Atai Börsenpläne für Magic-Mushrooms-Holding: Was taugt das neue Vorhaben des Investors Christian Angermayer?

Der 43-Jährige teilt die Erinnerung an seinen ersten Trip auf „Magic Mushrooms“ großzügig.
Hamburg Drogenerfahrungen sind nicht gerade etwas, über das Investoren üblicherweise freimütig öffentlich berichten. Anders Christian Angermayer: Der 43-Jährige teilt die Erinnerung an seinen ersten Trip auf „Magic Mushrooms“ großzügig. Er beschreibt den einige Jahre zurückliegenden Rausch als eine Erfahrung, die sein Leben verändert hat – und seine finanzielle Strategie.
Seit 2018 hat Angermayer eine Biotechholding aufgebaut, die sich mit psychoaktiven Stoffen befasst: vom Pilzwirkstoff Psilocybin über die Partypille MDMA bis hin zum Betäubungsmittel Ketamin. Voraussichtlich Mitte Juni geht die Holding Atai in den USA an die Börse. Ziel ist, aus den psychoaktiven Substanzen Medikamente zu entwickeln gegen psychische Krankheiten wie schwere Depressionen oder Angststörungen.
Was für viele abgedreht klingt, betrachten Investoren und Mediziner als Chance für Anleger und Patienten. Ähnlich wie Cannabis könnten psychedelische Substanzen den Weg von der Droge zum Geschäft nehmen – und Angermayer könnte sowohl Treiber als auch Profiteur der Entwicklung werden.
„Diese Substanzen waren in der Forschung lange tabu. Das ändert sich jetzt“, sagt Mathias Schott vom Münchener Finanzierungsspezialisten FCF. Er traut Angermayer zu, mit seinem Engagement die Anleger von den Chancen zu überzeugen. Der Deutsche sei schließlich ähnlich wie Tesla-Gründer Elon Musk bereit, seine Investments öffentlich stark zu promoten.
Tatsächlich investiert Angermayer immer wieder in ungewöhnliche Märkte. Zuletzt stieg er bei einem amerikanischen Entwickler von Hirnchips ein. Hintergrund ist seine Überzeugung, Technologie könne schon bald das Leben deutlich verlängern. Daneben investiert der überzeugte Netzwerker in Kryptowährungen und Fintechs wie Deposit Solutions. Den Grundstein für sein Vermögen legte er bereits als Student in Bayreuth, als er beim Aufbau der Biotechfirma Ribopharma mitwirkte.
Bei Atai ist – wie bei anderen seiner Aktivitäten – auch der amerikanische Facebook-Investor Peter Thiel an Bord. Der prominente Name sorgt mit Blick auf den geplanten Börsengang für zusätzliche Aufmerksamkeit. Dabei geht es um ein Emissionsvolumen von etwa 100 Millionen Dollar. Bislang hat Atai laut dem US-Nachrichtenportal „Crunchbase“ gut 347 Millionen Dollar bei Risikokapitalgebern eingesammelt. Angermayers Investmentgesellschaft Apeiron gehören noch gut 20 Prozent der Anteile, er profitiert zudem von einem Beratervertag. Mit Verweis auf die Ruheperiode vor dem Börsengang äußert er sich derzeit öffentlich nicht zu Atai.
Hoffnungen auf ein großes Marktvolumen
Für eine kleine Community von Medizinern im deutschsprachigen Raum sind die halluzinogenen Trips schon länger mehr als Hippie-Nostalgie. Sie beschäftigen sich bereits seit Jahren in ernsthaften Studien mit den Substanzen – meist aus großer persönlicher Überzeugung. Inzwischen sind viele dieser Mediziner in Projekte eingebunden, an denen Atai arbeitet.
Das könnte nach Meinung von Investoren das Risiko mindern – schließlich sind die Substanzen seit Jahrzehnten bekannt. Zuletzt hat die Europäische Arzneimittelbehörde Ema 2019 eine Ketamin-Art unter dem Markennamen Spravato als Nasenspray zur Behandlung von schwer zu behandelnden Depressionen zugelassen. Das Mittel einer Johnson-&-Johnson-Tochter wirkt schnell und kann so akute Phasen durchbrechen. Atai forscht an einem ähnlichen Wirkstoff.
Auch für den Pilzwirkstoff Psilocybin sind Mediziner optimistisch. „Die vorliegenden Daten weisen auf eine mindestens gleichwertige und vermutlich höhere Wirksamkeit als klassische Antidepressiva hin“, sagt Matthias Liechti, Professor für Klinische Pharmakologie am Universitätsspital Basel. Bei der Behandlung sollen Patienten unter professioneller Begleitung einen intensiven Trip erleben. Die körperliche Sicherheit ist laut Liechti hoch, allerdings könnten die akuten psychischen Effekte belastend sein.
Weiter gehende Hoffnungen auf ein großes Marktvolumen weckt das Beispiel Cannabis in den USA. Über die Zulassung als Schmerzmittel findet das Kraut inzwischen weite Anwendung. Einige Befürworter der psychoaktiven Substanzen erhoffen sich durch eine medizinische Zulassung ebenfalls eine breitere Anwendung, um etwa aus Lebenskrisen herauszukommen. Das würde den Markt deutlich erweitern – sodass Idealisten bereits vor der Kommerzialisierung der einstigen Hippie-Drogen warnen.
