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Christiane Benner im Interview Gewerkschafterin: „Auch in der digitalen Welt muss Arbeit ihren Wert haben“

Die Plattformökonomie braucht Regeln, sagt die Zweite Vorsitzende der IG Metall. Und Deutschland einen Sozialstaat, der ins digitale Zeitalter passt.
25.04.2019 Update: 25.04.2019 - 18:14 Uhr Kommentieren
Die Soziologin ist seit Oktober 2015 Zweite Vorsitzende der größten deutschen Gewerkschaft IG Metall. Quelle: imago/sepp spiegl
Christiane Benner

Die Soziologin ist seit Oktober 2015 Zweite Vorsitzende der größten deutschen Gewerkschaft IG Metall.

(Foto: imago/sepp spiegl)

Frau Benner, reden wir beim Crowdworking in Deutschland nicht immer noch von einem Randphänomen?
Nach Studien erarbeiten 1,2 Millionen Menschen mindestens die Hälfte ihres Einkommens auf den einschlägigen Plattformen, 150.000 machen dies hauptberuflich. Insofern ist das noch kein Massenphänomen. Aber ein Indikator, wie die Zukunft der Arbeit aussehen kann. Das autonome Fahren zum Beispiel würde ohne Crowdworking nicht funktionieren.

Wieso das?
Man denkt immer, das ist völlig entmenschlicht und gesteuert durch Künstliche Intelligenz. Aber der Algorithmus muss ja erst mal trainiert werden. Da fahren Autos durch die Straßen und nehmen Bilder auf, aber die Mustererkennung leisten Menschen: Da ist eine Ampel, da gilt rechts vor links und so weiter. Deutsche Firmen, die sich mit autonomem Fahren beschäftigen, haben Dependancen im Silicon Valley und lassen so was von Crowdworkern eingeben.

Also bedienen sich durchaus auch große Unternehmen der Plattformökonomie?
Schauen Sie sich die Referenzseiten von Plattformen wie Clickworker, Streetspotr oder Crowd Guru an: Da finden Sie Kunden wie die Deutsche Telekom, Vodafone, Unilever oder Samsung. In den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie gibt es inzwischen in allen Gliedern der Wertschöpfungskette Angebote von Crowdsourcing-Plattformen.

Die IG Metall hat mit acht Anbietern einen Code of Conduct erarbeitet, eine freiwillige Selbstverpflichtung für gute Plattformarbeit. Und mit dem Deutschen Crowdsourcing-Verband eine Schiedsstelle eingerichtet, wo Nutzer Rechte einklagen können. Welche Erfahrungen machen Sie dort?
Im ersten Jahr sind bei der sogenannten Ombudsstelle 30 Beschwerden eingereicht worden. Oft ging es um unklare Auftragsbeschreibungen. Die Hälfte dieser Fälle konnte einvernehmlich gelöst werden. Wie wichtig diese Beschwerdemöglichkeit ist, sieht man an Plattformen, die den Code of Conduct nicht unterschrieben haben. So wurde bei einem Crowdworker von einem Tag auf den anderen ohne Begründung der Account abgeschaltet ...

Vielleicht deshalb, weil die Plattform mit seiner Arbeit nicht zufrieden war?
Einfach abknipsen geht auf keinen Fall, das ist doch wie eine direkte Kündigung ohne Warnung oder Abmahnung. Nur weil Crowdworker nicht bei der Plattform angestellt sind, heißt das ja nicht, dass sie kein Anrecht auf eine faire Behandlung haben. Diesen Fall bringen wir jetzt vors Landesarbeitsgericht. Bei uns hat aber auch die Entwicklungsabteilung eines großen Automobilherstellers angefragt, ob wir eine saubere Crowdsourcing-Plattform empfehlen können. Auch so etwas gibt es.

Die meisten Plattformen verstehen sich ja nicht als Arbeitgeber, sondern als Auftraggeber für Selbstständige. Ist es da nicht schwierig, arbeitsrechtliche Standards durchzusetzen?
Ein erster Schritt ist, dass Plattformen sich wie in unserem Code of Conduct verpflichten, lokale Gepflogenheiten einzuhalten, und offen über die Kriterien der Auftragsvergabe und der Ergebnisbewertung informieren. Die Spielregeln müssen allen bekannt sein. Dazu gehört auch das Wissen, wie viel ich auf der Plattform in der Stunde verdienen kann. Auch in der digitalen Welt muss menschliche Arbeit ihren Wert haben. Wichtig ist zudem Gesundheitsschutz bei mobiler Arbeit.

Wie das?
Wir haben zum Beispiel zusammen mit BMW einen „Führerschein“ fürs mobile Arbeiten entwickelt. Die Leute sind geschult worden, warum Abschalten und Ruhephasen wichtig sind. Dass sich Beschäftigte heute durch digitale Techniken überwiegend gestresst und nicht entlastet fühlen, darf ja nicht sein. Die Menschen müssen einen gesundheitsschonenden Umgang mit mobiler Arbeit lernen, sonst produzieren wir gesellschaftliche Folgekosten.

Welche Rolle spielt die Politik?
Wir müssen den Crowdworkern Verhandlungsmacht geben, aber es geht nicht ohne Flankierung durch den Gesetzgeber. Wir brauchen zum Beispiel einen Krankenversicherungsschutz, den sich auch Soloselbstständige mit kleinem Einkommen leisten können. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung gerade die Mindestbeiträge gesenkt hat. Die Politik muss unser Sozialsystem aber auch stärker auf sich verändernde Erwerbsbiografien ausrichten, auch wenn mir diese Entwicklung nicht gefällt. Der Sozialstaat muss darauf Antworten finden, dass jemand heute als Angestellter arbeitet, nächstes Jahr vielleicht als Soloselbstständiger und dann einen Zeitvertrag bekommt.

Müsste man nicht auch die Plattformen stärker in die Pflicht nehmen, sich ihrer Verantwortung als Arbeitgeber zu stellen?
Die Plattformen sollen Beiträge zur Sozialversicherung leisten. Die Beschäftigung fragmentiert in der digitalen Ökonomie immer weiter, und auf der anderen Seite haben wir eine gigantische Konzentration von Gewinnen. Nachhaltig finde ich das nicht, wie man ja auch an der größer werdenden Zahl von Obdachlosen im Silicon Valley sieht.

Wie wollen Sie denn die Plattformen dazu bewegen, zum Beispiel Sozialbeiträge zu zahlen?
Wie lange jemand heute auf einer Plattform arbeitet, lässt sich technisch leicht nachhalten. Da kann man auch überprüfen, ob man es wirklich mit einem Selbstständigen oder nicht doch eher mit einem Arbeitnehmer zu tun hat. Auf EU-Ebene wird seit Sommer 2018 der Entwurf einer Richtlinie diskutiert, die eine Beweislastumkehr vorsieht. Die Plattform müsste dann beweisen, dass die Nutzer keine Arbeitnehmer, sondern Selbstständige sind.

Die Plattformökonomie ist global. Wenn Sie jetzt nach Regulierung rufen, schließen Sie dann nicht Menschen in Indien oder anderen Entwicklungs- und Schwellenländern von diesem Geschäftsmodell aus? Für die sind ein paar Euro ja schon viel Geld.
In der Tat liegen da auch Chancen. Die Weltbank zum Beispiel hat ja viel investiert, damit Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern sich mobile Endgeräte leisten und damit am Arbeitsmarkt teilhaben können. Auch da brauchen wir aber Mindeststandards, um Dumping zu verhindern. Wir dürfen uns kein weltweites Race to the bottom in der globalisierten digitalen Welt leisten.

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