Superrechner IBM vermeldet neuen Weltrekord im Quantenrennen – Fachleute sind skeptisch

In den USA belaufen sich die öffentlichen Investitionen auf gerade mal 1,3 Milliarden Dollar. Die Forschung wird dort von Privatunternehmen finanziert.
Düsseldorf, München Nur knapp drei Wochen hielt die Erfolgsmeldung eines Forscherteams aus China, den schnellsten Quantencomputer der Welt mit 66 Qubits entwickelt zu haben. Am Dienstag kündigte der US-Konzern IBM einen Prozessor namens Eagle mit 127 Qubits an.
Qubits, beziehungsweise Quanten-Bits, können im Gegensatz zu den Bits herkömmlicher Computer nicht nur die Zustände „eins” und „null” annehmen, sondern theoretisch unendlich viele Zustände dazwischen. Jedes dazukommende Qubit verdoppelt die Anzahl der gleichzeitig darstellbaren Zustände, daher gilt die Zahl als Leistungsmerkmal. Doch während IBM von einem Durchbruch spricht, warnen Experten vor zu großen Erwartungen.
Weltweit arbeiten Forscher und Entwickler mit Hochdruck an der Technologie. Obwohl sich die Forschung noch im Grundlagenstadium befindet und nicht klar ist, ob sie sich je für den kommerziellen Einsatz eignen wird, ist ein Hype um Quantencomputer entstanden. Staaten und Unternehmen stecken Milliarden in die Forschung – aus Sorge, bei der wichtigen Zukunftstechnologie abgehängt zu werden.
Quanteninformatik gilt als Grundlage für Innovationen, als entscheidend für die mittel- und langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaften. Forscher erhoffen sich von ihr Durchbrüche etwa in Medizin, Chemie oder Künstlicher Intelligenz.
Immer neue Erfolgsmeldungen täuschen leicht darüber hinweg, wie weit die Welt noch vom nächsten Quantensprung entfernt ist. Das gilt auch für die Neuigkeiten von IBM: „Die Einführung des ‚Eagle‘-Prozessors ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem Tag, an dem Quantencomputer klassische Computer in bedeutendem Umfang übertreffen können“, sagte IBM-Forschungsdirektor Darío Gil. Es bestehe das Potenzial, „nahezu jeden Sektor zu verändern und uns dabei zu helfen, die größten Probleme unserer Zeit anzugehen“.
Der Weg ist allerdings noch lang. Die Ankündigung eines 127-Qubit-Quantencomputers sei zwar „technologisch beeindruckend, aber kein Durchbruch“, sagt Dominik Wild vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München. Es handle sich um einen „Weltrekord, wie viele Qubits kontrolliert werden“, das sei zwar für die Forschung interessant, eine Anwendung mit kommerziellem Nutzen sei ihm jedoch nicht bekannt.
Globales Kräftemessen bei Quantencomputern
Die „Zahl der Qubits allein gibt keinen Aufschluss über die Leistungsfähigkeit“, gibt auch Gunnar Langfahl vom Forschungsverbund Quantum Valley Lower Saxony (QVLS) in Hannover zu bedenken. Entscheidend sei, dass diese möglichst fehlerfrei interagieren und gezielt ansteuerbar, also programmierbar seien.
„Wenn die Fehlerquote zu hoch ist, erzeugt der größte Quantencomputer keine sinnvollen Ergebnisse“, betont der Quantenphysiker. Bei einem Fahrrad sei schließlich auch nicht allein die Zahl der Gänge entscheidend dafür, wie schnell es fahren könne.
Langfahl beobachtet derzeit ein regelrechtes „Kräftemessen bei Quantencomputern“. So kündigte IBM bereits bis 2023 ein Modell mit 1100 Qubits an. Es soll bei bestimmten Aufgaben besser oder kosteneffizienter als klassische IT-Systeme sein und erste industrielle Anwendungen ermöglichen. Google will bis Ende des Jahrzehnts einen Quantencomputer mit einer Million Qubits entwickeln. Diese Zahl ist nach aktuellem Wissensstand notwendig, um einen Quantencomputer für eine breitere Anwendung zu bauen.
