Pandemie Ansteckender als je zuvor: Was schützt jetzt vor der Omikron-Variante?
Berlin Eine Gruppe von sieben Deutschen im Alter von 25 bis 39 Jahren hat sich in Südafrika mit der Omikron-Variante des Coronavirus infiziert, obwohl alle bereits ihre Booster-Impfung erhalten hatten.
„Durchbruchsinfektionen sehen wir gerade sehr viele. Was wir nicht wussten ist, dass auch eine Booster-Impfung mit Biontech/Pfizer das nicht verhindert“, erklärte Wolfgang Preiser, Mitglied des Forschungskonsortiums, das die Variante entdeckt hat. Das bedeute nicht, dass die Impfung nicht helfe, sagt Preiser. Im Gegenteil: „Das zeigt nur, dass auch die derzeit bestmögliche Impfung offensichtlich nicht ausreicht, um eine Infektion zu verhindern – was wir ja schon geahnt haben“ , so Preiser. Das wirft Fragen auf.
Wie sicher schützen die Impfstoffe noch gegen Omikron?
Kurz gesagt: Gegen eine Infektion und leichte Covid-19-Erkrankung schützt die Impfung nur noch sehr begrenzt. Doch es gibt erfreuliche Hinweise, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung oder gar Tod bestehen bleibt. Wie das Beispiel der sieben Omikron-Infizierten und Dreifachgeimpften zeigt, haben die 32 Mutationen im Spike-Protein die Variante so verändert, dass sehr viele Antikörper, die das Immunsystem durch die Impfungen gebildet hat, Omikron nicht mehr „erkennen“.
Tests, etwa im Labor der Frankfurter Virologin Sandra Ciesek, zeigten, dass es etwa 40fach mehr Antikörper bräuchte, um Omikron-Viren zu neutralisieren. Das bedeutet, dass Omikron am „Fußvolk“ des Immunsystems, den Antikörpern, die das Infizieren von Zellen durch den direkten Angriff der Viren verhindern sollen, vorbeikommt. Die gute Nachricht ist, dass es noch eine zweite Abwehrreihe des Immunsystems gibt: die Immunzellen. Auch sie müssen das Spikeprotein als das zu bekämpfende Ziel erkennen können, aber sie sind dabei nicht so „pingelig“ wie Antikörper und konzentrieren sich auf andere Abschnitte des Virusproteins.
Noch sind Forscher dabei zu testen, ob Omikron auch die Immunzellen täuschen und sich an ihnen vorbeischleichen kann. Am Donnerstag wurden erste – vorläufige! – Ergebnisse bekannt: Demnach sind die Stellen im Spike-Protein, an denen bestimmte Immunzellen (T-Zellen) das Spike-Virusprotein erkennen, trotz der Mutationen sowohl bei Varianten wie Alpha, Beta und Delta, als auch bei Omikron fast gleich geblieben. „Das legt nahe, dass die T-Zell-Antwort noch immer ausreicht, um das Virus zu bekämpfen“, schreibt Alessandro Sette vom La Jolla Institut für Immunologie in Kalifornien auf Twitter.

Vorbereitung zum „Booster-Shot“, der Auffrischimpfung mit dem Comirnaty-Vakzin von Biontech.
Die „Fühler“ (CD4- und CD8-Rezeptoren), mit denen die T-Zellen das Spikeprotein abtasten, festhalten und unschädlich machen, erkennen ihr Ziel zu 72 Prozent (CD4) und 86 Prozent (CD8). Zwar gehe die Zahl der Erkennungsmerkmale für die T-Zellen aufgrund der Mutationen zurück, „aber die Mehrheit bleibt erhalten“.
Es handelt sich dabei noch nicht um Studien, die den realen Schutz abschätzen können, den die mRNA-Impfstoffe gegen Omikron vor Erkrankung und Tod bieten. Diese werden noch Zeit brauchen. Der Infektionsimmunologe Leif Erik Sander von der Charité erwartet aber keine wesentliche Einschränkung der zellulären Immunität durch Omikron, „sodass der Impfschutz vor schwerer Covid-19-Erkrankung weiterhin größtenteils aufrechterhalten bleibt“.
