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Doppel-Interview Fairtrade-Chef zu Lidl-Vorstand: „Keine Bananen mehr für unter ein Euro das Kilo“

Im Doppel-Interview diskutieren Lidl-Deutschland-Chef Oppitz und Fairtrade-Chef Overath, wie mehr Nachhaltigkeit trotz niedriger Preise möglich ist.
12.07.2021 - 14:15 Uhr Kommentieren
Der Lild-Deutschlandchef und der Fairtrade-Chef diskutieren darüber, wie Nachhaltigkeit und Discount zusammengehen können.
Matthias Oppitz (l.) und Dieter Overath

Der Lild-Deutschlandchef und der Fairtrade-Chef diskutieren darüber, wie Nachhaltigkeit und Discount zusammengehen können.

Düsseldorf Lidl-Deutschland-Chef Matthias Oppitz warnt davor, dass die immer größere Vielfalt an Labeln für Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder fairen Handel die Verbraucher verwirren könnte. „Wir wollen nicht zu viele Siegel verwenden, sonst wird das unübersichtlich für den Konsumenten“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt.

Lidl setzt dabei in erster Linie auf das Siegel „Fairtrade“, mit dem der Discounter bereits seit 15 Jahren zusammenarbeitet. Neu dazu kommt jetzt neben dem Nutri-Score das Umweltlabel Eco-Score, mit dem Lidl „eine Diskussion anstoßen“ will, wie Oppitz sagt. Der Discounter gehört zur Schwarz-Gruppe, die sich zurzeit nach dem plötzlichen Abgang von Konzernchef Klaus Gehrig neu sortiert.

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Trotz kritischer Stimmen von Aktivisten wirbt Fairtrade-Chef Dieter Overath dafür, dass sich die Nachhaltigkeitssiegel noch stärker dem Discount öffnen. „Uns hilft es nicht, in einen Glaubenskrieg aufzubrechen, wenn wir weitere Konsumentenschichten erreichen wollen“, sagt er im Handelsblatt-Interview. „Wir wollen nachhaltige Artikel in der Mitte der Gesellschaft verankern“, betont auch Lidl-Manager Oppitz.

Doch es gibt auch Rückschläge. Netto hat gerade die Fairtrade-Banane aus dem Sortiment genommen, und auch Lidl hatte zuvor angesichts des Preiskampfs seine Entscheidung revidiert, nur noch auf Fairtrade-Bananen zu setzen. „Wir müssen uns auch im Wettbewerbsumfeld messen. Wir sind nicht alleine im Markt“, begründet Oppitz den Schritt. „Wir sind nicht naiv, es gibt noch Produktkategorien, da herrscht der stiere Blick auf die Preise“, kritisiert Overath.

Doch der Fairtrade-Chef ist zuversichtlich, dass gerade die Erfahrungen der Coronakrise bei vielen jüngeren Konsumenten ein Umdenken ausgelöst haben. „Das ist auch eine Erfahrung aus der Pandemie, dass das persönliche Glück nicht nur vom Konsum abhängt“, beobachtet er. „Sie können die Probleme, die uns aktuell beschäftigen, nur global lösen, das gilt für soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Klimaschutz genauso wie für die Bekämpfung der Pandemie.“

Lesen Sie hier das komplette Doppel-Interview:

Herr Oppitz, auf den ersten Blick sind Discountpreise und Fairtrade, wo man freiwillig mehr bezahlt, doch ein Widerspruch. Wie kam es trotzdem zu dieser Kooperation?
Oppitz: Wir sehen da keinen Widerspruch. Wir bieten das beste Preis-Leistungs-Verhältnis durch unsere effizienten Prozesse und schlanken Strukturen – in jedem Produktsegment. Für uns war vor 15 Jahren der Treiber, unser Produktsortiment zu erweitern und abzurunden. Wir wollen nachhaltige Artikel in der Mitte der Gesellschaft verankern.

Hat es Ihnen diesen Schritt leichter gemacht, dass Sie ein Familienunternehmen sind?
Oppitz: Ja, das macht uns vieles leichter, gerade im Hinblick auf unser tägliches Handeln, langfristige Entscheidungen wie auch bei Nachhaltigkeitsthemen oder im Aufbau von strategischen Partnerschaften.