Während es in den USA vor allem private Unternehmen wie IBM, Google und Amazon sind, die mit großen Teams die Quantenforschung vorantreiben, setzt China auf staatlich geförderte Forschungseinrichtungen wie die Chinesische Universität für Wissenschaft und Technik in Hefei (USTC). Deren Forschungsteams hatten Ende August gleich zwei verschiedene Quantencomputer vorgestellt, die auf unterschiedlichen Technologien basieren und damit bewiesen, dass sie an der Weltspitze mitforschen.
China hat bislang mehr als 15 Milliarden Dollar öffentlicher Investitionen in Quantentechnologien angekündigt, wie aus einer Analyse der Unternehmensberatung McKinsey hervorgeht. Das ist mehr als doppelt so viel wie die Europäische Union. In den USA belaufen sich die öffentlichen Investitionen auf gerade mal 1,3 Milliarden Dollar. Die Forschung wird dort von Privatunternehmen finanziert.
Schlüsselrolle für technologische und digitale Souveränität
„Der Rest der Welt schläft gerade in diesem Bereich nicht“, konstatierte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sommer. Quantencomputer spielten in den Bemühungen um „technologische und digitale Souveränität eine Schlüsselrolle“ und damit auch für Wachstum und Beschäftigung, betonte die Physikerin damals. Die Bundesregierung hat im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets zwei Milliarden Euro an Investitionen für die Quantentechnologie zugesagt.
Gut 40 Millionen Euro wendet das Bundesforschungsministerium jetzt für einen IQM Quantencomputer mit 20 Qubits auf. Dieser soll bis 2023 in einen Höchstleistungsrechner des Leibniz-Rechenzentrums integriert werden. Es setzt damit auf ein Konsortium um das europäische Start-up IQM mit Sitz in München und dem finnischen Espoo.
Zum offiziellen Start des Projekts am Montag sagte IQM-CEO Jan Goetz: „Die reine Anzahl der Qubits ist gar nicht das Wichtigste, sondern die Art und Weise, wie sie genutzt werden.“ Mit der Integration in ein Rechenzentrum soll gewährleistet werden, dass der Quantencomputer in den Dauerbetrieb überführt wird und Unternehmen in die Weiterentwicklung und in Tests erster Anwendungsfälle eingebunden werden können.
Auch IBM setzt bei der Entwicklung konkreter Anwendungen auf die Kooperation mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Partner können über die Cloud auf ein System in Ehningen bei Stuttgart zugreifen. Die Hoffnung: Sobald die neue Computerarchitektur sich für einen breiten Einsatz eignet, soll die Wirtschaft dafür bereit sein – und die Technologie von IBM nutzen.
Quantenexperte Wild kennt einige solcher Projekte, bei denen Unternehmen sinnvolle Einsatzbereiche für Quantentechnologie erforschen sollen. Für die tatsächliche, kommerzielle Anwendung reiche diese Rechenleistung jedoch noch nicht aus. So könne mit einem 20-Qubit-Prozessor ein vergleichsweise kleines Molekül für chemische Anwendungen simuliert werden. Für den Einsatz in der Pharmaindustrie, die mit großen Molekülen arbeitet, sei die Rechenleistung jedoch zu gering.
Forscher dämpfen Erwartungen
Doch selbst wenn es gelänge, kommerziell nutzbare Quantencomputer zu bauen, seien diese „kein Zaubermittel“, sondern nur für die Lösung sehr spezifischer Probleme geeignet, dämpft Experte Wild die Erwartungen. Ein Beispiel ist die Primfaktorzerlegung, auf der Verschlüsselungstechniken basieren. Ein genügend leistungsfähiger Quantencomputer könnte viele gängige Verschlüsselungssysteme knacken – aber auch unhackbare Systeme schaffen.
Wann und ob der Einsatz von Quantencomputern rentabel wird, vermag derzeit niemand zu prognostizieren. „Wenn Physiker sagen, in fünf bis zehn Jahren, dann wissen sie es nicht“, scherzt Wild. Andernfalls würden sie eine Lösung „in zwei bis drei Jahren“ in Aussicht stellen.
Mehr: Einstieg in einen Milliardenmarkt: Amazon entwickelt eigenen Quantencomputer
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