Warum braucht es eine Anpassung der Impfstoffe, wenn die bisherigen noch vor schwerer Erkrankung schützen?
Zum einen kann vielleicht nicht jeder Geimpfte einen ausreichend guten zellulären Immunschutz gegen Omikron aufbauen. Vor allem für vorerkrankte oder ältere Menschen, deren Immunsystem nicht mehr optimal funktioniert, sind passgenaue, wirksame Antikörper wichtig, um die Infektion der Zellen gering zu halten.
Vor allem aber gilt es, die Infektion und Vermehrung von Corona mit Hilfe passgenauer Impfstoffe so gut wie möglich zu unterbinden, damit sich die Viren nicht oder kaum weiter ausbreiten können. Denn selbst wenn die jetzt geboosterten Geimpften nicht schwer erkranken, geben sie das Virus weiter – an Ungeimpfte, die dann so häufig erkranken, dass die Kliniken wieder überlastet werden.
Und da Omikron sich offenbar sehr schnell verbreiten kann, werden auch die schwer Erkrankten in kurzer Zeit auf den Intensivstationen landen. Solange ein so hoher Anteil der Bevölkerung ungeimpft und damit ungeschützt vor schwerer Erkrankung ist, ist eine Anpassung sinnvoll und nötig.
Wie werden die Impfstoffe angepasst und wie schnell kann das gehen?
Die molekularbiologische Anpassung erfolgt vergleichsweise schnell bei mRNA- Impfstoffen, das ist einer der großen Vorteile der Technologie. Dabei wird zunächst eine Vorlage von der Erbgutsequenz des Omikron-Spikeproteins hergestellt: ein DNA-Molekül, das alle 32 Omikronmutationen enthält. Von dieser Vorlage werden dann im Reagenzglas mit Hilfe eines Enzyms Abermillionen und -milliarden von Abschriften, die mRNA- Moleküle, produziert, gesäubert und in kleinen Fettkügelchen, Lipidnanopartikeln, verpackt.
Letztere sorgen dafür, dass die mRNA nach der Impfung in die Zellen gelangt, wo die Zellen dann selbst, auf natürliche Weise, die mRNA in den Impfstoff übersetzen, also das Omikron-Spike-Protein herstellen. Das Immunsystem erkennt, dass es sich um ein fremdes Protein handelt und produziert neue Antikörper – die dann so gut passen, dass sie Omikron-Viren abfangen und Infektionen unwahrscheinlicher machen.
Biontech hat angekündigt, diese Anpassung bis Ende März vornehmen zu können. Das bedeutet aber nur, dass bis dahin die ersten Chargen, vielleicht dutzende Millionen Dosen, produzierbar sein könnten – die nicht nur in Deutschland begehrt sein werden. Wie lange es dauert, Abermilliarden Impfdosen zu produzieren und vor allem selbst in entlegene Dörfer, etwa in Afrika, zu verteilen, sehen wir bei den aktuellen Impfstoffen: zu lange.
Was muss Deutschland gegen die Omikron-Variante tun?
Zwar ist Deutschland durch die aktuellen Corona-Maßnahmen noch im Vorteil gegenüber Vergleichsländern wie Großbritannien, in denen Abstandsregeln fehlen und sich jetzt schon ein steiler Anstieg der neuen Variante zeigt. Doch sollte sich die mittlerweile auch in Südafrika und Dänemark beobachtete Verdoppelung der Omikron-Infektionszahlen alle drei Tage auch in Deutschland zeigen, ist das nach Einschätzung des Charité-Virologen Christian Drosten deutlich schneller als die Delta-Variante und „schneller als jede politische Entscheidungsmöglichkeit“ sein kann. „Das ist sehr besorgniserregend“, sagt Drosten.

Sorge macht Virologe Drosten, dass in Südafrika gerade die Jüngsten mit schweren Verläufen ins Krankenhaus kommen.