Herr Overath, mussten Sie sich anfangs zur Kooperation mit dem Discounter Lidl auch kritische Fragen aus der eigenen Organisation anhören?
Overath: Das waren vor 15 Jahren schon zwei Welten, die da aufeinandertrafen. Der ehemalige Schwarz-Chef Klaus Gehrig hat damals eine extrem lebhafte Diskussion auf der Mitgliederversammlung mit vielen Fairtrade-Vertretern geführt. Viele der Überzeugungstäter haben erst einmal gefremdelt, da kamen etliche Klischees und Vorurteile zusammen.

Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Argument für die Kooperation?
Overath: Uns war immer bewusst, dass man den Marktanteil von knapp der Hälfte, die der Discount hat, nicht ignorieren kann, wenn man den Markt mit Fairtrade durchdringen will. Unser Auftrag ist es, für die Produzenten im Süden so viel Volumen wie möglich zu erzielen. Uns hilft es nicht, in einen Glaubenskrieg aufzubrechen, wenn wir weitere Konsumentenschichten erreichen wollen.

„Viele Aktivisten haben das sehr misstrauisch beäugt“

Und damit konnten Sie die Kritiker überzeugen?
Overath: Wir waren unter verschärfter Beobachtung, viele Aktivisten haben das sehr misstrauisch beäugt. Aber wir konnten vermitteln, dass Lidl das nicht nur als Alibi oder Greenwashing macht, sondern ein glaubwürdiger Partner ist. Und der weitere Ausbau hat auch belegt, welch signifikanten Beitrag Lidl und mittlerweile ja auch Aldi für die Arbeit unserer Organisation leisten.

Der Fairtrade-Chef ist zuversichtlich, dass gerade die Erfahrungen der Coronakrise bei vielen jüngeren Konsumenten ein Umdenken ausgelöst haben. Quelle: obs
Fairtrade-Produkte

Der Fairtrade-Chef ist zuversichtlich, dass gerade die Erfahrungen der Coronakrise bei vielen jüngeren Konsumenten ein Umdenken ausgelöst haben.

(Foto: obs)

Wie hat sich der Anteil der Fairtrade-Produkte bei Lidl in den vergangenen Jahren entwickelt?
Oppitz: Wir haben heute rund 30 Artikel in unserem Standardsortiment. Wir haben bei unseren Eigenmarken den Kakao schon vor einigen Jahren zu großen Teilen auf Fairtrade umgestellt. Im vergangenen Jahr haben wir unsere neue Schokolade „Way to Go“ eingeführt, für welche neben der Fairtrade-Prämie und dem Mindestpreis zusätzlich eine Prämie an die Bauern am Ursprung geht. Zentral wichtig aber ist es, gemeinsam langfristige Projekte voranzutreiben. Deshalb geht die Wirkung weit über das einzelne Produkt hinaus. Der Fokus liegt auf Tee, Kaffee und Schokolade, aber wir haben auch im Textilbereich einiges ausprobiert.
Overath: Dazu kommt ja noch die Saisonware, gerade bei den Süßwaren darf man das nicht unterschätzen. Zu Weihnachten und Ostern hat Lidl rund 100 Fairtrade-Artikel im Angebot. Das hat Volumen, und das löst dann auch ein Umdenken bei großen Markenherstellern aus. Das hat eine enorme Wirkung über den Handel hinaus. Nur mal zu Erinnerung: Vor acht Jahren hatte Fairtrade bei Süßwaren einen Marktanteil von 0,1 Prozent, da haben wir fast die Hälfte der Schokolade schon hier in der Geschäftsstelle gefuttert. Heute liegen wir bei 16 Prozent.

Trotzdem hat es lange gedauert bis zu solchen Volumen.
Oppitz: Anfangs war es nicht möglich, beispielsweise beim Orangensaft, die Belieferung mit Fairtrade-Produkten in diesem großen Umfang sicherzustellen. Wir mussten das langsam aufbauen.
Overath: Für die Logistik stimmt das schon. Aber viele Produzenten waren schon lange bereit. Die Kakao-Kooperativen in Ghana und der Elfenbeinküste etwa haben schon vor acht Jahren geklagt, dass sie viel in die Zertifizierung investiert haben, aber nur zwei Prozent ihrer Produktion als Fairtrade absetzen konnten. Die Verfügbarkeit war da, aber die Nachfrage aus Deutschland nicht. Da hat Lidl für einen Durchbruch gesorgt, auch weil viele Händler dann gefolgt sind.

