Telekommunikation Enttäuschung 5G – Warum der neue Standard Kunden noch wenig bringt

Im Magenta-Netzt können bereits viele Kunden 5G nutzen. Doch die wirklichen Vorteile des Standards werden erst in einigen Jahren für alle verfügbar sein.
Düsseldorf „Im größten und besten 5G-Netz Deutschlands surfst du schneller als der Blitz“, verspricht die Deutsche Telekom in ihrer Werbung. Zwei Jahre nach dem Start des Echtzeitmobilfunks 5G in der Bundesrepublik können Millionen von Menschen die Technik nutzen. Nahezu alle neuen Smartphones unterstützen den Standard. Mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands (53 Prozent) wird laut Berechnungen der Bundesnetzagentur bereits mit 5G versorgt.
Eigentlich sollte jetzt also das viel gepriesene 5G-Zeitalter anbrechen. Aber die Erfahrung vieler Endkundinnen und Endkunden mit 5G ist enttäuschend, es bietet aktuell nur wenig zusätzlichen Nutzen. Dafür gibt es zwei Gründe.
Zunächst ist da die Technik. Das Handelsblatt hat alle Netzbetreiber nach dem aktuellen Stand ihres 5G-Ausbaus befragt. Dabei ergibt sich ein ernüchterndes Bild. Zwar versorgt die Telekom nach eigenen Angaben mehr als 71 Millionen Menschen in Deutschland mit 5G. Allerdings bieten von den 18.000 5G-Standorten in Deutschland nur 800 den besonders leistungsstarken Frequenzbereich von 3,6 Gigahertz (GHz).
Erst ab diesem Frequenzbereich sind die vollen Vorzüge des neuen Mobilfunk-Standards mit extrem schneller Datenübertragung über einem Gigabit pro Sekunde nutzbar. Jedoch ist die Reichweite der Antennen in diesen Bereichen niedriger. Um die gleiche Fläche abzudecken, werden deutlich mehr Standorte benötigt. Das ist nur in städtischen Ballungsräumen umsetzbar, wo viele zahlende Kunden auf engem Raum zusammenleben.
Bei Vodafone unterstützen 450 von 6000 Standorten den 3,6-GHz-Bereich. Telefónica ist als letzter der drei Netzbetreiber in das Wettrennen um 5G eingestiegen, hat jedoch von Beginn an konsequent auf 3,6 GHz gesetzt. Von nur 1500 Standorten bieten so immerhin 1.200 den 3,6-GHz-Frequenzbereich.
Im Endeffekt bedeutet das: Vor allem Telekom und Vodafone bieten Millionen Kunden bereits formell „5G“ an. Jedoch erhält vor allem die Kundschaft in der Nähe der wirklich leistungsfähigen Standorte auch vollwertiges 5G. Kunden außerhalb der größten Innenstädte merken hingegen kaum eine Verbesserung zum bestehenden 4G-Netz.
Es fehlt eine „Killer-App“ für 5G
Der zweite Grund für die Enttäuschung vieler Nutzer liegt im Fehlen wirklich leistungsstarker 5G-Anwendungen. Selbst wer mit seinem Smartphone an einem 3,6-GHz-Standort eingewählt ist, kann die Leistung kaum nutzen. „Die häufigste Anwendung im 5G-Netz ist ein Geschwindigkeitstest“, sagt ein ranghoher Manager eines Netzbetreibers. Aus Mangel an Alternativen nutzen die Kunden – wenn überhaupt – Speedtest-Apps. Ausgewiesene Downloadgeschwindigkeiten von einem Gigabit und mehr pro Sekunde werden derzeit von fast keiner App wirklich ausgereizt.
Ein Beispiel: Videostreaming gilt als eine Anwendung mit besonders hohen Anforderungen an die Bandbreite. Doch selbst Video-Anbieter wie Netflix, Amazon Prime Video oder Joyn reizen die Möglichkeiten von 5G bei Weitem nicht aus. Netflix empfiehlt für das Streaming von Videos im aktuellen besonders hochauflösenden Auflösungsstandard 4K (Ultra HD) eine Internetverbindung mit mindestens 25 Megabit pro Sekunde.
Zum Vergleich: Die Deutsche Telekom bietet in ihrem 4G-Netz bis zu 300 Megabit pro Sekunde, Vodafone bis zu 500 Megabit. Rechnerisch könnten Vodafone-Kunden mit ihrem 4G-Vertrag also bis zu 20 Videos in 4K-Qualität gleichzeitig streamen. Mit voller 5G-Geschwindigkeit würden daraus 40.
