Brasilien „Es fehlt völlig die Glaubwürdigkeit“: Bolsonaros Klima-Kehrtwende verärgert Umweltschützer und Wirtschaft

Brasilien leidet seit Jahren unter illegaler Brandrodung und anderer Umweltzerstörung im Regenwald.
Salvador Er hatte sich extra einen grünen Schlips umgebunden und sein Kabinett zusammengetrommelt. Sieben Minuten dauerte dann der Vortrag des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro beim virtuellen Klimagipfel der USA. Was der Hauptmann der Reserve dann stockend verlas, war nichts anderes als eine Kehrtwende zu seiner bisherigen Umweltpolitik.
So soll Brasilien bereits 2050 klimaneutral wirtschaften statt erst 2060. Brasilien werde zudem bis 2030 alle illegalen Abholzungen im Amazonas-Gebiet unterbinden. Außerdem sollen die Budgets für die Umweltbehörden sofort verdoppelt werden.
Das sind neue Töne von Bolsonaro, der nach der Abwahl Donald Trumps der einzige verbliebene Regierungschef an der Spitze einer der großen Staaten weltweit ist, dem der Klimawandel völlig egal ist – womit er inzwischen isoliert dasteht. Das wurde jetzt beim Leaders Summit deutlich. Gastgeber und Präsident Joe Biden zeigte, was er von Bolsonaros Umweltpolitik hielt: nämlich reichlich wenig. Bevor Bolsonaro redete, verließ Biden die Videokonferenz.
Die Isolierung Brasiliens in der Welt stört zunehmend die Wirtschaft des Landes. Denn Bolsonaro, den die Unternehmer vor zweieinhalb Jahren als liberalen Hoffnungsträger ins Amt gewählt haben, enttäuscht auf ganzer Linie: Von den Reformen des Steuersystems oder der Bürokratie, der Öffnung des Landes oder den Privatisierungen – davon ist nichts mehr zu hören.
Dafür feilscht Bolsonaro um seine Unterstützung im Kongress wie auf dem Basar: Mit Posten und öffentlichen Geldern sichert er sich den Rückhalt unter den Abgeordneten und Senatoren, um ein Impeachment zu verhindern.
Weil Bolsonaro zudem die Impfkampagnen wie das allgemeine Krisenmanagement in der Pandemie ständig mit seinen Attacken gegen die Justiz, Gouverneure und Bürgermeister durchkreuzt, verschiebt sich die erwartete Erholung der Wirtschaft immer weiter nach 2022 hinein.

Die Corona-Situation in Brasilien ist seit Monaten kritisch. Die Zahl der Toten steigt rasant.
Nun droht auch noch Druck aus dem Ausland wegen seiner desaströsen Umweltpolitik. Das bekommen vor allem die Investoren und Unternehmer zu spüren, die exportieren und auf ausländische Finanzierungen oder Konsumenten jenseits der Landesgrenzen angewiesen sind.
So musste der Investmentbanker Armínio Fraga gerade einen milliardenschweren Private-Equity-Fonds früher schließen als erwartet. Vor allem wegen des fehlenden Interesses ausländischer Investoren. Der ehemalige Zentralbankchef sagt: „Investoren streiken inzwischen bei brasilianischen Aktiva.“
Großes Misstrauen gegenüber Bolsonaro
Auch Guilherme Leal, Unternehmer und Ex-Präsidentschaftskandidat der Grünen, bekommt den Widerstand aus dem Ausland mit: „Internationale Investoren sagen uns klar, dass sie wegen der Umweltprobleme nicht mehr nach Brasilien kommen wollen.“
Auch im Handel nehme der Widerstand zu. Doch der Kontrolleur der Kosmetikkette Natura und einer der reichsten Brasilianer fürchtet den Moment, wenn die Aversion der Verbraucher weltweit gegen Produkte aus Brasilien überhandnimmt. „Dann könnte die Situation unkontrollierbar für uns werden.“
Tatsächlich glaubt kaum jemand, dass Bolsonaro seine Umwelt- oder Amazonaspolitik ändern wird. Das Misstrauen habe Bolsonaro mit seiner Rede nicht abgebaut, sagt Fábio Alperowitch, Chef von Fama Investimentos, einem der Vorreiter unter den Fonds für nachhaltige Investitionen in Brasilien. „Er nennt Ziele in weiter Ferne, aber ohne einen Aktionsplan, wie er dorthin gelangen will. Dem Ganzen fehlt völlig die Glaubwürdigkeit.“
Das bewies Bolsonaro auch jetzt wieder: Noch während die Konferenz stattfand, verabschiedete der Kongress den Haushalt für dieses Jahr. Statt das Budget für die Umweltbehörden zu verdoppeln wie gerade versprochen, kürzte die Regierung deren Etat auf den niedrigsten Stand seit zwei Dekaden.
Das Amazonas-Gebiet steht im Mittelpunkt der Klimadebatte und der wachsenden Kritik an Brasilien. Das liegt am Kohlendioxid, das bei den Regenwaldbränden freigesetzt wird. Deswegen ist Brasilien einer der großen Emittenten von Klimagasen.
Das ist umgekehrt jedoch auch eine Chance für Brasilien: Wenn Brasilien dafür sorgt, dass der Regenwald nicht abbrennt, ließen sich die Treibhausgasemissionen schnell und preiswert verringern.
Das hat schon gut funktioniert: Weil Brasilien in den zehn Jahren vor Bolsonaro die Regenwaldabholzungen zunehmend verringern konnte, reduzierten sich zwischen 2006 und 20017 die Emissionen um 7,4 Milliarden Tonnen.

