Delir nach Operationen: Wenn das Gehirn aus der Spur gerät
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Delir nach OperationenWenn das Gehirn aus der Spur gerät
Plötzlich verwirrt: Bei einem Delir gerät das Gehirn aus dem Gleichgewicht. Im Krankenhausalltag tritt diese Störung vor allem nach Operationen auf. Doch eine bundesweit gültige medizinische Leitlinie fehlt bislang.
06.06.2016 - 14:28 Uhr
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Störung des Gehirns
Delir tritt in Kliniken oft nach Operationen auf.Wird die Störung nicht erkannt, kann das bei Patienten zu dauerhaften Schäden führen.
Berlin Gerade hat der Patient noch gesagt, dass alles in Ordnung sei. Fünf Minuten später liegt er apathisch im Bett, spricht nicht mehr, ist verwirrt. Bei Pfleger Christoph Schubert läuten dann alle Alarmglocken. Er testet den Patienten auf das Syndrom „Delir“.
Diese Störung des Gehirns tritt in Kliniken oft nach Operationen auf. Nach aktuellen Studien sind bis zu rund 80 Prozent der älteren Patienten auf Intensivstationen betroffen. An der Berliner Charité schauen Ärzte, Schwestern und Pfleger deshalb ganz genau hin.
Pfleger Schubert arbeitet an der Charité-Klinik für Anästhesiologie. Dort beschäftigen sich Ärzte und Pfleger besonders intensiv mit Delir. Nicht jeder Patient wird dabei apathisch. Manche schlügen auch um sich, berichtet Schubert.
Delir
Das Wort Delir oder Delirium stammt aus dem Lateinischen. „De lira ire“ heißt so viel wie „aus der Spur geraten“. Das Wort beschreibt in der Medizin heute einen Verwirrtheitszustand, der meist plötzlich auftritt und zwischen Stunden und Monaten anhalten kann. Ärzte führen die Symptome auf eine Entzündung im Gehirn zurück. Die Ursachen sind unklar.
Fachleute unterscheiden zwischen dem hypo- und dem hyperaktiven Delir. Bei dem hypoaktiven Delirium ist der Patient lethargisch, schläfrig und reagiert nicht, wenn er angesprochen wird. Beim hyperaktiven Delir ist der Patient unruhig, kann aggressiv werden und hat unter Umständen Halluzinationen.
Besonders häufig tritt die Erkrankung im Krankenhaus nach einer Operation auf. Hier sind vor allem ältere Menschen und Kinder betroffen. Auch Demenzpatienten können zusätzlich unter Delir leiden.
Eine Sonderform ist das Delir tremens bei Alkoholmissbrauch. Hier führt der Entzug zu einem vorübergehenden Verwirrtheitszustand. Da sich alle Delir-Formen auf das Herz-Kreislauf-System auswirken, können sie lebensbedrohlich sein.
Delir oder auch Delirium ist ein akuter Verwirrtheitszustand. Wird die Störung nicht erkannt, kann das bei Patienten zu dauerhaften Schäden führen. Betroffene können sich schlechter konzentrieren, kein Buch mehr lesen. „Manche trauen sich auch gar nicht mehr aus dem Haus, weil sie die Orientierung verloren haben“, sagt Claudia Spies, Chefärztin der anästhesiologischen Klinik.
Ohne Behandlung könne das Delir schwere Komplikationen im Herz-Kreislauf-System und bei der Atmung nach sich ziehen – und bis zum Tod führen. „Mit jedem unentdeckten Tag steigt die Sterblichkeit“, erläutert die Ärztin.
A wie Ananasbaum
Mit dem Beginn jeder Schicht testen Pfleger Schubert und seine Kollegen deshalb ihre Patienten. Dazu nutzen sie den sogenannten Cam-ICU-Test, eine Methode zum Erkennen der Verwirrtheit auf der Intensivstation. Sobald die Patienten wach sind, müssen sie nach der Hand des Pflegers greifen. Schubert buchstabiert dann das Wort Ananasbaum oder ein anderes Wort mit vielen A. Bei jedem A muss der Patient seine Hand drücken. Zwar sind Fehler erlaubt, dennoch merkt Schubert meist dann schon, dass etwas nicht stimmt.
Bei Delir spielen Entzündungen im Körper eine Rolle. Wie sie ausgelöst wurden, bleibt oft unklar. Fachjournale nennen psychischen Stress, große Operationen oder Schlafentzug als mögliche Ursachen. Oft trinken Menschen zu wenig. „Auch Schmerzen verursachen Entzündungen“, sagt Chefärztin Spies. Doch zu viele Schmerzmittel seien nicht gut. Bei der Narkose käme es auf die Balance an. Man dürfe das Gehirn nicht mit zu vielen Medikamenten aus dem Gleichgewicht bringen.
Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft verzeichnete das Statistische Bundesamt im Jahr 2014 fast 42.000 stationäre Fälle von Delir. Das sind 4000 Fälle mehr als im Jahr 2012. Durch Alkohol oder andere Drogen verursachte Delirien sind nicht miteingerechnet. Doch wie viele Krankenhäuser in Deutschland ihre Patienten speziell auf Delir nach Operationen untersuchen, ist nicht bekannt.
Nach der Diagnose sind es meist die Pflegekräfte, die reagieren müssen. Schubert versucht zu erreichen, dass Patienten keine Angst haben. „Oft reicht es schon, einen Angehörigen hinzuzuholen“, sagt er. Der Patient sollte sich auf der Intensivstation wohlfühlen. „Musik hilft auch.“
Ganz besonders wichtig sei es, nach dem Aufwachen aus der Narkose Orientierung zu bieten. Dazu müsste zum Beispiel immer die Brille des Patienten bereit liegen. Regelmäßig nennen Pfleger ihren Patienten auch das Datum des Tages oder stellen eine Uhr gut sichtbar auf. Nachts wird das Licht ausgemacht. Nur so könnten Patienten sich an den Tag-Nacht-Rhythmus gewöhnen.