Vernetzung Turbo-Netz gegen Geld: Die deutsche Industrie entdeckt 5G

Die Fabrik des Start-ups wurde von Vodafone mit einem eigenen Campus-Netz ausgestattet.
München, Düsseldorf Auf den ersten Blick sieht das Osram-Werk in Schwabmünchen nach Old Economy aus. Die schweren, blauen Maschinen sind teilweise mehr als 30 Jahre alt. Hier werden zum Beispiel Molybdän-Drähte gezogen, die später auf das Glühwendel einer Lampe montiert werden. Doch der Schein trügt. Die Maschinen wurden im Lauf der Jahre hochgetrimmt, sind automatisiert. Jeder Schritt wird digital gesteuert und verfolgt.
Wenn eine Drahtspule voll ist, dann kommt neuerdings ein autonomer, mobiler Transportroboter langsam angerollt und bringt sie zur nächsten Station. Schwabmünchen ist eine 4.0-Pilotfabrik in Sachen mobiler Vernetzung. „Es waren bestimmt schon Werksleiter von 30 anderen Firmen bei uns, um sich anzuschauen, wie das funktioniert“, sagt Fabrikleiter Ingo Hild.
Ein genauerer Blick zeigt, was die Steuerung des mobilen Roboters möglich macht. In den Werkshallen und den Gängen sind zwei Dutzend kleine, graue Antennenkästen installiert, auf dem Dach eine große Mobilfunkantenne. Das Osram-Werk in Schwabmünchen ist der erste Testfall für ein Campus-Netz der Deutschen Telekom. Mit Campus-Netzen bezeichnen die Netzbetreiber wie die Telekom einen geschlossenen Bereich im Mobilfunknetz. Über ein LTE-Mobilfunknetz und möglichst bald mit dem neuen Standard 5G sind dort die Maschinen vernetzt. So erfährt nicht nur der Roboter, wann wieder eine der bis zu 30 Kilogramm schweren Spulen abgeholt werden muss.
Im Einsatz sind zum Beispiel auch Virtual-Reality-Brillen, mit deren Hilfe ein Experte in den USA eingebunden werden kann, wenn eine Maschine gewartet wird.
Das Internet der Dinge, also die Anbindung der Maschinen an das Internet, ist derzeit das große Thema in der Industrie. „Die Vernetzung der Maschinen miteinander ist ein Kernelement der Industrie 4.0“, sagt Stefan Fritz, der das Thema bei Osram verantwortet. „Und dafür brauchen wir Latenzzeiten von unter einer Millisekunde.“
Der aktuelle Aufbau der Fabrik ist erst eine Vorstufe. Denn erst 5G soll die volle Leistung bieten. Der aktuelle LTE-Standard ist noch zu träge und schafft die geringe Latenzzeit von weniger als einer Millisekunde nicht. Der mobile Roboter übernimmt daher eine zwar lästige, aber auch einfache Aufgabe, die unter Zeitgesichtspunkten unkritisch ist.
Die Transportgeräte haben auch eigene Sensoren, und bleiben so stehen, wenn etwas im Weg ist. Über das Mobilfunknetz erfolgt die Routenplanung und die Flottensteuerung. Bei anderen Maschinen kann es auf eine Steuerung nahezu in Echtzeit ankommen.
5G vor allem für die Wirtschaft interessant
Daher wartet die Industrie derzeit mit großer Spannung auf 5G. Eine flächendeckende Kommunikations-Infrastruktur sei eine Grundvoraussetzung für viele Anwendungen der Industrie 4.0, sagte Siemens-Industrievorstand Klaus Helmrich.
Osram ist der Vorreiter, inzwischen folgen andere Unternehmen wie ZF Friedrichshafen mit eigenen Campus-Netzen. Der Telekom-Rivale Vodafone hat nachgezogen und die Fabrik der Elektroauto-Start-ups Ego in Aachen mit einem eigenen Campus-Netz ausgestattet. Auch Telefónica möchte die Technik anbieten. Ein Pilotprojekt soll eine Fabrikhalle von Mercedes in Sindelfingen werden.
