sind mehr Entwickler, die das Prinzip Open Source verstehen. In China stoße ich meist auf Skepsis“, erklärt Xiao.

Der Chinese, der in München studiert und promoviert hat, sieht in Europa eine starke Open-Source-Tradition. Dafür stehe etwa das offene Betriebssystem Linux, das der Finne Linus Torvalds angestoßen hat.

Zu wenig Infrastruktur, zu viel Kleinanwendungen

Solche Ansätze seien für Start-ups mit Wachstumsambitionen besonders erfolgversprechend, sagt Experte Hartmann. Gut positioniert seien Gründer, die stärker an die Grundlagen der Technologie gehen. Allerdings seien solche Modelle in Deutschland noch zu selten, urteilt Hartmann. „Es wäre vorteilhaft, mehr Grundlageninfrastruktur selbst zu entwickeln“, sagt er. Das erfordert viel Geld, denn Konkurrenz droht in großen Plattformanbietern aus den USA, bis hin zu den Cloud-Services von Amazon, Google und Microsoft.

Dafür fehlt es bislang an Finanzierung. Die Funding-Summen bleiben laut der Studie in Deutschland zuletzt konstant, während sie in anderen Feldern und Ländern deutlich steigen. „Ein deutsches KI-Start-up braucht fünf bis sieben Jahre, um 15 Millionen Euro Risikokapital zu bekommen“, sagt Hartmann, „das ist vergleichsweise lang.“

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Nur 14 Prozent der deutschen KI-Start-ups haben bislang mehr als zehn Millionen Euro Risikokapital erhalten. 40 Prozent müssen sogar mit weniger als einer Million auskommen. Um unter die hiesigen Top Ten der höchstfinanzierten KI-Start-ups zu kommen, genügen vergleichsweise magere 20 Millionen Euro.

Doch es gibt Lichtblicke. Der frühere Apple-Manager Jonas Andrulis etwa hat wenige Monate nach Gründung 5,3 Millionen Euro für sein Heidelberger Start-up Aleph Alpha bei europäischen Kapitalgebern eingesammelt. Ziel ist die Entwicklung einer KI für die europäische Sprachvielfalt, die mittelfristig mit dem viel beachteten Sprachgenerator OpenAI mithalten soll. „Es ist positiv, dass auch deutsche Gründer solche großen Themen angehen“, sagt Hartmann.

Chancen für Europäer

In einem ähnlichen Feld ist Lengoo unterwegs. Die Berliner haben im Februar in ihrer zweiten Wachstumsfinanzierungsrunde 20 Millionen Euro eingenommen. Damit wollen sie ihren Übersetzungsdienst über Europa hinaus nach Nordamerika ausweiten. „Übersetzungen sind einer der wenigen Bereiche, in denen wir in Europa noch einen Weltmarktführer aufbauen können“, sagt Mitgründer Christopher Kränzler selbstbewusst. Das gilt für den gesamten Tätigkeitsbereich: „Anders als bei der Digitalisierung haben wir im Bereich KI noch die Chance, uns als Europäer mit an die Weltspitze zu setzen“, sagt der Absolvent der New Yorker Columbia University.

Lengoo hat Software entwickelt, mit der sich offene Übersetzungs-KIs wie OpenNMT auf spezielle Anwendungsfälle einzelner Unternehmen schulen lassen, etwa zur Übersetzung von Bedienungsanleitungen komplexer Maschinen eines Herstellers. Anschließend kontrollieren Fachübersetzer das Ergebnis. Die Unternehmenskunden können Lengoo dabei wie ein klassisches Übersetzungsbüro beauftragen, was jedoch – so der Anspruch – sehr viel schneller arbeiten kann.

Kränzler sieht in diesem Komplettservice einen Hauptgrund für das Interesse der Investoren an seinem Unternehmen: „Unsere Kunden interessieren sich zwar auch für KI, aber in erster Linie wollen sie einen zuverlässigen, schnellen und günstigen Übersetzungsservice.“ Durch das konkrete Angebot sei Lengoo kommerziell erfolgreich – anders als andere KI-Start-ups. „Sie haben das typische deutsche Problem: Sie sind gut in der Forschung, aber beim Transfer in ein vermarktbares Produkt hapert es“, sagt er.

