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Klimaschutz Warnung vor CO2-Alleingang: „Nationale Sonderwege helfen nicht“

Kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz raten Manager und Wissenschaftler der EU, auf ein Vorpreschen bei strengeren CO2-Vorgaben zu verzichten. Besser sei die Gründung eines globalen Klimaklubs.
24.10.2021 - 18:08 Uhr 8 Kommentare
Energiewende als globale Aufgabe. Quelle: Paul Langrock/Zenit/laif
Kohlekraftwerk und Windrad

Energiewende als globale Aufgabe.

(Foto: Paul Langrock/Zenit/laif)

Düsseldorf, Berlin Europäische Alleingänge im Klimaschutz können der Wirtschaft nach Überzeugung von Managern und Ökonomen erheblich schaden. Es bestehe die Gefahr, „dass sich die EU und Deutschland so weit vom Rest der Welt entfernen, dass die industrielle Wettbewerbsfähigkeit massiv beeinträchtigt wird“, sagte BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller dem Handelsblatt.

Christian Kullmann, Evonik-Chef und Präsident des Branchenverbands VCI, mahnt, der Kampf gegen den Klimawandel könne nur international gewonnen werden. „Nationale Sonderwege helfen nicht“, sagte Kullmann ebenfalls dem Handelsblatt.

Die beiden führenden Chemiemanager haben den Zeitpunkt für ihre Warnung bewusst gewählt: Am kommenden Sonntag beginnt in Glasgow die Weltklimakonferenz. Die EU und speziell Deutschland hatten zuletzt ihre Klimaziele deutlich nachgeschärft. Wie auch andere Branchen muss die europäische Chemieindustrie in den kommenden Jahren massiv in die eigene Dekarbonisierung investieren, um die strengeren CO2-Vorgaben zu erfüllen. Wettbewerber aus dem nichteuropäischen Ausland unterliegen im Vergleich dazu überwiegend niedrigeren Klimaschutzstandards.

Der Kölner Verhaltensökonom Axel Ockenfels kritisiert im Handelsblatt-Interview das Vorpreschen der EU ebenfalls als kontraproduktiv: „Wenn man auf die nächste Weltklimakonferenz fährt und dort erklärt, dass die Klimaziele unabhängig von dem Verhalten anderer Länder bereits feststehen, gibt man Verhandlungsmacht aus der Hand.“

Ockenfels befasst sich seit Jahren mit der Frage, wie sich Klimaschutzziele global umsetzen lassen. Nach seiner Überzeugung kommt es darauf an, dass sich andere Länder und Regionen ebenfalls verbindliche Ziele setzen. „Bei manchen Signalen bekommt man den Eindruck, es gehe darum, wer sich zu Hause als Klimabester präsentieren kann. Ich vermisse Signale, die andere Länder zum Mitmachen motivieren“, sagte Ockenfels.

Die EU und speziell Deutschland hatten ihre Ziele zuletzt deutlich verschärft. Ende 2020 hatten die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, das europäische CO2-Reduktionsziel für 2030 von 40 Prozent auf 55 Prozent gegenüber 1990 zu erhöhen.

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Deutschland ging daraufhin noch einen Schritt weiter. Unter dem Eindruck eines wegweisenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aus dem Frühjahr verschärfte die Große Koalition im Mai 2021 das 2019 beschlossene Klimaschutzgesetz. Das Treibhausgas-Reduktionsziel für 2030 wurde von 55 auf 65 Prozent angehoben. Zugleich zog die Koalition das Ziel der Klimaneutralität der gesamten Volkswirtschaft um fünf Jahre von 2050 auf 2045 vor. Deutschland beschreitet damit einen Sonderweg, der weltweit ohne Beispiel ist.

Wie und ob das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden kann, ist in weiten Teilen unklar. Unbestritten ist, dass es innerhalb der kommenden Jahre grundlegender Reformen und massiver Investitionen bedarf. Das Thema spielt daher eine zentrale Rolle bei den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP, die in diesen Tagen in ihre entscheidende Phase gehen.