Die globale Industrie blickt mit großer Hoffnung auf die Chancen von 5G. Besonders deutsche Industriekonzerne erwarten neue Impulse für ihre Geschäft und ihre Produktentwicklung durch die Technologie. Eine ganze Reihe von Studien hat die Potenziale von 5G für die Industrie in Deutschland untersucht – vom Digitalverband Bitkom, über die Unternehmensberatung Capgemini bis hin zum Telekommunikationsdienstleister Seim & Partner.
Alle Untersuchungen stellen heraus, dass 5G vor allem für die Wirtschaft interessant ist, lange bevor Verbraucher von der Technik profitieren werden. In einer Umfrage von Capgemini bewerteten deutsche Unternehmen die Technologie für ihre eigene Transformation als ebenso wichtig wie Cloud-Dienste. Künstliche Intelligenz rangiert hingegen hinter Robotikanwendungen und Datenanalyse nur auf dem vierten Platz.
Firmenkunden sollen über Campus-Netzwerke, also den geschlossenen Bereich im Mobilfunknetz, die Vorteile von 5G nutzen können, ohne dass Außenstehende an sensible Firmendaten kommen können.
Daher ist der öffentliche Teil des Netzes getrennt. Dieser kann zum Beispiel von externen Dienstleistern für die Fernwartung von Maschinen genutzt werden – aber auch von der Bevölkerung in der Umgebung. Das betonen Anbieter wie die Telekom ausdrücklich.
Auch wenn etwa in der Nähe des Werksgeländes ein Konzert stattfindet und viele Menschen mit ihren Smartphones surfen, bleibt die Qualität des Firmennetzes garantiert. Die Unternehmen haben also quasi eine reservierte Überholspur auf der Datenautobahn über das Mobilfunknetz. Denn mit Einführung von Campus-Netzen und 5G wird die Netzneutralität durch die Hintertür ausgehebelt. Firmenkunden bekommen die volle Leistung, wenn sie bereit sind, entsprechendes Geld dafür zu zahlen.
Großes Interesse der Unternehmen
Während viele Regionen wohl noch lange auf die perfekte Netzabdeckung werden warten müssen, ist auf einem Fabrikgelände wie in Schwabmünchen jeder Quadratmeter perfekt versorgt. „Doch es profitieren auch Firmen und Privatkunden im Umkreis von ein bis zwei Kilometern“, sagt Osram-Werksleiter Ingo Hild. „Da freuen sich viele, dass sie bald 5G-Empfang haben.“
In einem Innovationszentrum in München stellt die Telekom interessierten Kunden die ersten Pilotprojekte vor. Der Andrang ist groß, berichtet Patrick Köhler, Innovations-Manager bei T-Systems, der Großkundentochter der Telekom. „Jeder hat momentan Interesse an 5G.“ Fast alle Firmen hätten schon etwas über das Thema gehört. „Nun wollen Sie wissen, was das konkret für sie bedeuten kann.“
Um den Nutzen zu erläutern, benutzt die Telekom ein Projekt mit besonderen Pumpen. Der Dax-Konzern hat ein Campusnetz in einer Raffinerie eines großen Ölkonzerns aufgebaut. Dort sind mehrere Tausend Pumpen im Einsatz. Wenn eine an entscheidender Stelle ausfällt, kann das zu einem Stopp der ganzen Anlage führen.
Eine Pumpe ist nun testweise mit Vibrations- und Temperatursensoren ausgestattet. Die so gewonnenen Daten sollen eine vorausschauende Wartung ermöglichen, die Ausfälle verhindern soll.

Das Werk ist der erste Testfall für ein Campus-Netz der Deutschen Telekom.
Gerade für die bislang zurückhaltenden Ölkonzerne könnte die neue Technologie einen Digitalisierungsschub bringen. Die Branche sei bei ihren Investitionsentscheidungen konservativ und langfristig ausgerichtet, sagt T-Systems-Manager Thomas Weber. „Die Öl- und Gasbranche mag keine Experimente. Die Innovationsgeschwindigkeit war über die Jahrzehnte nicht sehr hoch.“
Dies liege unter anderem an den hohen Sicherheitsstandards. Zudem seien die Anlagen für Projekte nicht einfach umzubauen. „Eine Raffinerie zu verkabeln, das macht man nicht im Vorübergehen.“ Hier böten Campus-Netze mit der drahtlosen Anbindung große Chancen.