Verspricht viel, hält wenig.
Markos Jank, einer der führenden Agro-Experten Brasiliens, sagt: „Brasilien hat Erfahrung in der Nutzung von Wind, Sonne, Wasser und Biomasse und die nachhaltigste Energiematrix unter den großen Ökonomien weltweit. Wir könnten eine Referenz für diese Welt der Dekarbonisierung sein.“
Doch stattdessen tritt Brasilien als Bittsteller auf. Die Unternehmer und Umweltexperten weltweit reagierten perplex, als Umweltminister Salles jetzt eine Milliarde Dollar von den Industrieländern will, um 30 bis 40 Prozent weniger Amazonasregenwald abbrennen zu lassen.
Die forsche Forderung des Umweltministers ist vor allem innenpolitisch motiviert. Damit zielt er auf den Beifall der vielen Farmer, der illegalen Holzhändler und Goldsucher – alles Stammwähler von Bolsonaro.
Das Geld hätte längst da sein können
Die Regierung versuche bei der Vermeidung ihrer eigenen Katastrophe noch Geld zu verdienen, kritisiert Pedro de Camargo Neto, Ex-Agrarminister Brasiliens. „Statt zu fordern, lässt sie den Klingelbeutel rumgehen.“ Dieses kleinkarierte und kurzfristige Denken zeige das ganze Elend der Umweltpolitik der Regierung Bolsonaro.
Doch das Paradoxe ist: Brasilien hätte das Geld schon längst zur Verfügung, wenn es wollte. Etwa vom Amazonienfonds, mit dem Norwegen und Deutschland schon seit 2008 eine Milliarde Euro für den Regenwaldschutz bereitstellen.
Doch da fließt das Geld jedes Jahr im Nachhinein - wenn Brasilien nachweislich weniger Wald abgebrannt hat. Weil der Bolsonaro-Regierung das nicht gelingt und sie keine neutrale Kontrolle über die Mittel zulassen will, wurden die Gelder gestoppt.
Nun soll die Weltgemeinschaft nach dem Willen Brasílias für den Schutz des Regenwaldes im Voraus bezahlen. Doch keiner wird das machen, denn niemand glaubt Brasilien mehr: Allein zwischen 2019 und 2020 sind die Abholzungen um fast zehn Prozent gestiegen.
Der Raubbau durch Brände scheint weiter zuzunehmen, vor allem jetzt, wenn die Trockenzeit im Amazonas-Gebiet beginnt. Im März wurden bereits neue Rekordrodungen gemeldet.
Dabei könnte die Forderung „Geld gegen Waldschutz" gut funktionieren. Viele Staaten, private Konzerne und multilaterale Geldgeber wie die Weltbank wären sicherlich bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen, um Brasilien dabei zu unterstützen.
Unter Klimaexperten wird der Mechanismus REDD („Reducing Emissions from Deforestation and Degradation“) genannt, also die Emissionsreduzierung durch vermiedene Entwaldung. Walter Schalka, Präsident des Zelluloseherstellers Suzano etwa schätzt, dass Brasilien zehn Milliarden Dollar jährlich für Kohlendioxidkredite bekommen könnte. Staaten oder Unternehmen, die ihre Ziele für Treibhausgasemissionen nicht einhalten können, würden für geschützten Regenwald in Brasilien bezahlen.
Doch die fehlende Glaubwürdigkeit ist dabei ein Hindernis. Das gilt auch für einen Teil der brasilianischen Unternehmerschaft selbst. Agrarexperte Jank etwa fordert, dass der Privatsektor aktiver werden muss beim Umweltschutz.
Vor allem die Farmer müssten sich stärker gegen die illegalen Rodungen engagieren: „Die Unternehmen werden Probleme bekommen, wenn Europa, USA und China bei den Umweltstandards am gleichen Strang ziehen.“
Für Finanzinvestor Alperowitch sind Bolsonaros wenig überzeugende Rede auf dem Klimagipfel und die negativen Reaktionen eine Warnung für brasilianische börsennotierte Unternehmen: „Greenwashing nützt nichts, es schadet!“
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Eine Milliarde fuer den Schutz des Amazonas sind peanuts fuer die Industrielaender. Wenn
das fuer alle gut ist, sollte mans machen und nicht diskutieren.