US-Präsidentschaftwahl 2020 Das Silicon Valley verliert seine Verbündeten

Die Vorzeige-Technologieregion verliert ihre Unterstützer im demokratischen Lager.
San Francisco Als Michael Bloomberg Mitte Januar vor Tech-Milliardären in San Francisco auftrat, war deren Welt für ein Abendessen lang wieder in Ordnung. Endlich stand da wieder ein Präsidentschaftskandidat, der den Gründern und Risiko-Investoren die Ehre erwies. Der in seiner kurzen Rede in einer Galerie im hippen Stadtteil SoMa den optimistischen Pragmatismus predigte, den die Bewohner des Tech-Tals ein- und ausatmen. Der als Gründer des Medienunternehmens und Datendienstleisters Bloomberg und ehemaliger New Yorker Bürgermeister niemanden mehr von seinen Macher-Qualitäten überzeugen muss.
Das Publikum um Salesforce-Gründer Marc Benioff, Linkedin-Gründer Reid Hoffman und Startup-Investor Ron Conway war entzückt. Jason Calacanis, ein früher Uber-Investor und eifriger Twitter-Nutzer, tauschte sein Profilbild auf dem sozialen Netzwerk nach dem Auftritt gegen das Wahlkampflogo Bloombergs.
Er sei wohl der Erste, witzelte der Multimilliardär, der vor dieser exklusiven Gruppe auftrete und keinen Cent von ihnen wolle. Bloomberg finanziert seine Kampagne aus seinem Privatvermögen.
Dabei sind Präsidentschaftskandidaten, die um Spenden bitten, das geringste Problem für die Silicon-Valley-Elite. Elizabeth Warren und Bernie Sanders, die aussichtsreichen Parteilinken im Rennen um die Nominierung, nehmen auch kein Geld von der kalifornischen Tech-Elite an – es würde ihre Glaubwürdigkeit gefährden. Sie ziehen vielmehr gegen den Einfluss reicher Großspender zu Felde. Google, Facebook und den anderen Großkonzernen von der Westküste drohen sie mit Zerschlagung.
Bloomberg oder Sanders – für das Silicon Valley geht es bei der Vorwahl der Demokraten um mehr als bei jeder davor: In der Vergangenheit konnte sich die Technologie-Industrie darauf verlassen, dass der schlussendliche Kandidat ihnen vielleicht ihre Einkommensteuer erhöhen würde, aber ihre liberalen Werte teilen und ihr Geschäft in Ruhe lassen würde.
Ungebremste Tech-Enthusiasten gibt es kaum noch unter den Demokraten. Der Coolness-Faktor der Branche ist einem Hautgout von Ausbeutung und Überwachungskapitalismus gewichen. Außer Bloomberg war da bislang schon nur der Ex-Start-up-Gründer Andrew Yang, der im Kampf um die Nominierung gerade aufgegeben hat.
Besser sieht es für Pete Buttigieg aus. Auf den ersten Blick wirkt der smarte, ehemalige Kleinstadt-Bürgermeister, der gerade die Vorwahl in Iowa gewonnen hat, wie ein Verbündeter des Valleys. Buttigieg kannte Mark Zuckerberg schon in Harvard, sein Facebook-Profil war das 287. überhaupt.
Niemand will als naiver Freund der Tech-Industrie gelten
Der 37-Jährige ließ sich von Zuckerberg zwei ehemalige, hochrangige Facebook-Mitarbeiter empfehlen, die nun in seinem Wahlkampfteam arbeiten. Eine Spendenveranstaltung in einem Weinkeller in Palo Alto, bei der der ehemalige McKinsey-Berater Netflix-Gründer Reed Hastings oder die Frau von Google-Gründer Sergej Brin umgarnte, brachten Buttigieg Kritik ein.
Doch selbst Buttigieg will die Branche einschränken. Er will die US-Wettbewerbsbehörde FTC stärken, deren Zurückhaltung den Aufstieg von Billionen-Dollar-Konzernen wie Alphabet oder Apple erst möglich gemacht hat. Das US-Kartellrecht erkennt Wettbewerbsverstöße bisher praktisch nur dann, wenn ein Monopolist Preise erhöht und dem Konsumenten direkter monetärer Schaden entsteht.

Der ehemalige Kleinstadt-Bürgermeister wirkt auf den ersten Blick wie ein Verbündeter des Valleys – doch selbst er will die Konzern einschränken.
Schon jetzt dreht sich der Wind: In dieser Woche kündigte die FTC an, alle Akquisitionen der fünf großen Tech-Konzerne seit 2010 zu überprüfen. FTC-Chef Makan Delrahim wird in einem Porträt des „Hollywood Reporter“ zitiert, er erwarte in den kommenden Monaten mindestens einen Strafprozess gegen einen Manager oder einen Konzern im Silicon Valley wegen Wettbewerbsverstößen.