Investitionen

860

Milliarden Euro

an Mehrinvestitionen sind allein in Deutschland nötig, um bis 2030 bei Klimaneutralität schneller voranzukommen. Quelle: BDI

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) hatten in der vergangenen Woche eine Studie vorgestellt, der zufolge in Deutschland bis 2030 Mehrinvestitionen der öffentlichen Hand und von privater Seite im Volumen von 860 Milliarden Euro erforderlich sind, um auf dem Weg zur Klimaneutralität schnell genug voranzukommen.

Die Autoren der Studie verweisen darauf, dass es neben massiver Investitionen grundlegender Veränderungen im Planungs- und Genehmigungsrecht bedarf, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Sie halten außerdem eine umfassende Absicherung von Unternehmen für erforderlich, damit diese den Transformationsprozess bewältigen können.

Im Zentrum der Überlegungen stehen dabei neben Entlastungen beim Strompreis insbesondere Differenzverträge, im Fachjargon Carbon Contracts for Difference (CCfD) genannt. Dabei verpflichtet sich die öffentliche Hand gegenüber Unternehmen, bei Investitionen in neue, klimaneutrale Verfahren die Mehrkosten gegenüber Investitionen in konventionelle Technik zu übernehmen. Außerdem müssten die Differenzverträge auch über Jahre die Mehrkosten des laufenden Betriebs ersetzen, heißt es in der Studie.

Großer Hebel zur Einsparung von Emissionen

BASF-Chef Brudermüller hält solche Konstruktionen für unverzichtbar. Die EU-Kommission und die neue Bundesregierung müssten sich „mit aller Kraft auf pragmatische Rahmenbedingungen konzentrieren“, sagte er. „Ambitioniert sein ist immer gut, aber träumen hilft nicht weiter.“

Brudermüller und Evonik-Chef Kullmann begrüßen Initiativen zur Gründung von „Klimaklubs“ aus gleichgesinnten Staaten oder Regionen. „Um das zu einem Erfolg zu machen, muss es ein Klub aus vielen wichtigen Ländern sein. Die neue Bundesregierung sollte die G7-Präsidentschaft Deutschlands im kommenden Jahr für eine entsprechende Initiative nutzen“, sagte Brudermüller.

Kullmann ergänzte: „Das ist eine der Aufgaben, die die EU-Kommission und die kommende Bundesregierung in Angriff nehmen müssen.“ Wenn es gelänge, perspektivisch zu einer einheitlichen CO2-Bepreisung zu kommen, „wäre das ein großer Hebel zur Einsparung von Emissionen weltweit“, sagte der Evonik-Chef.

Ablehnend stehen Brudermüller und Evonik dem Vorschlag der EU-Kommission gegenüber, den Wettbewerbsnachteil gegenüber Ländern mit weniger hohen CO2-Reduktionszielen mithilfe eines „CO2-Grenzausgleich“ genannten Schutzzolls zu kompensieren. „Gegenmaßnahmen anderer Länder wären bei der Einführung eines Grenzausgleichs sehr wahrscheinlich. Klimaprotektionismus schadet dem Klimaschutz und gefährdet Arbeitsplätze und Wachstumschancen“, sagte Kullmann. Brudermüller warnte, das System eines CO2-Grenzausgleichs „lädt geradezu dazu ein, Industrien zu verlagern“.

Ziel müsse vielmehr sein, die neuen Technologien in der Anlaufphase so zu fördern, dass sie nach dieser Phase schnell international wettbewerbsfähig werden.

Mehr: Ökonom Ockenfels mahnt: „Klimaziele reduzieren keine CO2-Emissionen“

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8 Kommentare zu "Klimaschutz: Warnung vor CO2-Alleingang: „Nationale Sonderwege helfen nicht“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • @Marcel Hülsebus: Mit der Argumentation 'Die anderen stoßen ja mehr aus' kann sich prktisch jeder eine Insel bauen, um nichts zu tun. Das kann also nicht das Argument sein.

