Arzneimittelpreise Krankenkassen und Pharmaunternehmen streiten um Kosten von Krebstherapien
Berlin Die Ausgaben für die Behandlung von Krebs sind in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zuletzt deutlich gestiegen. Gaben die Krankenkassen 2012 etwa 3,8 Milliarden Euro für Krebsarzneimittel aus, waren es im vergangenen Jahr rund 6,5 Milliarden Euro. Kostentreiber sind vor allem neuartige Krebstherapien, die bisweilen mit über 100.000 Euro pro Patient und Jahr zu Buche schlagen.
Die Pharmaindustrie steht in der Kritik, mit ihrer Preispolitik für die Ausgabensteigerungen verantwortlich zu sein. Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) kontert die Vorwürfe nun mit dem Argument, dass verbesserte Therapieergebnisse dank innovativer Medikamente die Sozialkassen entlasten würden. Denn Krebspatienten können immer länger weiter am Berufsleben teilnehmen.
Laut einer dem Handelsblatt vorliegenden Analyse der Universität Bielefeld standen Menschen mit Krebserkrankungen in Deutschland im Jahr 2015 durchschnittlich 2,2 Jahre länger im Erwerbsleben als noch im Jahr 2001. Der Hinzugewinn bei der Berufstätigkeit falle in diesem Zeitraum fast vier Mal größer aus als bei Erwerbsminderungsrentnern mit anderen Erkrankungen.
„Die Ergebnisse der Studie sind spektakulär. Das zeigt den Erfolg neuer Krebstherapien“, sagte der vfa-Vorsitzende Han Steutel dem Handelsblatt. „Angesichts des demografischen Wandels macht es einen riesigen Unterschied, ob wir das Potenzial der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter voll ausnutzen können oder ob es krankheitsbedingt vermindert wird.“
Steutel sieht einen doppelten Entlastungseffekt für die Sozialkassen: „Wenn ein Krebspatient länger im Arbeitsleben bleiben kann, verringern sich nicht nur die Ausgaben für die Erwerbsminderungsrente, sondern der Betroffene zahlt ja auch weiter Beiträge in die Sozialversicherungen ein“, sagte er.
Im Lager der Krankenkassen zeigt man sich wenig beeindruckt. Moderne Arzneimittel in der Krebstherapie seien nur ein Teilaspekt bei der verlängerten Erwerbstätigkeit. In Kassenkreisen ist von einer „Rosinenpickerei“ die Rede, mit denen die Pharmabranche ihre hohen Preise rechtfertigten wolle.
Der GKV-Spitzenverband verweist auf das 2011 eingeführte Preisverhandlungsverfahren für patentgeschützte Medikamente. Wie viel Krankenkassen für neue Arzneimittel zahlen, hängt dabei vor allem vom in wissenschaftlichen Studien ermittelten therapeutischen Zusatznutzen für die Patienten ab.
Das Verfahren bietet aber auch die Möglichkeit, ökonomische Aspekte einzubeziehen. Bisher habe es im Rahmen von Erstattungsbetragsverhandlungen aber noch keine Kosten-Nutzen-Bewertung gegeben, sagte eine GKV-Sprecherin. „Pharmazeutische Unternehmen nutzen derzeit das bestehende Instrument nicht. Es stellt sich die Frage, warum sie es nicht tun, wenn ihre Argumente vermeintlich so überzeugend sind.“
Onkologika sind die umsatzstärkste Medikamentengruppe
Die sogenannten Onkologika sind die umsatzstärkste Medikamentengruppe im GKV-Arzneimittelmarkt. Ihr Anteil an den gesamten Arzneimittelausgaben liegt bei gut 14 Prozent. Im internationalen Vergleich ist die Bundesrepublik ein Hochpreisland bei Krebsmedikamenten. Vor zwei Jahren ließ die Barmer-Krankenkasse die Kosten von 31 onkologischen Arzneimitteln in Europa, Australien und Neuseeland untersuchen. Das Ergebnis: Bei 90 Prozent der Medikamente lagen die deutschen Preise über dem Mittelwert.
„Die Kosten der Krebsbehandlung sind beherrschbar“, entgegnet vfa-Chef Steutel. „Gerade bei hochpreisigen neuen Therapien arbeiten die Unternehmen auch mit neuen Erstattungsmodellen.“ Ein Beispiel sind Pay-for-Performance-Modelle, bei denen sich die Bezahlung nach dem Behandlungserfolg richtet.
Im Frühjahr startete der Pharmariese Novartis mit einigen Krankenkassen ein Pilotprojekt zu seinem 320 000 Euro teuren Krebsmittel Kymriah. Wie viel die Kassen am Ende zahlen, hängt vom Überleben des Patienten ab. Innovative Krebstherapien sind auch deshalb so teuer, weil immer mehr Gentechnik-Präparate individuell für jeden Patienten hergestellt werden. Krebs ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland.
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