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Stefan Oschmann im InterviewSchuldenabbau und Expansion: Das ist die Doppelstrategie des Merck-Chefs
Europas ältester Pharmahersteller setzt zwar weiter auf Wachstum. Vorrang hat dabei in den nächsten beiden Jahren aber erst einmal der Abbau von Schulden.
Der CEO von Merck setzt bei seiner Wachstumsstrategie zunächst auf Entschuldung.
(Foto: Bernd Roselieb für Handelsblatt)
Darmstadt Der Pharma- und Spezialchemiehersteller Merck will sich nach den jüngsten Übernahmen erst einmal auf den Schuldenabbau im Konzern konzentrieren – und die nächsten zwei Jahre auf große Zukäufe verzichten. Das sagte Vorstandschef Stefan Oschmann im Interview mit dem Handelsblatt.
Grundsätzlich bleiben aktive Zukäufe und Übernahmen dennoch für die Darmstädter ein wichtiger Erfolgsfaktor. „Wir sind sehr, sehr gut darin, die richtigen Übernahmeziele zu identifizieren, sie zu einem guten Preis zu erwerben und erfolgreich zu integrieren. Warum sollten wir damit nicht weitermachen?“, so Oschmann.
Das Unternehmen, das noch zu 70 Prozent von der Gründerfamilie kontrolliert wird, hat in den vergangenen Jahren rund 50 Milliarden Euro im Zuge großer Zukäufe und Desinvestitionen bewegt. Durch den Erwerb von Firmen wie Millipore, Sigma Aldrich und Versum Materials stieg Merck zu einem der führenden Zulieferer für die Biotech- und die Halbleiterindustrie auf.
Beide Bereiche sind durch starke Konsolidierungstrends geprägt. Im Pharmabereich ruhen große Hoffnungen auf einem neuen Krebsimmunmedikament, das Merck in Kooperation mit Glaxo-Smithkline entwickelt. Die diversifizierte Struktur mit Pharma, Life Science und Spezialchemie steht nach den Worten Oschmanns nicht zur Debatte. „Wir sehen unglaublich viel positive Energie zwischen den Geschäften.“ Ausgliederungen seien daher kein Thema.
Analog zur Strategie bei Merck fordert Oschmann auch für die deutsche und europäische Politik eine stärkere Ausrichtung auf Wissenschaft und Forschung. „Wir müssen ganz gezielt Innovationen auf den Weg bringen, um den Klimawandel und viele andere Herausforderungen in den Griff zu bekommen.“ Europa, glaubt der Merck-Chef, könnte auch in Bereichen wie Biotechnologie und Elektronik viel mehr erreichen.
Vita Stefan Oschmann
Der promovierte Veterinärmediziner und erfahrene Pharmamanager steht seit Ende April 2016 als Vorsitzender der Geschäftsleitung an der Spitze von Merck. Seine berufliche Karriere begann der heute 62-Jährige bei einer Behörde der Vereinten Nationen. Später war er lange Zeit in verschiedenen Führungsfunktionen beim amerikanischen Pharmakonzern Merck & Co. tätig, bevor er 2011 zum Darmstädter Merck-Konzern wechselte und dort zunächst den Unternehmensbereich Healthcare leitete.
Die 1668 als Apotheke in Darmstadt gegründete Firma Merck gilt als ältestes chemisch-pharmazeutisches Unternehmen der Welt. Der industrielle Aufstieg begann im 19. Jahrhundert mit der Isolation von Arzneiwirkstoffen aus pflanzlichen Rohstoffen. Heute beschäftigt Merck weltweit rund 50 000 Mitarbeiter und erzielt mit den drei Geschäftsbereichen Gesundheit (Arzneimittel), Life Science (Biotech-Vorprodukte und Laborreagenzien) und Performance-Materialien (Flüssigkristalle, Pigmente, Halbleitermaterialien) insgesamt 16 Milliarden Euro Umsatz. Mit dem gleichnamigen US-Konzern Merck & Co, der im Ersten Weltkrieg aus der damaligen US-Tochter von Merck entstand, hat der Darmstädter Konzern keine gesellschaftsrechtliche Verbindung mehr.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Oschmann, die Klimadebatte hat 2019 geprägt und bleibt im neuen Jahr eines der zentralen politischen Themen. Kurz vor Weihnachten hat die Große Koalition ihr Klimapaket verschärft und einen höheren Preis für Kohlendioxid beschlossen. Wie bewerten Sie das Gesetz? Merck ist kein besonders energieintensives Unternehmen. Aber viele Firmen machen sich Sorgen über die Folgen dieser Gesetzgebung – und zwar zu Recht. Mittelständler fürchten, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, dass die Neugestaltung des EEG die höheren CO2-Kosten nicht kompensieren wird. Wir müssen ein System schaffen, das die Umweltziele erreicht, aber nicht gleichzeitig zu einer Deindustrialisierung Deutschlands führt.
