Energie Wasserstoffbedarf könnte sich bis 2070 versiebenfachen

Grüner Wasserstoff steht weltweit im Zentrum der Bestrebungen, die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren.
Berlin Die weltweiten Klimaschutzbemühungen werden die Wasserstoffnachfrage in den kommenden Jahrzehnten drastisch steigen lassen. Ausgehend von einem anhaltenden Nachhaltigkeitstrend, in dem Öl, Kohle und Gas Schritt für Schritt ersetzt werden, wird sich der globale Wasserstoffbedarf zwischen 2019 und 2040 von 2400 Terawattstunden (TWh) auf 4590 TWh annähernd verdoppeln.
Bis zum Jahr 2070 wird sich die Nachfrage sogar um den Faktor sieben auf 17.390 TWh erhöhen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie von Strategy&, der Strategieberatung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, die dem Handelsblatt vorliegt.
Zur Einordnung der Dimensionen ein Blick auf die Nationale Wasserstoffstrategie, die die Bundesregierung im Juni vergangenen Jahres verabschiedet hat: In der Wasserstoffstrategie wird für 2030 das Ziel definiert, in Deutschland jährlich 14 TWh grünen Wasserstoff herzustellen.
Dazu sollen Elektrolysekapazitäten mit fünf Gigawatt Leistung (GW) installiert werden, die mit Strom aus Windkraftanlagen betrieben werden. Die Bundesregierung erwartet bis 2030 einen Wasserstoffbedarf in Deutschland von 90 bis 110 TWh. Ein großer Teil des Wasserstoffs wird daher importiert werden müssen. In den Jahren darauf wird der Wasserstoffbedarf in Deutschland noch deutlich steigen.
Derzeit verbraucht die Industrie in Deutschland jährlich 55 bis 60 TWh Wasserstoff. Davon werden aber bislang deutlich mehr als 90 Prozent durch Dampfreformierung auf Basis von fossilen Energieträgern, in erster Linie Erdgas, hergestellt. Bei der Herstellung wird CO2 frei.
Wasserstoff-Aktien boomen an der Börse
Dagegen ist Wasserstoff, der mittels Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse hergestellt wird, klimaneutral. Dieser „grüne Wasserstoff“ steht weltweit im Zentrum der Bestrebungen, die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren.
Grüner Wasserstoff kann überall dort den Weg zur Klimaneutralität ebnen, wo der direkte Einsatz von Strom nicht oder nur schwer möglich ist. So kann er beispielsweise genutzt werden, um den CO2-intensiven Hochofenprozess in der Stahlindustrie zu ersetzen. Auch in der Chemieindustrie ist er unverzichtbar, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Ähnliches gilt für den Flug- und den Schwerlastverkehr.
Damit lässt sich auch viel Geld machen. Eine Ankündigung reicht – und schon explodiert der Aktienkurs. Wenn ein Wasserstoff-Start-up an die Börse geht, gibt es für die Aktie meist nur eine Richtung: nach oben. Größe, Umsatz oder gar Gewinn spielen bei den gehypten Power-to-X-Unternehmen keine Rolle.
Seit dem Hype um die Dotcom-Blase dürfte es an den Börsen kaum etwas Vergleichbares gegeben haben. Jetzt machen unzählige Wasserstoffaktien den Internettiteln aus den 90er-Jahren Konkurrenz. Wasserstoff ist in immer mehr Ländern ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Energiewende. Da wo Strom und Batterien nicht ausreichen, soll das gasförmige Molekül eine Schlüsselrolle auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Welt einnehmen.
Der PwC-Studie zufolge wird Wasserstoff vor allen Dingen im Transportwesen (30 Prozent), im Flugverkehr (20 Prozent), in der Stahl- und Chemieindustrie (15 Prozent) und in der Energieerzeugung (15 Prozent) genutzt. Der Rest verteilt sich auf verschiedene andere Bereiche, etwa den Gebäudesektor.
Die Herausforderung bestehe darin, die Nachfrage nach klimaneutralem Wasserstoff „über Subventionen gezielt anzukurbeln“, sagt Matthias Witzemann, einer der Autoren der Studie. Der PwC-Experte empfiehlt, sich bei der Förderung „auf industrielle Cluster zu konzentrieren, die mit der eigenen Dekarbonisierung zu kämpfen haben“.
Über diese Strategie denken sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung nach. Allerdings sind entsprechende Programme noch nicht finalisiert, oder es laufen noch Ausschreibungsverfahren.
Die Unternehmen sind dagegen bereits recht weit. So können Stahlhersteller wie Thyssen-Krupp, Arcelor-Mittal oder Salzgitter bereits klimaneutralen Stahl herstellen. Sie warten aber noch darauf, dass ihnen der Staat verbindliche Zusagen darüber macht, einen Teil der Mehrkosten für die anstehenden Investitionen und auch für den laufenden Betrieb zu übernehmen. Die betroffenen Unternehmen stehen vor wichtigen Investitionsentscheidungen und brauchen daher rasch Klarheit.