Buttigieg liegt voll auf dieser Linie. Das Kartellrecht sei „nicht für einige dieser Technologie-Unternehmen geschaffen, die gar keine Preise verlangen“, sagte der Kandidat schon früh in seinem Wahlkampf. Ihr Produkt ist kostenlos – oder jedenfalls scheinbar kostenlos. Nach allem, was wir darüber wissen, wie diese Firmen unsere Daten verwenden, ist nichts wirklich kostenlos.“
Buttigiegs Kritik an den Digital-Riesen kann Taktik sein oder nicht. Mindestens aber ist seine Rhetorik ein Zeichen, dass sich selbst ein gemäßigter Demokrat nicht leisten kann, als naiver Freund der Tech-Industrie zu gelten.
Für die ist der Liebesentzug der Politik völlig ungewohnt: „Ohne die Unterstützung der Politik gäbe es das Silicon Valley nicht. Auch wenn die Leute dort sich den Erfolg gerne ausschließlich selbst zuschreiben“, sagt Margaret O’Mara. Die Historikerin von der University of Washington in Seattle hat vergangenes Jahr ein Buch über die Geschichte des erfolgreichsten Tals der Welt geschrieben.
Die Halbleiterhersteller wie Intel oder Fairchild, die dem Valley in den sechziger Jahren seinen Namen gaben, profitierten von der Nachfrage nach Chips für die Raumfahrt oder das Militär. Auch die heutige Generation der IT-Giganten habe stark von der öffentlichen Hand profitiert, glaubt O‘Mara. Die Stanford-Universität, wo die Google-Gründer Larry Page und Sergej Brin die ersten Algorithmen für ihre Suchmaschine entwickelten, sei stark von öffentlichen Forschungsaufträgen abhängig – häufig von Darpa, der Forschungsagentur des US-Militärs. „Das ist schließlich das einzige, wofür in diesem Land genug Geld da ist“, sagt O‘Mara.
Auch der Boom der selbstfahrenden Autos, den Google, Uber und Startups wie Argo oder Aurora ausfechten, geht auf die legendäre „Große Darpa Challenge“ im Jahr 2004 zurück.
Das Valley ist eine Demokraten-Hochburg
„Die Chefs der großen Tech-Unternehmen waren es gewohnt, in Washington Gehör zu finden,“ sagt die Historikerin. Und zu bekommen, was sie wollen. Die Risikokapitalgeber des Valleys lobbyierten erfolgreich für niedrigere Kapitalertragssteuern, dem kalifornischen Ex-Gouverneur Ronald Reagan galt die zweite Generation der Valley-Unternehmer um Apple-Gründer Steve Jobs als Musterbeispiel amerikanischen Unternehmertums. Santa Clara County, der Landkreis des Silicon Valley, ist heute eine Demokraten-Hochburg – in den 80er Jahren wählten die Chip-Designer und Software-Entwickler jedoch den Republikaner Reagan.
Das änderte sich mit Bill Clinton. Unter dem jungen, liberalen Präsidenten und seinem Vize Al Gore, einem frühen Förderer des Internet, wurde der Einsatz für offene Weltmärkte, qualifizierte Einwanderung und laxe Wettbewerbskontrolle zum Gemeingut beider Parteien. Das half der Industrie, binnen weniger Jahrzehnte eine ganze Reihe globaler IT-Giganten zu produzieren. Das Valley wurde zwar über die Jahre immer liberaler. Eigentlich konnte es den IT-Industriekapitänen aber egal sein, wer Präsident war.
Dieser Konsens pro Tech-Industrie ist zerbrochen. Läuft es schlecht, drohen dem Tal an der Pazifikküste nun vier weitere Jahre kühler Gegenwind.
Denn schon Donald Trump ist alles andere als ein Wunschkandidat. Der Handelskrieg mit China zerschlägt Apples feinziselierte Handelsrouten. Sein Justizminister William Barr legt sich mit Facebook an, um die geplante Verschlüsselung aller Nachrichten auf den sozialen Netzwerken des Konzerns zu verhindern – Barr fürchtet, dass FBI und Polizei es schwerer haben werden, Kriminelle und Terroristen in den Netzwerken zu überwachen.
Mit Amazon-Chef und Washington-Post-Eigner Jeff Bezos verbindet Trump gar eine persönliche Intimfeindschaft: „Jeff Bozo“, Jeff Blödmann, nennt Trump einen der erfolgreichsten Unternehmer des Landes in seinen Tweets. Die jahrzehntelange Liebesbeziehung zwischen Valley und Washington ist jäh beendet. Eine Wahl zwischen Trump und Bernie Sanders oder Elizabeth Warren würde selbst die größten Optimisten zwischen San Francisco und San Jose auf eine harte Probe stellen.
