EWI-Studie Energieversorger könnten Profiteure des Wasserstoff-Booms werden

Industriegasehersteller könnten bei der Produktion von grünem Wasserstoff das Nachsehen haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine EWI-Analyse.
Berlin Der Markt für Wasserstoff wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten kräftig wachsen und sich gleichzeitig grundlegend wandeln. Gewinner der Entwicklung könnten Energieversorger sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI), die dem Handelsblatt vorliegt
„Der Markthochlauf CO2-armen Wasserstoffs ruft eine Neuordnung der bisherigen Wertschöpfungskette hervor. Auf Angebotsseite werden Energieversorgungsunternehmen eine zentrale Rolle einnehmen“, heißt es in der Analyse. Die Energieversorger würden chemische Industrie und Industriegasehersteller bei Erzeugung und Vertrieb verdrängen.
Auf der Angebotsseite zeichneten sich somit „deutliche Verschiebungen“ ab. Die Energieversorger hätten nicht zuletzt durch die politische Fokussierung auf grünen Wasserstoff „einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil“.
Durch ihre Kernkompetenzen im Bereich der Stromerzeugung und des Stromhandels sowie durch ihre häufig breit gestreuten Stromerzeugungsportfolios verfügten sie über die notwendige Expertise zur Kopplung von Elektrolyseuren mit dem Stromsystem.
Das EWI hat für die Analyse knapp 40 Interviews mit Fachleuten aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie knapp 80 Wasserstoffdemonstrationsprojekten in Deutschland geführt. Die Analyse wurde auf Initiative des EWI-Fördervereins angefertigt.
Wandel der Wasserstoffproduktion
Die Analyse verdeutlicht damit, vor welchem Wandel die Wasserstoffproduktion steht. Schon heute werden in Deutschland jährlich rund 55 bis 60 Terawattstunden Wasserstoff verbraucht. Dabei handelt es sich aber ganz überwiegend um „grauen Wasserstoff“. Er wird durch Dampfreformierung auf Basis von fossilen Energieträgern, in erster Linie Erdgas, hergestellt. Bei der Produktion wird CO2-frei.
Dieser graue Wasserstoff wird hauptsächlich als Grundstoff in der chemischen Industrie eingesetzt. Die chemische Industrie stellt den Wasserstoff überwiegend für den Eigenverbrauch selbst her. Ein Teil wird von Industriegaseherstellern wie Air Liquide oder Linde bereitgestellt.
Doch künftig wird grüner Wasserstoff im Zentrum der Entwicklung stehen. Grüner Wasserstoff wird mittels Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse hergestellt. Er ist klimaneutral und ermöglicht damit die Dekarbonisierung industrieller Prozesse und des Schwerlast- und Flugverkehrs.
Zu den ersten großtechnischen Anwendern dürfte die Stahlbranche gehören. Unternehmen wie Thyssen-Krupp, Salzgitter oder Arcelor-Mittal wollen die klassische Hochofenroute durch CO2-arme oder CO2-freie Prozesse ersetzen und benötigen dafür große Mengen an klimaneutralem Wasserstoff.
Die Bundesregierung erwartet bis 2030 einen Wasserstoffbedarf in Deutschland von 90 bis 110 TWh. Bis 2050 wird er noch erheblich ansteigen.
Wettbewerbsvorteil für Energieversorger
Für die Produktion von grünem Wasserstoff ist die Verfügbarkeit von günstigem Strom aus erneuerbaren Quellen in großen Mengen der ausschlaggebende Faktor. Der Strom steht für 60 bis 70 Prozent der Produktionskosten.
Das gibt den Energieversorgungsunternehmen gute Startchancen. Sie hätten durch die politische Fokussierung auf grünen Wasserstoff „einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil“, heißt es in der EWI-Analyse. Der „Druck auf die bisherigen Platzhirsche“ aus der Chemieindustrie sei daher enorm.
Weitere Wettbewerber stoßen der EWI-Studie zufolge seitens der Öl- und Gasproduzenten hinzu. „Zu beobachten ist, dass diese Stakeholder entweder in erneuerbare Energien investieren oder andere Arten der CO2-armen Wasserstofferzeugung vorantreiben“, schreiben die EWI-Experten. In Betracht kommt dabei beispielsweise die Dampfreformierung in Kombination mit der Abscheidung und Speicherung von CO2.
Auch bei der Transportinfrastruktur sehen die Fachleute des EWI eine Verschiebung der Rollen. „Im Bereich des pipelinebasierten Wasserstofftransports bieten sich Erdgastransport- und Verteilnetzbetreiber als künftige Betreiber eines Wasserstoffnetzes an, da bei ihnen die Möglichkeit zur Umwidmung bestehender“ Leitungen zu Wasserstoffpipelines bestehe.
Nach Überzeugung der EWI-Experten bedarf es für den Markthochlauf von Wasserstoff staatlicher Markteingriffe. „Grüner Wasserstoff wird zwar bald von vielen Unternehmen und Sektoren nachgefragt, aber zu Beginn nur begrenzt verfügbar sein“, sagt EWI-Manager Simon Schulte. „Deshalb muss die Verteilung von Fördermitteln als politische Priorisierung der Sektoren verstanden werden.
Um eine kosteneffiziente Verteilung knappen Wasserstoffs im Sinne des Klimaschutzes sicherzustellen, sollten insbesondere Kriterien wie CO2-Vermeidungskosten als Verteilungsschlüssel herangezogen werden“, empfiehlt Schulte. Fördermittel seien notwendig, da grüner Wasserstoff verglichen mit konventionellen Energieträgern nicht wirtschaftlich sei.
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