Prognose: Bis 2030 wettbewerbsfähig
Damit grünem Wasserstoff der Durchbruch gelinge, müsse auf der Angebotsseite der Aufpreis im Vergleich zu konventionellen Technologien überwunden werden, heißt es dazu in der PwC-Studie. In der Studie wird prognostiziert, dass grüner Wasserstoff „bereits 2030 in großen Mengen wettbewerbsfähig“ wird.
Voraussetzung sei, dass die Gestehungskosten für Strom aus erneuerbaren Quellen unter 20 Dollar (16,50 Euro) je Megawattstunde (MWh) fielen und zugleich weltweit die CO2-Abgaben anstiegen.
Gestehungskosten von 20 Dollar je MWh für Strom aus erneuerbaren Quellen im Jahr 2030 erscheinen realistisch. Bei einzelnen Projekten in sonnenreichen Staaten wie Saudi-Arabien wurde dieser Wert sogar bereits unterschritten. Die Strompreise sind der entscheidende Faktor bei der Wasserstoffelektrolyse. Laut PwC machen sie derzeit 60 bis 70 Prozent der variablen Kosten bei der Herstellung von grünem Wasserstoff aus.
Durch den massiv steigenden Energiebedarf für die Wasserstoffherstellung werden vor allem Länder mit großem Potenzial für erneuerbare Energien, wie etwa Kanada oder Marokko, zu potenziellen Exporteuren grünen Stroms oder grünen Wasserstoffs“, heißt es bei PwC. Industriestaaten wie Deutschland oder Japan dagegen würden eher zu Importeuren.
Entscheidend ist die Verfügbarkeit von Wasser
Die PwC-Experten verweisen auf einen Aspekt, der einer Produktion von grünem Wasserstoff in einzelnen Fällen im Wege stehen könnte: „Da für die Gewinnung von einem Kilo Wasserstoff 22 Liter Wasser eingesetzt werden müssen, eignen sich dicht besiedelte Industriegebiete nur begrenzt als Produktionsorte“, sagen die PwC-Experten. Wasser könne sich somit zu einem „kritischen Standortfaktor“ entwickeln.
Allerdings dürfte die Verfügbarkeit von Wasser nicht zu einem Grundsatzproblem werden. „In Regionen, in denen nicht ausreichend Süßwasser vorhanden ist oder eine Beeinträchtigung des Wasserhaushalts zu befürchten ist, bietet sich die Meerwasserentsalzung an. Die Kosten der Entsalzung sind sehr überschaubar. Bei den entsprechenden Vorhaben sind diese Kosten längst eingepreist“, hatte Bernd Heid, Wasserstoffexperte bei McKinsey, kürzlich gesagt. „Das wird nicht zur Bremse für die weltweite Entwicklung“, sagte er. Hinzu kommt, dass für die Elektrolyse auch Verfahren erforscht werden, bei den Salzwasser zum Einsatz kommt.
Mit Blick auf den Aufbau einer europaweiten Wasserstoffinfrastruktur lenkt PwC den Blick auf die Umnutzung vorhandener Erdgasleitungen. Allerdings seien auch zusätzliche Leitungen erforderlich. Projekte, die auf die Nutzung der vorhandenen Gasnetzinfrastruktur setzen, um Wasserstoff in großen Mengen aus dem sonnenreichen Süden Europas in die industriellen Zentren im Nordwesten des Kontinents zu transportieren, sind in Vorbereitung.
Mehr: Lesen Sie hier, wie der Wasserstoffrat den Weg zu klimaneutraler Luftfahrt skizziert
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Nicht jeder Bedarf, kann zu akzeptablen Bedingungen gedeckt werden. Die Wasserstoffverwendung in großem Stil ist ein totgeborenes Kind
Zur Produktion von Wasserstoff wird Strom oder Erdgas benötigt. Erdgas zu Wasserstoff umzuarbeiten ist grober Unfug, weil dabei neben den Umwandlungsverlusten auch CO2 entsteht. Ebenso unsinnig ist es Wasserstoff mithilfe von Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken herzustellen.
Sinnvoll erscheint, trotz der sehr hohen Umwandlungsverluste, die Herstellung von Wasserstoff nur aus „grünem“ Strom (Windkraftanlagen und Photovoltaik), soweit dieser nicht anderweitig verbraucht oder gespeichert werden kann. Die Speicherkapazitäten werden sich aber mit der wachsenden Verbreitung von E-Mobilen und der weiteren Verbesserungen der Akkus noch erheblich vergrößern.
Auch die Vorstellung, künftig große Mengen Wasserstoff aus anderen Länder (Sahararaum) importieren zu können, wird aus politischen Gründen nicht funktionieren und vor allem deshalb nicht, weil diese Länder den selbst erzeugten grünen Strom selbst am besten verwenden können.