Warum ist es so schwer, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen? Die Diskussion geht meist am eigentlichen Thema vorbei. Wir reden zu viel darüber, was wir künftig nicht mehr tun dürfen. Viel wichtiger wäre es, neue Technologien zu entwickeln, um das Klima zu schützen. Nicht nur mit Blick auf die Mobilität, sondern auch in Bereichen wie IT, Landwirtschaft oder im Bausektor.
Agiert die Politik innovationsfeindlich? Nicht nur die Politik. Wenn man jüngsten Umfragen vertraut, dann stehen bei den Deutschen Themen wie Zuwanderung, Klima und soziale Ungleichheit im Vordergrund. Ich finde es überraschend, dass wir uns so wenig Gedanken machen über Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit. Man hat gelegentlich den Eindruck, es wird mehr über die Frage geschrieben, ob Greta Thunberg im Zug auf dem Boden saß oder in der ersten Klasse, als über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas.
Die USA und China begreifen Technologie längst als Schlüsselelement zur Erreichung ihrer geopolitischen Machtinteressen. Wie sehr betrübt es Sie, dass Europa bisher keine Antwort darauf entwickelt hat? Dieses Vakuum ist auf jeden Fall bedenklich. Aus wirtschaftlicher Sicht erscheint völlig klar, dass wir in Europa enger zusammenarbeiten müssen. Vor allem brauchen wir ähnlich erfolgreiche Innovationsanreize, wie sie in den USA oder China bestehen.
Was muss sich ändern? Mehrere Faktoren sind entscheidend: erstens eine klare Innovationspolitik. Zweitens eine enge Zusammenarbeit von Start-ups, Industrie und staatlichen Akteuren. Nötig sind ferner ausreichende finanzielle Ressourcen, entweder über staatliche Institutionen oder privates Risikokapital. In dieser Hinsicht haben wir einen riesigen Nachholbedarf.
Warum ist das so wichtig? Es geht in erster Linie darum, das technologische Potenzial Deutschlands und Europas besser zu nutzen. Europa hat so viele Stärken, hervorragende Universitäten, Forscher, so viele Leute mit einer Start-up-Idee, die dann aber häufig in die USA gehen. Auch für den militärischen Bereich ist das von großer Bedeutung. Wer hier mithalten will, muss zum Beispiel führend in der Halbleitertechnologie sein.
Und dazu braucht es mehr Steuerung durch die Politik? Das ist kein Plädoyer für eine altmodische Industriepolitik. Aber wir brauchen sehr viel mehr Koordination und eine klare Strategie. Länder wie China und Korea haben erkannt, dass eine führende Position in Bereichen wie Elektronik, Halbleiter oder auch Biotechnologie Unabhängigkeit bedeutet. Auch Europa könnte da viel mehr erreichen.
Meinten Sie mit altmodischer Industriepolitik das Papier von Wirtschaftsminister Peter Altmaier? Ich meinte damit, dass es langfristig keinen Sinn macht, einzelne Industrien zu schützen. Entscheidend ist, dass wir Plattformen und Strukturen etablieren, um neue Technologien in Europa voranzubringen. Wir brauchen ein stärkeres Innovations-Ökosystem.
Die Bundesregierung hält sich immerhin zugute, dass Deutschland so viel für Forschung ausgibt wie noch nie. Absolute Zahlen und isolierte Betrachtungen bringen uns nicht weiter. Die Frage ist, ob das reicht, um im internationalen Kontext vorne mitzuspielen. Und diese Frage würde ich nicht mit einem klaren Ja beantworten. Zudem sind die Rahmenbedingungen für die private Finanzierung neuer Technologien weiter ungünstig.
Inwiefern? Wenn Pensionsfonds und Versicherungen sich stärker in Risikokapital-Fonds engagieren könnten, wären langfristig höhere Renditen erzielbar und zugleich könnte ein viel stärkeres System für die Finanzierung von Spitzentechnologien entstehen. Die Politik sollte sich in dieser Hinsicht mehr an Ländern wie Israel oder den USA orientieren.