„Im Gegensatz zu Cannabis werden Psychedelika eher wie klassische Medikamente entwickelt und nicht primär für den Genusskonsum durch Gesunde. Es dürfte aber zu einer anders regulierten Anwendung kommen im Vergleich zu den aktuellen Verboten“, dämpft der Mediziner Liechti die Erwartungen.
Ein Produkt gibt es bei Atai noch nicht
Diese Marktchancen rufen nicht nur Angermayer auf den Plan. Vor allem bei seinem größten Hoffnungsträger Psilocybin, dem Wirkstoff aus den „Zauberpilzen“, gibt es dazu recht große Konkurrenz.
Gut 160 klinische Studien liefen dazu bereits, sagt Hugh Rogers. Er ist Chef des börsennotierten kanadischen Unternehmens XPhyto, das über Cannabis ebenfalls auf die Wirkstoffe gekommen ist. „Jeder Studienerfolg in der Nische Psychedelika ist positiv für den entstehenden Markt“, sagt er. Dabei könnten auch mehrere Anbieter zum Zuge kommen, allerdings wohl nicht alle. Das bereits an der Nasdaq notierte US-Unternehmen Compass, an dem Atai beteiligt ist, forscht in dem Bereich und hat dafür bereits 234 Millionen Dollar Kapital eingesammelt. Denn der potenzielle Markt ist groß: 100 Millionen Menschen sollen weltweit unter behandlungsresistenten Depressionen leiden.
XPhyto-Chef Rogers hofft auf breitere Nutzung. So könnten die Wirkstoffe etwa in sehr geringer Konzentration breiter für das sogenannte Microdosing – die Verwendung ohne Trip – eingesetzt werden, falls die strenge Regulierung fällt, meint er.
Allerdings verzichtet der Kanadier wegen der hohen Kosten auf eigene Studien. Er forscht stattdessen zusammen mit einer deutschen Universität an der Herstellung des Wirkstoffs über genveränderte Bakterien – und will so zum Lieferanten der forschenden Pharmaentwickler werden. Ein ähnliches Projekt treibt er für den Kaktuswirkstoff Meskalin voran. Das sei weniger kapitalintensiv als die komplexere klinische Forschung, meint Rogers.
Ohne Risiko sind Aktien von Biotechfirmen wie Atai wegen der ungewissen Studienergebnisse nicht – schließlich soll die Börse erst die Entwicklung von Produkten finanzieren, die dann in Partnerschaft mit großen Pharmaunternehmen vermarktet werden. Nur sieben Prozent der Moleküle, die zur Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen entwickelt werden, gelangten zur Marktreife, gibt Experte Schott von FCF zu bedenken.
Auch Atai hat noch kein fertiges Medikament – und entsprechend noch keine Umsätze. Sämtliche Wirkstoffe sind noch in pharmazeutischen Studien. Ob sie jemals eine Zulassung bekommen, ist offen. Bei Atai kommt erschwerend dazu, dass einige der Substanzen streng reguliert sind, um Missbrauch zu verhindern.
Die Entwicklung ist kostspielig. Laut Registrierung bei der US-Börsenaufsicht SEC kam Atai 2020 auf einen Nettoverlust von 178,6 Millionen Dollar – nach 24,4 Millionen Dollar im Jahr zuvor. Dabei entfielen 2020 rund 23,4 Millionen Dollar auf eigene Forschung oder zugekaufte Forschung.
Das Börsenumfeld ist gut
Investoren beurteilen das Umfeld für die Börsenpläne dennoch als positiv. Der Zeitpunkt ist offenbar attraktiv: 45 Biotechfirmen wurden bislang 2021 an der Nasdaq gelistet – nach nur 13 im Vorjahreszeitraum. 900 Millionen Dollar Risikokapital sind in den vergangenen 24 Monaten weltweit in 106 Finanzierungsrunden in Psychopharmaka geflossen.
Der Erfolg der Impfstoffentwicklung von Biontech habe die Chancen der Biotechbranche breit ins Bewusstsein gebracht, meint Olivier Litzka vom auf Biotech spezialisierten Risikokapitalgeber Andera. Er sieht in der Holdingstruktur von Atai einen Vorteil. Die Berliner Gruppe besteht aus zehn zugekauften Unternehmen, die jeweils an einem Werkstoff forschen. Die Konstruktion mindere das Risiko, weil es zehn Erfolgsmöglichkeiten gibt, urteilt Litzka.
Ein Beispiel dafür gebe etwa die Baseler Biotechholding Roivant, die ebenfalls an die Börse strebt. Anders als Atai will Roivant dafür einen Börsenmantel (Spac) nutzen.
Allerdings seien die IPOs von Biotechfirmen vor allem für institutionelle Anleger interessant, die die Firmen genau unter die Lupe nehmen können, warnt Investor Litzka: „Wenn sich ein Unternehmen der Nasdaq stellt, wird es von spezialisierten US-Fonds auf Herz und Nieren geprüft.“ Privatanleger könnten das nicht leisten.
Dieser kritische Blick des Marktes könnte allerdings dabei helfen, die Psychedelika aus der Esoterik-Ecke zu holen und von der illegalen Droge zum knallharten Geschäft zu machen.
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