Technologie TomTom verabschiedet sich schleichend vom Navi

Das niederländische Unternehmen will einen neuen Geschäftszweig aufbauen.
München Was Booking.com für Hotels und Netflix bei Serien, das möchte Tomtom künftig bei Autoreisen sein: Die erste Adresse im Internet, wenn Leute einen Trip mit dem Wagen planen. „Wir wollen das beste Angebot für Fahrer machen“, sagte Mike Schoofs, Chef des Privatkundengeschäfts des Technologiekonzerns, dem Handelsblatt.
Im September startet der neue Dienst, der mindestens zehn Millionen aktive Nutzer pro Monat anziehen soll. „Es geht darum, die Menschen zu inspirieren“, so Schoofs. Der Plan des Managers: Die Konsumenten sollen ihre Ferien und Ausflüge mit dem Auto auf der Plattform zunächst planen. Dann sollen sie die App während der Reise nutzen.
Zudem sollen die User auf dem Portal ihre Eindrücke schildern sowie Fotos und Videos veröffentlichen. Durch Abonnements, aber auch über Vermittlungsgebühren von Partnern und Werbung könnte Tomtom daran verdienen.
Der Konzern aus Amsterdam muss sich zwingend neue Einnahmequellen erschließen. Denn das angestammte Geschäft mit Navigationsgeräten schrumpft seit Jahren. Der Versuch, stattdessen mit Sportuhren zu wachsen, ist gescheitert.
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So ist der Umsatz des Konzerns vergangenes Jahr um knapp fünf Prozent auf 861 Millionen Euro zurückgegangen. Zum Vergleich: 2007 erzielten die Niederländer noch Erlöse von 1,7 Milliarden Euro. Dieses Jahr werden die Einnahmen noch viel stärker fallen, weil Vorstandschef Harold Goddijn sein Geschäft mit Angeboten zur Steuerung von Fahrzeugflotten gerade abgestoßen hat. Es stand 2018 für 174 Millionen Euro Umsatz. Der Reifenhersteller Bridgestone legte für die sogenannte Telematik-Sparte 910 Millionen Euro hin.
Das börsennotierte Unternehmen mit mehr als 4000 Mitarbeitern ist für seine Navis bekannt. Mehr als 100 Millionen Geräte haben die Niederländer seit der Firmengründung 1991 abgesetzt. Die Kunden nutzen freilich schon seit Jahren lieber ihre Smartphones, um sich den Weg weisen zu lassen, oder die im Auto fest eingebauten Navis. So sanken die Erlöse der Sparte vergangenes Jahr um fast ein Viertel.
Dem einzigen global tätigen Konkurrenten bei den Navigationsgeräten geht es nicht viel besser: Beim US-Konzern Garmin gab der Umsatz mit den Apparaten vergangenes Jahr um knapp ein Fünftel nach. Im ersten Quartal verlor die Division erneut ein Zehntel ihrer Erlöse im Vergleich zum Vorjahr.
Interessante Adressen in 186 Ländern
Garmin erzielt etwa doppelt so viel Umsatz mit Navis wie Tomtom. Und das Unternehmen aus Kansas hat es im Gegensatz zu Tomtom geschafft, mit Sportuhren und Fitnessarmbändern Athleten zu überzeugen.
Kernkompetenz der Niederländer sind aber ohnehin nicht die Navis an sich, sondern Kartendaten, die Tomtom seit Jahrzehnten sammelt. Die elektronischen Straßenkarten, die dazugehörige Navigationssoftware sowie Verkehrsinformationen verkauft der Konzern höchst erfolgreich an Autohersteller wie BMW, Daimler oder VW. In bis zu 90 Prozent aller Fahrzeuge weltweit seien Daten von Tomtom zu finden, behauptet der Konzern.
Auch große Technologiefirmen wie Apple und Microsoft gehören zu den Abnehmern, zudem der Fahrdienstleister Uber. Dieses Geschäft ist vergangenes Jahr um zwölf Prozent gewachsen und steht nach dem Verkauf der Telematik-Sparte für mehr als die Hälfte aller Erlöse.
Für das autonome Fahren sind hochauflösende digitale Karten unerlässlich. Daher rechnet Tomtom langfristig mit kräftig steigenden Umsätzen. Noch ist es aber nicht so weit und niemand weiß, wann die Autos wirklich selbstständig über die Straßen kurven werden.
Die gewaltige Menge an Kartendaten will Manager Schoofs daher erst einmal nutzen, um die neue Urlaubsplattform aufzubauen. 120 Millionen für Reisende interessante Adressen enthält die Software von Tomtom, von Tankstellen über besonders empfehlenswerte Streckenabschnitte bis hin zu Hotels und Raststätten. Und das in 186 Ländern.
Schoofs hofft, das neue Angebot über Partnerschaften bekannt zu machen: Der Niederländer will mit Airlines zusammenarbeiten, mit Autovermietern oder Verlagen, die Reiseführer anbieten. Weil der Service erst nach den Sommerferien startet, sei dieses Jahr noch nicht mit nennenswerten Einnahmen zu rechnen. So erwartet der Konzern, dass der Umsatz aus den fortgeführten Geschäftsbereichen bei rund 675 Millionen Euro stagniert.
Doch Schoofs will nicht kleckern, sondern klotzen: „Das soll richtig groß werden.“ Drei bis fünf Jahre gibt er sich Zeit, die Plattform weltweit zu verbreiten. Die Anleger sind aber skeptisch. Seit vergangenem Sommer ist der Tomtom-Aktienurs um rund ein Fünftel eingebrochen. Momentan notieren die Papiere bei rund 7,30 Euro.
Vier Analysten empfehlen sie gleichwohl zum Kauf. Am zuversichtlichsten sind die Banker von ABN Amro, die einen Kursanstieg auf zehn Euro erwarten. Zu den besten Zeiten der Navis im Jahr 2008 blätterten die Investoren indes mehr als 50 Euro pro Aktie hin. Ob die Firma mit dem neuen Angebot für Konsumenten den Weg in solche Höhen wiederfindet, ist offen.
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