„Wir müssen uns auch im Wettbewerbsumfeld messen“

Aber es gab ja auch Rückschritte, gerade bei einem so ikonischen Fairtrade-Produkt wie der Banane. Sie hatten angekündigt, bei Lidl komplett auf Fairtrade-Bananen umzustellen, haben dieses Versprechen dann aber angesichts des Preiskampfs bei Bananen wieder zurückgenommen.
Oppitz: Wir wollten ein Zeichen setzen und den Markt bewegen. Das dreiteilige Angebot aus Fairtrade-Bio-Banane, konventioneller Fairtrade-Banane und der „Rainforest Alliance“-zertifizierten Banane ist bei uns jetzt Standard. Wir wollten damals einen Schritt weitergehen, aber wir müssen uns auch im Wettbewerbsumfeld messen. Wir sind nicht alleine im Markt.
Overath: In den 30 Jahren, die ich für Fairtrade arbeite, habe ich gelernt: Es ist dicke Bretter bohren. Mein Wunsch wäre es, keine Bananen mehr zu haben, die unter einem Euro pro Kilo verkauft werden. Aber ob ich das in meinem Berufsleben noch erlebe, bin ich nicht sicher. Das Produkt hat einen Transportweg von 12.000 Kilometern und wird preiswerter angeboten als heimische Äpfel, das kann doch nicht sein. Wir sind nicht naiv, es gibt noch Produktkategorien, da herrscht der stiere Blick auf die Preise.

Netto hat gerade Fairtrade-Bananen aus dem Sortiment genommen, immer mehr Unternehmen setzen auf andere oder eigene Label. Geht Fairtrade da unter?
Overath: Die Entscheidung von Netto ist doof, aber deswegen hängt bei uns jetzt nicht die schwarze Fahne aus dem Fenster. Wir stehen in einem Wettbewerb mit anderen Labels, das ist klar, wir müssen uns immer messen. Aber wir sind überzeugt, dass auch die Klimaprobleme nur durch mehr soziale Gerechtigkeit gelöst werden können. Produzenten brauchen den finanziellen Spielraum, um Klimaanpassungen zu machen, und dafür braucht es den Mindestpreis.

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Verwirren und überfordern die vielen unterschiedlichen Label nicht letztlich die Kunden? Er soll ja für alles Mögliche mehr zahlen – für Klimaschutz, für Tierwohl, für Regionalität, für fairen Handel, für weniger Schadstoffe.
Oppitz: Die Diskussion haben wir intern auch. Neben dem Nutri-Score testen wir jetzt beispielsweise das Umweltlabel Eco-Score, um eine Diskussion anzustoßen. Wir wollen nicht zu viele Siegel verwenden, sonst wird das unübersichtlich für den Konsumenten. Aber wir sehen auch, dass unsere Kunden Transparenz schätzen. Da müssen wir mit den richtigen Partnern unseren Weg finden.

Ist es Ihr Ziel, aus der Nische in immer mehr Produktkategorien zu kommen?
Overath: Wir gucken nicht nur auf neue Produkte, sondern auch darauf, das Erreichte in den bisherigen Kategorien zu stabilisieren. In vielen Bereichen sind wir längst aus der Nische heraus, bei Blumen haben wir einen Marktanteil von 33 Prozent. Wo wir gerne noch stärker reingehen würden, sind Nüsse. Wir sind auch bei Reis und Tee noch nicht stark. Und wir würden auch gerne im Baumwoll- und allgemein im Textilbereich einen Schritt vorangehen.
Oppitz: Wir wollen auch erst mal die Stärken stärken und den Anteil in Warengruppen wie Kaffee, Kakao oder Bananen weiter erhöhen. Wir sind immer offen für die Überprüfung eines weiteren Ausbaus unseres Sortiments.

