Diabetes Vom Essen gejagt

Die Verbreitung des bewegungsarmen, aber kalorienreichen westlichen Lebensstils gilt als Mitursache für die Zunahme an Diabetes-Erkrankungen.
Berlin Beim Bäcker sind es Törtchen, Plunderteilchen, Kuchen. Im Supermarkt die Regalreihen voller Schokoriegel, Fertigprodukte und Chipstüten. Verlockungen lauern an jeder Ecke.
„Früher haben die Menschen das Essen gejagt. Heute jagt das Essen die Menschen“, sagt Silvia Schönfuss, Ernährungsberaterin an der Diabetes-Ambulanz der Berliner Charité. Sie schult Patienten unter anderem zu Fragen rund ums Essen. Im Wartezimmer ist jeder Stuhl belegt. Dabei sei es ein vergleichsweise ruhiger Tag, versichern die Mitarbeiter.
Die Arbeit dürfte hier auch in Zukunft nicht ausgehen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich die Zahl der aktuell 350 Millionen Diabetiker weltweit in den kommenden 20 Jahren verdoppeln. Der Kampf gegen Diabetes steht in diesem Jahr im Mittelpunkt des Weltgesundheitstages am 7. April.
Auch in Deutschland erkranken laut Deutscher Diabetes Gesellschaft (DDG) jedes Jahr 300.000 Menschen daran, allerdings ist die Dunkelziffer groß. Bis zu zwei Millionen Menschen wissen nach aktuellen DDG-Schätzungen noch nicht von ihrer Erkrankung.
Was verboten ist, gewinnt an Reiz
Die Verbreitung des bewegungsarmen, aber kalorienreichen westlichen Lebensstils gilt als Mitursache, dass selbst in Entwicklungs- und Schwellenländern immer mehr Kinder übergewichtig und fettleibig sind. Zu dicke Kinder mit erhöhtem Risiko für Typ-2-Diabetes seien auch in Deutschland ein Problem, sagt der Mediziner Thomas Bobbert, der die endokrinologische Tagesklinik der Charité leitet.
„Die Lebensmittelindustrie trägt eine gehörige Mitschuld am weltweiten Anstieg von Diabetes Typ 2“, sagt Verbraucherschützer Oliver Huizinga von Foodwatch. Mit kindgerechter Werbung für Junkfood, Süßigkeiten und Softdrinks müsse Schluss sein. „90 Prozent der Lebensmittel, die mit Comics und Spielzeugbeigaben an Kinder vermarktet werden, sind zu süß, zu fettig, zu salzig.“
Auch die Politik trage wie bei Zigaretten Verantwortung, sagte DDG-Vizepräsident Dirk Müller-Wieland. Er begrüßt die Mitte März von der britischen Regierung angekündigte Einführung einer Zuckersteuer für Softdrink-Unternehmen – in mehreren anderen Ländern auch in der EU gibt es solche Modelle schon.
Höchste Zeit auch für Deutschland nachzuziehen, meint die DDG. „Gesunde, energiearme Ernährung sollte günstiger sein als ungesunde, energiereiche“, so Müller-Wieland.
Doch sind es allein die Kaufentscheidungen, die zuckerkrank machen? Im Seminarraum der Berliner Diabetes-Ambulanz stapeln sich im Regal leere Margarineboxen, Käseschachteln und Flaschen für Schulungen. Was ist gut, was böse? Diese Frage stelle sich heutzutage nicht mehr, betont Silvia Schönfuss. „Wir verbieten nichts. Was verboten ist, gewinnt an Reiz und wird heimlich gegessen.“ Sie betont: Die Dosis macht das Gift.