Die Deutsche Telekom arbeitet derzeit daran, den Kunden Gesamtsysteme anzubieten. So verhandle man derzeit mit einem großen Sensorhersteller über eine Zusammenarbeit, berichtet Weber. Der Konzern könne die ganze Technik – von der Antenne bis zur Edge-Computing Plattform, in der die Daten nah an den Maschinen verarbeitet werden – etwa für eine gemanagte Pumpe anbieten. „Der Kunde muss sich um die Installation nicht kümmern.“ Die Bezahlung könne über monatliche Gebühren erfolgen.
Die Automatisierungslösung bei Osram haben Gestalt Robotics, InSystems Automation und das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik entwickelt. Das fahrerlose Transportsystem scannt mit Sensoren die Umgebung in der Halle und bewegt sich so unfallfrei durch die Gänge.
Bei der einen Maschine soll es nicht bleiben. Fahrerlose Transportfahrzeuge sollen sich künftig autonom auf dem ganzen Werksgelände bewegen und miteinander kommunizieren. Dafür ist das Netz mit einer sogenannten Local Edge Cloud ausgestattet. Die Server stehen auf dem Firmengelände. So können komplexe Rechenvorgänge schneller ausgeführt werden als in einem weit entfernten Rechenzentrum.
Autobauer setzen auf Eigenständigkeit
Das System könnte bald auch in anderen Osram-Fabriken eingeführt werden. Flexibilität sei im 4.0-Zeitalter entscheidend, sagt Stefan Fritz. „Wir können nicht jedes Mal, wenn wir eine Linie umbauen oder neue Sensoren testen, neue Kabel verlegen.“ Konnektivität sei „die Autobahn, die wir brauchen“.
„An jedem Standort testen wir etwas anderes“, sagt der Experte. „Wenn es funktioniert, wird es Standard. Wenn etwas nicht geht, wird es beerdigt.“ Geschwindigkeit sei entscheidend im digitalen Zeitalter. Dazu müssten auch die Mitarbeiter agil bleiben. „Industrie 4.0 ist zu 30 Prozent Technik und zu 70 Prozent Kulturwandel.“
Nicht alle Firmen wollen sich jedoch auf Angebote von Netzbetreibern wie der Telekom verlassen. Gerade die deutschen Autobauer setzen auf Eigenständigkeit. Dazu hat die Bundesregierung mit der Vergabe der Frequenzen für den 5G-Mobilfunk in diesem Jahr einen Sonderweg eröffnet.
Einen Teil des Spektrums hat die Bundesnetzagentur für Firmen und Forschungseinrichtungen reserviert. Sie sollen damit lokale 5G-Netze errichten können. Im Gegensatz zu den Netzbetreibern, die insgesamt rund 6,5 Milliarden Euro in der Auktion bezahlen mussten, sollen Unternehmen die lokalen Frequenzen schon gegen eine geringe Gebühr bekommen.
Siemens-Vorstand Helmrich sagt, dank der lokalen Frequenzen könnten kleine und mittelständische Unternehmen selbst in ländlichen Regionen die Vorteile von 5G für die digitale Transformation nutzen – „unabhängig von der Versorgung durch einen Provider, ähnlich wie bei der heutigen Nutzung von WLAN“. Als Partner für den Ausbau lokaler 5G-Netze bieten sich die Ausrüster Nokia und Ericsson an.
Für Osram-Manager Fritz ist ein lokales 5G-Netz dagegen keine Option. „Wir haben viel gelernt. Aber ich würde das nächste Netz nicht selbst aufbauen wollen.“ Bei Themen wie Technologie und Datensicherheit hätten die Mobilfunkbetreiber mehr Expertise.
Die Technologie ist inzwischen weitgehend entwickelt, die Pilotprojekte laufen jetzt an. Doch muss sich die Technologie erst noch durchsetzen. T-Systems-Manager Weber sagt: „Wir müssen den Kunden beweisen, dass sie mit der Vernetzung über 5G und dem Einsatz von Edge Computing wirklich Kosten sparen können.“
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