Vertrauensverlust zwischen progressiven Linken und der Politik
Nicht einmal auf gegenseitige Blockade der ideologisierten Parteien im Kongress können sich die Valley-Konzerne noch verlassen. Geht es etwa um die Regulierung der sozialen Netzwerke sind sich viele Republikaner und Demokraten plötzlich ziemlich einig: bei der „Section 230“ des „Communications Decency Act“ etwa.
Hinter dem bürokratischen Namen versteckt sich die Geschäftsgrundlage von offenen Plattformen wie Facebook, Instagram oder YouTube. „230“ entbindet sie von der Haftung für jedes Posting auf ihren Seiten. Bei einer ersatzlosen Streichung müssten Google und Facebook wohl zehntausende neue Moderatoren einstellen oder die Veröffentlichung von Beiträgen erst nach einer Überprüfung freigeben.
Ein Konsens zwischen den Parteien ist denkbar: Den „Earn it“-Act, der „230“ für Plattformen abschaffen will, wenn sie Nachrichten verschlüsseln, hat der einflussreiche Republikaner Lindsey Graham gemeinsam mit einem Demokraten eingebracht. Bernie Sanders und Joe Biden haben sich sogar für die komplette Abschaffung der Regel ausgesprochen.
Bidens Position ist bemerkenswert, war er vor vier Jahren doch noch Vizepräsident von Barack Obama, des letzten unverhohlen techfreundlichen Präsidenten. „Obama sammelte Spenden im Silicon Valley, nutzte Facebook für seinen Wahlkampf und berief als erster Präsident einen CTO der USA“, sagt O’Mara. Tempi passati.
Die Kritik hat sich die Tech-Branche auch selbst eingebrockt: Biden, der Zuckerberg ein „echtes Problem“ nennt, ärgerte sich über eine mit Lügen gespickte Wahlwerbung aus dem Trump-Lager, die Facebook nicht von seiner Seite löschen wollte. Der Streit ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen Demokraten und Tech-Unternehmen: Die Manipulation der Präsidentschaftswahl 2016, für die die fragwürdige Umfragefirma Cambridge Analytica Facebook missbrauchte, hat das Vertrauen zwischen der progressiven Linken und der Industrie tief erschüttert.
Plötzlich bricht ein Thema nach dem anderen in den Wahlkampf: die bedrohliche Marktmacht der Tech-Konzerne. Ihre Datensammelwut, die Missachtung der Privatsphäre. Der schlechte Umgang von Amazon mit seinen Lieferanten oder Uber und Lyft mit ihren Fahrern. „Plötzlich wird vielen klar, dass das Silicon Valley eine Industriezone wie viele andere auf der Welt ist“, sagt O’Mara. Der verführerische Traum, die Tech-Industrie sei mehr an Weltverbesserung als an Margen interessiert, sei geplatzt.
Hoffen auf Mike Bloomberg
Dass die Top-Manager großer Tech-Konzerne aber offen gegen einen linken Demokraten revoltieren, dass sie gar Trump unterstützen, ist trotzdem nicht zu erwarten. Offene Trump-Unterstützer wie der Facebook-Investor Peter Thiel oder Oracle-Gründer Larry Ellison, der kürzlich eine Spendenveranstaltung für den Präsidenten organisierte, sind rar.
Das wird sich auch im Wahlkampf kaum ändern. Mehr noch als die Rache eines etwaigen demokratischen Wahlsieger müssten die Topmanager im Silicon Valley die Rache ihrer eigenen Mitarbeiter fürchten. Laut einer Analyse des Nachrichtenportals Vox hat Sanders bei Mitarbeitern von Google, Apple, Amazon, Facebook und Twitter mehr Spenden eingesammelt als jeder andere Kandidat.
So bleibt den Topmanagern und Investoren fast nur die Hoffnung auf Mike Bloomberg – und dem umgekehrt nur die Hoffnung auf Kalifornien: Der 77-Jährige ignorierte die erste Vorwahl im Bauern-Bundesstaat Iowa vergangene Woche weitgehend und tourte, während seine Konkurrenten auf die Ergebnisse der chaotischen Wahl warteten, schon wieder durch den Sonnenstaat. Die Demokraten dort stimmen am 3. März – dem „Super Tuesday“ – mit 13 anderen Staaten ab.
Bisher verfängt seine Botschaft nicht, in Umfragen liegt der New Yorker im größten Bundesstaat der USA abgeschlagen auf Platz 5, weit hinter Sanders. Verliert der New Yorker in Kalifornien, dürfte sein Wahlkampf vor dem Ende stehen. Und für die Tech-Konzerne und -Milliardäre des Staates könnten düstere Zeiten anbrechen.
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