Die Schlussfolgerung sei „ganz klar“: „Jeder der kann sollte sich sofort boostern oder überhaupt impfen lassen angesichts der neuen Gefahr.“ Wer geboostert ist, habe vielleicht ein Immunitätsniveau wie bisher doppelt Geimpfte nach ein paar Monaten. Die geboosterte Impfung sei die neue Doppelimpfung. „Das, was Omikron an Immunschwund macht, ist vielleicht der Unterschied zwischen zwei und drei Impfdosen“, so Drosten.
Angesichts der großen Impflücke bei den Über-60-Jährigen müssten sich nun alle Ungeimpften ganz genau überlegen, ob sie sich angesichts der neuen Gefahr nicht doch impfen lassen. Omikron werde vor allem die Ungeimpften mit schweren Verläufen treffen, weil auch Geimpfte sich leichter infizieren als bisher und das Virus an Ungeimpfte weitergeben können.
Gesundheitsminister und Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD) hält es für dringend nötig, zuerst die Delta-Welle einzugrenzen und im Weiterendie Verbreitung von Omikron in Deutschland zu unterbinden. Und zwar mit Boostern und einer Impfpflicht, wie er am Donnerstag im ZDF sagte. Dazu müsste auch der für Frühjahr 2022 von Biontech angekündigten Omikron-Impfstoff jetzt schon in großer Menge bestellt werden.
Welches Szenario droht?
Das Problem bei Omikron sei, dass bei einem so steilen Anstieg der Infiziertenzahlen die Patienten gleichzeitig in die Krankenhäuser kommen und diese völlig zu überlasten drohen, gibt die Physikerin und Corona-Modelliererin Viola Priesemann zu bedenken. Es müsse eine Art Worst Case Szenario für Deutschland geben. Dafür sei auch der sogenannte Notschutzschalter in Betracht zu ziehen: kurze, sehr umfassende Kontaktbeschränkungen, um den R-Wert unter eins, idealerweise auf 0,7, zu bringen.
Dadurch könnte eine längerfristige Entspannung erreicht werden, als durch einen halbherzigen Lockdown, der sich dann über Monate hinzieht, bis R-Wert und Inzidenzen ausreichend gesenkt sind.. Priesemann sagte, dass eine solche harte Maßnahme nicht zwingend angewendet werden muss, sondern immer von dem Ziel abhängig sei, das man erreichen will. .„Wenn wir die Situation schnell entlasten wollen, ist das eine Möglichkeit.“
„Delta wird unser Problem bis Januar sein, Omikron bis in den Sommer hinein“, so Drosten. Entspannung werde es in Deutschland „nächstes, übernächstes Jahr oder auch [erst] in drei Jahren“ geben, dann werde Corona endemisch werden.
Sind auch bei uns eher milde Verläufe durch Omikron zu erwarten?
In Südafrika beobachten Experten bislang noch - im Vergleich zu den Delta-bedingten Covid-19-Erkrankungen - vor allem milde Krankheitsverläufe. Das könnte in Deutschland jedoch ganz anders sein, denn Omikron trifft hierzulande auf eine ältere Gesellschaft mit großen Impflücken bei den Über-60-Jährigen.
Sorge macht Virologe Drosten, dass in Südafrika gerade die Jüngsten mit schweren Verläufen ins Krankenhaus kommen, also Menschen die immunologisch noch „naiv“ sind. Die große, derzeit noch nicht zu beantwortende Frage sei nun, sagt Drosten, wie Omikron-Infektionen bei denjenigen verlaufe, die noch nicht infiziert gewesen und auch nicht geimpft seien. Doch die Zeit, auf eine Antwort zu warten, lässt das Virus den Verantwortlichen nicht. „Das ist ein Blindflug für die Entscheidungsträger“, sagt Drosten.
Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.
Mehr: Große Studie zum Schutz vor Corona – Ohne Maske infizieren sich Ungeimpfte drinnen schon nach fünf Minuten
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