Wil van der Aalst Deutschlands wertvollstes Start-up Celonis verpflichtet Spitzenforscher

„Ich habe von Anfang an versucht, meine Studenten für Gründungsvorhaben zu begeistern.“
Düsseldorf Er wird von Kennern „Gottvater des Process-Minings“ genannt: Wil van der Aalst hat die komplexen mathematischen Beweise erbracht, auf denen heute eine ganze Branche aufbaut. Schätzungsweise 35 Unternehmen bringen seine Algorithmen in Anwendungen und analysieren damit die Geschäftsprozesse.
Auch Deutschlands wertvollstes Start-up Celonis wäre ohne van der Aalst nie gegründet worden. Und genau dort steigt er jetzt selbst ein. Ab September arbeitet er als Chefwissenschaftler für die Münchener Neun-Milliarden-Euro-Firma.
Es ist eine bedeutsame Personalie für Celonis, die Branche und den Technologiestandort Deutschland. Denn der Transfer hiesiger Spitzenforschung in neue Geschäftsmodelle ist eine der größten Herausforderungen bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Bisher ist van der Aalst eine Art Musterbeispiel für Forschungstransfer. Und in Zukunft will er sich dafür noch mehr engagieren.
„Ich habe von Anfang an versucht, meine Studenten für Gründungsvorhaben zu begeistern“, sagt van der Aalst dem Handelsblatt. Bevor er an der RWTH Aachen seinen Lehrstuhl für Prozess- und Datenwissenschaften bekam, hatte der Niederländer an der Technischen Universität Eindhoven geforscht. Zunächst sei die Wissenschaft den praktischen Umsetzungsmöglichkeiten weit voraus gewesen und Forschungsfragen hätten sich im Labor beantworten lassen.
Heute sei das anders. Die wichtigsten Fragen ließen sich nun in der Anwendung untersuchen. Bei Celonis etwa werden die Analyseergebnisse mithilfe Künstlicher Intelligenz in automatisierte Aktionen umgewandelt, die Firmenprozesse besser machen sollen. Da möchte van der Aalst dabei sein: „Ich will, dass meine Forschung Einfluss auf die Realität hat.“
Beim klassischen Process-Mining handelt es sich zunächst um eine Technologie zur systematischen Analyse und Verbesserung von Geschäftsprozessen. Sie visualisiert sämtliche Geschäftsvorgänge wie Bestellprozesse, Zahlungseingänge oder Reklamationen.
Die Daten dafür zieht sich die Software direkt aus den Systemen, die zum Management von Ressourcen eingesetzt werden – etwa von den Anbietern SAP oder Oracle. So werden schließlich Ineffizienzen und Optimierungspotenzial sichtbar. Celonis verspricht Großkunden in den USA, auf diese Weise ein Einsparpotenzial von zehn Millionen Dollar (8,5 Millionen Euro) aufzudecken.
Immer mehr Interesse an der Technologie
Seit van der Aalst Ende der 90er-Jahre begonnen hat, an Process-Mining-Algorithmen zu forschen, hat die Technologie international immer mehr Interesse erzeugt. Celonis hat früh Kunden wie Siemens, die Telekom und Lufthansa gewonnen. Investmentgesellschaften setzen Hunderte Millionen auf die Software.
Und zahlreiche Beispiele zeigen, dass nun auch etablierte Technologiekonzerne sich gezwungen sehen, ihr Angebot um Process-Mining-Software zu erweitern: So hat der Dax-Konzern SAP Anfang des Jahres fast eine Milliarde Euro für den Potsdamer Process-Mining-Spezialisten Signavio bezahlt, der US-IT-Konzern IBM gab im April die Übernahme von Myinvenio aus Norditalien bekannt, und der US-Automatisierungsanbieter Appian verstärkte sich jüngst mit dem Berliner Softwareentwickler Lana Labs, einer Ausgründung des Hasso-Plattner-Instituts.
Zuletzt war Wil van der Aalst bei einer Handvoll Anbietern als Beiratsmitglied beratend tätig. Während er seine Lehrtätigkeit an der RWTH Aachen behalten will, sei Celonis von nun an aber die einzige Softwarefirma, mit der er zusammenarbeite. „Es ist deutlich, dass Celonis Marktführer ist“, sagt der Informatikprofessor zu seiner Wahl.
Schon von Beginn an begleitet der Professor die Gründer Bastian Nominacher, Alexander Rinke und Martin Klenk. Künftig soll er ebenso an der übergeordneten Strategie des Unternehmens mitarbeiten wie an konkreten Anwendungen. Erste Schwerpunkte sollen auf Simulationen, der Verknüpfung von maschinellem Lernen und Process-Mining und einer neuen Form der objektzentrierten Prozessanalyse liegen. Technologiechef Klenk sagt: „Gemeinsam wollen wir die besten akademischen Erkenntnisse und technologischen Innovationen zusammenbringen, um die Arbeitsweise von Unternehmen weltweit grundlegend zu verändern.“
Dass die Arbeit bei Technologiefirmen für Wissenschaftler attraktiver wird als an Forschungsinstituten, sieht man auch in anderen Bereichen. Vor allem bei der Künstlichen Intelligenz stehen zahlreiche Spitzenforscher heute ganz oder teilweise im Dienst von Firmen in den USA und China.
Starkes Signal für die deutsche Start-up-Szene
Viele Beobachter empfinden diese Entwicklung als beunruhigend. Es ist aber auch ein starkes Signal für die deutsche Start-up-Szene, dass sich hier eine solche Entwicklung ergeben kann: „Wenn man die Entwicklungskapazitäten vergleicht, wird deutlich, dass Celonis viel mehr Ressourcen hat, als es jemals an einer Uni geben würde“, sagt van der Aalst.
Der Schritt ins Celonis-Management ermöglicht ihm auch, finanziell vom Transfer seiner Forschung in die Wirtschaft zu profitieren. Schließlich plant Celonis mittelfristig einen Börsengang. Ja, er sei nun auch „ein bisschen“ an Celonis beteiligt, bestätigt van der Aalst und lacht. Würde es ihm ums Geld gehen, hätte er in seinem Leben aber ganz andere Dinge gemacht. „Als Professor fahre ich schon einen Porsche, auch ohne jede Beteiligung an einem Start-up.“
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