Dieses Problem sieht auch Experte Hartmann. Von den 241 deutschen KI-Start-ups, die UnternehmerTUM vor einem Jahr auf der Liste hatte, sind 21 inzwischen liquidiert worden, 16 haben ihren Fokus von KI wegbewegt. Im Schnitt gaben diese Gründer nach knapp vier Jahren auf.

Schwer haben es bei Investoren Modelle, die KI für ein spezielles Einsatzfeld in Unternehmen nutzen wollen. Sie passen oft bestehende KI-Technologie an. Hartmann nennt die Qualitätskontrolle per Bilderkennung als ein Beispiel. Inzwischen zeige sich, dass die KI etwa für unterschiedliche Produkte jeweils aufwendig mit Daten geschult werden muss. Für Investoren ist das weniger attraktiv: Es bedeutet, dass mit dem Umsatz auch die Kosten steigen – anders als andere Softwaremodelle. „Viele Start-ups in dem Bereich merken, dass ihr Modell nicht skaliert“, sagt Hartmann „Wachstumserwartungen werden so nicht erfüllt.“

Neuorientierung als Ausweg

Daher finanzieren die Risikokapitalgeber solche Start-ups häufig nicht weiter. Das bedeutet das Aus – und die Beschränkung auf ein Modell, bei dem das junge Unternehmen weniger als Tech-Start-up denn als Consultant auftritt. Das Wachstumspotenzial ist begrenzt. „Das ist besonders fatal, weil sich immerhin 52 Prozent der deutschen KI-Start-ups auf Branchenlösungen fokussieren. Nur knapp elf Prozent arbeiten am Kern von KI-Anwendungen. 21 Prozent befassen sich mit übergreifender Enterprise-Software für Unternehmen, 16 Prozent mit Enterprise Intelligence.

Ein Beispiel ist Maiot. Die Gründer starteten mit der Idee, Wartungsnotwendigkeiten von Lkws durch KI vorauszusagen. Erste Anwendungen funktionierten, doch mit Beginn der Pandemie gingen die Aufträge aus. „Wir mussten einen neuen Weg einschlagen – und haben unternehmerisch gehandelt“, beschreibt Gründer Benedikt Koller in einem Eintrag im Firmenblog. Nach einer Reihe von Gesprächen war für ihn klar: Der erfolgversprechendere Ansatz ist, die selbst entwickelte Lösung fürs Maschinenlernen als Infrastruktur zu vermarkten, statt selbst daraus ein spezialisiertes Produkt zu entwickeln. Auch Maiot setzt dabei auf Open Source.

Positive Ausnahmen sind solche spezialisierten Anwendungen, die auf einen großen Markt zielen. Das Münchener Start-up Konux ist mit 107 Millionen Euro Risikokapital das bestfinanzierte deutsche KI-Start-up. Es soll 1300 Weichen der Deutschen Bahn mit Überwachungssensoren ausrüsten. Die Bahn will damit die Verspätungen durch Weichenstörungen minimieren.

Der Großauftrag weckt die Hoffnung, dass Konux weltweit Eisenbahnbetreiber ausstatten könnte. Sich selbst beschreibt das Unternehmen als Gründung aus dem Bereich Internet der Dinge – auch hier stammt der Nutzen also aus der Umsetzung der KI-Technologie in ein konkretes Produkt.

In solchen Ideen sieht auch Jina-AI-Gründer Xiao eine mögliche Stärke für europäische KI-Unternehmen: Bei Anwendungen für Unternehmen könne der Kontinent mit Nordamerika und Asien mithalten. „Jetzt müssen noch die europäischen Investoren mutiger werden“, fordert der Gründer.

Mehr: Diese Seriengründer bauen einen KI-Campus in Berlin

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