Kann Europa im Halbleiterbereich überhaupt noch aufholen? Man macht da leicht den Fehler, nur an die Produktion von Halbleitern in den großen Foundries zu denken. Mindestens genauso wichtig ist aber auch das Design von Chips, insbesondere mit Blick auf Anwendungen in der Künstlichen Intelligenz. Da entstehen komplett neue Technologien, und es gibt in Europa in dem Bereich sehr gute Forscher und auch vielversprechende Start-ups – aber leider nicht den breiten gesellschaftlichen Willen, dass man in diesen Technologien führend werden sollte.
Wie sieht es in der Medizin und Biotechnologie aus? Auch hier gibt es eine starke Basis in Europa. Aber China und die USA engagieren sich mit viel größerer Priorität. Nehmen Sie zum Beispiel das boomende Feld der Zelltherapien gegen Krebs. Das spielt sich vor allen Dingen in den USA und China ab, deutlich weniger in Europa.
Wie könnte man eine technologiefreundlichere Grundhaltung in Deutschland schaffen? Der Zwiespalt ist tief im deutschen Denken verwurzelt. Wir sind einerseits das Land der Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler. Aber wir stufen den Wissensdrang in Deutschland gelegentlich auch als diabolisch ein. Meine Freunde im Ausland lachen immer, wenn ich ihnen erzähle, die Deutschen seien eigentlich das romantischste Volk der Welt. Denn dort sind wir ganz anders positioniert.
Anders als in den USA wird Technologie hierzulande oft als Gefahr gesehen. Dabei schaffen wir doch gerade mit Technologien Lösungen für unsere Probleme, etwa in Sachen Klimaschutz. Wir müssen ganz gezielt Innovationen auf den Weg bringen, um den Klimawandel und viele andere Herausforderungen in den Griff zu bekommen.
Trotzdem sehen viele Menschen eher die Risiken. Es gibt viele Themen, wo wir wirklich überlegen müssen, was tun wir mit den neuen Technologien und was nicht. Das gilt etwa für die neuen Verfahren der Gen-Editierung und die Möglichkeit von Eingriffen in die Keimbahn. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Kombination von Wissenschaft, Technologie und verantwortungsvollem Unternehmertum eine positive Kraft für die Menschheit ist.
Der verantwortungsvolle Umgang mit neuen Technologien – könnte das vielleicht auch eine besondere Stärke Europas sein? Ich glaube, dass Europa in dieser Hinsicht eine Vorbildrolle übernehmen kann. Denken Sie zum Beispiel an den Umgang mit hochsensiblen Gesundheitsdaten. Da sollte das Grundprinzip die Datensouveränität sein. Die Menschen wollen zu Recht wissen, welche Daten gesammelt werden und was mit ihnen passiert. Auf diesem Feld könnte Europa Standards setzen.
Aber sich wohl kaum gegenüber Ländern wie China durchsetzen. Natürlich hat China einen ganz anderen Ansatz. Wir dürfen aber nicht vergessen: Auch in China gab es unter Wissenschaftlern einen großen Aufschrei, nachdem ein Forscher Eingriffe in die Keimbahn von zwei Embryonen vorgenommen hatte. Er wurde dafür nun ja auch verurteilt. Insofern sollte man das Verantwortungsbewusstsein der Wissenschaftler weltweit nicht unterschätzen.
Der richtige Umgang mit China ist leichter gesagt als getan, wie ja auch die Debatte um Huawei zeigt. Wie würden Sie sich da verhalten? Ich verstehe die Haltung der Kanzlerin in der Beziehung, will den Sachverhalt aber nicht im Detail kommentieren. Nur so viel: Auch hier ist neben der chinesischen und der amerikanischen Sicht ein europäischer Blick auf die Dinge durchaus angebracht.
Wie navigiert ein Konzern wie Merck als europäisches, aber gleichzeitig global orientiertes Unternehmen durch diese veränderte Welt? Wir können die Politik nicht beeinflussen. Aber wir müssen sie möglichst genau analysieren und Szenarien entwickeln, um uns auf Veränderungen vorbereiten zu können.
Und dazu braucht ein Unternehmen wie Merck neue Strategien? Es geht vor allem darum, eine Organisation zu schaffen, die so agil und anpassungsfähig ist, dass man Veränderungen schnell erkennt und dann zeitnah darauf eingehen kann. Wer hätte zum Beispiel vor Kurzem gedacht, dass es einen Handelskrieg zwischen Japan und Korea geben könnte, und zwar ausgerechnet um Elektronikmaterialien.
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