„Häufig endet die Moral am Regal“

Was auffällt: Das Bewusstsein der Verbraucher für Nachhaltigkeit ist in der Coronakrise eher gewachsen, der Umsatz mit Fairtrade-Produkten im vergangenen Jahr aber gesunken. Wie erklärt sich das?
Overath: Wir sind in den vergangenen Jahren sehr stark geworden im Außer-Haus-Bereich, etwa in der Verkehrsgastronomie. Da haben wir gelitten wie alle anderen auch im Lockdown. Wenn Modeläden geschlossen sind, wird auch weniger Fairtrade-Baumwolle verkauft. Die Rückgänge haben nichts mit dem Lebensmitteleinzelhandel zu tun, bei Kaffee beispielsweise haben wir deutlich zugelegt. Wo die Fairtrade-Ware verfügbar war, ist sie gekauft worden.

Lidl hat bei den Eigenmarken den Kakao zu großen Teilen auf Fairtrade umgestellt. Quelle: obs
Fair gehandelte Kakaobohnen

Lidl hat bei den Eigenmarken den Kakao zu großen Teilen auf Fairtrade umgestellt.

(Foto: obs)

Das heißt, Sie spüren auch mehr Nachdenklichkeit bei den Konsumenten?
Overath: Ja, aber unsere Aufgabe und die des Handels ist es, aus dieser Nachdenklichkeit auch aktives Tun zu machen. Mit Umfragen könnte ich mir hier die Wände zukleistern. In Umfragen sind hundert Prozent der Befragten gegen Kinderarbeit, aber häufig endet die Moral am Regal. Wir treffen auf eine höhere Bereitschaft, aber die muss auch abgeholt und umgesetzt werden.

Sind Sie zuversichtlich, dass Sie das schaffen können?
Overath: Sie können die Probleme, die uns aktuell beschäftigen, nur global lösen, das gilt für soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Klimaschutz genauso wie für die Bekämpfung der Pandemie. Bei unseren Partnern in Afrika sind erst 0,5 Prozent der Menschen geimpft. Die Ansätze, diese Probleme global zu lösen, werden stärker, aber das geht nicht von heute auf morgen.

Der Mehrwert und der nötige Aufpreis von Fairtrade ist im Textilbereich für den Kunden schwerer nachvollziehbar, glaubt der Lidl-Deutschland-Chef. Quelle: obs
Textilfabrik in Indien

Der Mehrwert und der nötige Aufpreis von Fairtrade ist im Textilbereich für den Kunden schwerer nachvollziehbar, glaubt der Lidl-Deutschland-Chef.

(Foto: obs)

Wie erklären Sie sich, dass sich trotz aller Berichte über die Produktionsbedingungen im Textilbereich Fairtrade noch kaum durchsetzt?
Oppitz: Der Textilbereich ist aufgrund der Mehrstufigkeit und des Preisgefüges sehr komplex. Daher ist der Mehrwert und der nötige Aufpreis von Fairtrade für den Kunden schwerer nachvollziehbar. Aber es gibt ja nicht nur Fairtrade, wir waren beispielsweise von Anfang an am Grünen Knopf beteiligt und haben ihn mit auf den Weg gebracht. Auch hier wird sich das Bewusstsein ändern, aber als Standard ist das in der Branche noch lange nicht etabliert.
Overath: Der Fairtrade-Textilstandard ist aber auch der komplizierteste. Von der Baumwolle über die Spinnerei bis zum Färben und zur Verarbeitung haben sie so viele Ebenen, auf denen man Verbesserungen erzielen muss. Das ist ambitioniert. Deswegen zerlegen wir das in einzelne Schritte. Bei Baumwolle sind wir schon stark.

Setzen Sie da auf die Fridays-for-Future-Bewegung, die ja auch einen bewussteren Konsum proklamiert?
Overath: Die ganze Modeindustrie muss sich da warm anziehen, das ganze Verhalten im Einkauf ändert sich gerade. Die Glücksgefühle erhöhen sich nicht mehr durch zehn neue T-Shirts pro Woche. Das ist auch eine Erfahrung aus der Pandemie, dass das persönliche Glück nicht nur vom Konsum abhängt.

Herr Oppitz, Herr Overath, vielen Dank für das Interview.

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