Wozu das führt, hat der schwedische Netzausrüster Ericsson in einer Studie ermittelt. Das ernüchternde Ergebnis: Die Erstnutzer vor 5G sind enttäuscht. „70 Prozent sind unzufrieden über fehlende innovative Dienste und erwarten Anwendungen, die die Fähigkeiten von 5G auch nutzen“, heißt es in der Analyse des Ericsson Consumer & IndustryLab, die sich auf eine Befragung von rund 31.000 5G-Nutzern stützt.
Dabei wären die Nutzer laut der Erhebung in 26 analysierten Ländern bereit, im Durchschnitt 20 bis 30 Prozent mehr für 5G-Dienste zu bezahlen. Aber die entsprechenden Anwendungen wie 3D-Hologramme, 5G-Unterhaltung im Auto oder 360-Grad-Videolivestreams sind noch nicht auf dem Massenmarkt angekommen.
Ericsson zeigt sich dennoch überzeugt, dass das Potenzial der Technik gewaltig ist. 31 Billionen Dollar soll der Umsatz mit auf 5G basierenden Diensten im Jahr 2030 betragen.
Löchriges 5G-Netz
Noch zeigen sich aber auch viele Entwickler von 5G-Anwendungen zurückhaltend. Das hat wieder mit dem technischen Ablauf der 5G-Einführung zu tun: Das Netz ist in Deutschland und vielen anderen Ländern ein Flickenteppich.
Der Mobilfunk-Dienstleister Opensignal hat die 5G-Netze in vielen Ländern analysiert. In Deutschland kommt die Firma zu dem Schluss, dass Kunden mit einem 5G-fähigen Smartphone und einem 5G-fähigen Vertrag letztlich nur einen Bruchteil ihrer Zeit im Netz auch wirklich Zugang zu 5G haben. Bei der Deutschen Telekom lag der Wert bei 11,1 Prozent der Zeit, Vodafone kommt nur auf 4,3 Prozent, Telefónica auf 4,1 Prozent.
Für den dänischen Telekommunikationsexperten John Strand ist beim Thema 5G zudem noch ein weiterer Aspekt wichtig: Der Mobilfunkstandard ist noch nicht abgeschlossen. In mehreren Runden legt das Standardisierungsgremium 3GPP fest, welche Funktionen zu 5G dazugehören müssen.
Die wirklich spannenden Entwicklungen kommen erst mit der Umsetzung der Standards der kommenden zwei Jahre, ist Strand überzeugt: „Vorher werden wir keine wirklichen 5G-Funktionen bekommen. Bis dahin ist 5G nur ein Weg für die Netzbetreiber, um günstiger Datentransfers abzuwickeln.“
In einigen Großstädten in Deutschland sind die Mobilfunknetze bereits am Limit. 4G stößt an Grenzen, 5G bieten im Gegensatz einen deutlich höheren Datendurchsatz. Das verschafft den Netzbetreibern eine Erleichterung, ohne dass sie neue Mobilfunkantennen aufstellen müssen.
Ein Blick auf die Geschichte des Mobilfunks zeigt, dass die Probleme bei 5G keine Ausnahme sind. Im Jahr 2000 wurden in Deutschland die Frequenzen für den 3G-Mobilfunk für gewaltige 50 Milliarden Euro versteigert. Die Betreiber bauten daraufhin ihre Netze aus, doch es fehlte an Endgeräten und Anwendungen für die schnellere Datenübertragung. Erst 2007 kam mit der Einführung des iPhones und dem folgenden Siegeszug der Smartphones mit bandbreitenstarken Mobildiensten auch der Durchbruch für das 3G-Netz.
Die offene Frage ist nun: Was wird das Pendant zum ersten iPhone, das den Durchbruch für 5G bringt?
Mehr: Sicherheitsbedenken: Boeing und Airbus gegen neues 5G-Netz
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Schon 4G war nicht wirklich nötig. Die Weiterentwicklung von 3G hätte völlig gereicht um heute übliche Kapazitäten zu bringen. Was bemerkenswert ist: alle einschlägigen Studien zu 4G und 5G wurden von Mobilfunkausrüstern in Auftrag gegeben. So auch die in diesem Artikel zitierte Studie wieder. Die Vorteile von 5G liegen nicht bei der Nutzung durch Konsumenten, sondern eher bei der Vernetzung von Produktionsanlagen sofern geringe Latenzen notwenig sind. Eine interessante Entwicklung ist dass Unternehmen ihre eigenen 5G Netze dafür bauen können. Die Anforderungen durch die Bundesnetzagentur für Bevölkerungsabdeckung oder Flächenabdeckung sind unrealistisch und ökonomisch sinnlos. Und autonom fahrende Autos: die haben kritische AI on edge, Fahren ist die letzte Anwendung, die man einem Mobilfunknetz anvertrauen würde.