    Wnn Sie sich die Korrelation zwischen weltweiter Bevölkerungsentwicklung und CO2 Ausstoß ansehen könnte Ihnen aber selbst eine Idee kommen: In Benin liegt die Fertilität bei 4,8 Kindern/Frau.

  • Im Untertitel wird allgemein von Wissenschaftlern gesprochen, dabei werden im Artikel nur ein paar ausgewählte Ökonomen erwähnt.

    Treibhausgas-Reduktionsziele festzulegen ist einfach, entscheidend ist die Umsetzung.
    Siehe auch "Deutschland bei erneuerbaren Energien unter EU-Schnitt":
    www.handelsblatt.com/politik/deutschland/klimaschutz-deutschland-bei-erneuerbaren-energien-unter-eu-schnitt/27718176.html

    Bei dem jetzigen langsamen Tempo der Umsetzung, habe ich sogar Zweifel, ob Deutschland und die EU das im Pariser Klimaabkommen von 195 Vertragsparteien vereinbarte Ziel erreichen.
    Siehe: de.wikipedia.org/wiki/Übereinkommen_von_Paris

  • @Andre Peter
    Was wäre eigentlich wenn der Staat sich selbst verpflichten würde nur noch Co2 neutral einzukaufen?
    Damit würde eine große Nachfrage nach Co2 neutralen Produkten entstehen und eine Nachhaltige Wirtschaft könnte entstehen.
    P.s. in China verliert die Kohle trotzdem jährlich 1% am Strommix.

    @Axel Braun
    Wieviel stoßen denn die 140 Länder verglichen mit De aus und was würden sie Länder wie Benin empfehlen um ihren Co2 Ausstoß zu Reduzieren?

  • @Andre Peter
    Was wäre eigentlich wenn der Staat sich selbst verpflichten würde nur noch Co2 neutral einzukaufen?
    Damit würde eine große Nachfrage nach Co2 neutralen Produkten entstehen und eine Nachhaltige Wirtschaft könnte entstehen.
    P.s. in China verliert die Kohle trotzdem jährlich 1% am Strommix.

    @Axel Braun
    Wieviel stoßen denn die 140 Länder verglichen mit De aus und was würden sie Länder wie Benin empfehlen um ihren Co2 Ausstoß zu Reduzieren?

  • Der Begriff 'Klimaziel' ist an sich schon framing und irreführend.

    Es gibt kein Klimaziel.

    Wir können Emissionsreduktionsziele vereinbaren - was das Klima daraus macht, steht auf einem anderen Blatt., auch wenn es manche wünschen oder behaupten dass man die Klimaentwicklung so genau vorausberechnen kann. Wer in den IPCC Bericht schaut stellt, fest dass es erhabliche Unsicherheiten gibt, z.B. bei der Klimasensitivität des CO2, oder grobe Vereinfachungen, was die natürliche Variabilität angeht (weil die in den Modellen auch noch nicht sauber abgebildet werden kann).

    Global wäre es aber mal ein guter Ansatz, wenn die 140 Länder, die sich in paris zu gar nichts committed haben, einfach mal mit Umweltschutz anfangen....

  • Wenn Sie mit Vertreter*innen der indischen Regierung über den Kohle-Ausstieg diskutieren, dann sagen Ihnen die, dass in Deutschland pro Kopf dreimal soviel CO2 ausgestoßen wird, wie in Indien. Wir müssen in Deutschland wesentlich schneller voran kommen, damit wir als Verhandlungspartner auf internationaler Ebene ernst genommen werden.

  • @Herr Mark Roach
    Sie vergessen in Ihrem Gedankengut, dass Deutschland für die ganze Welt Waren produziert. Ihre Forderung, dass pro Kopf in Deutschland genauso viel CO2 ausgestoßen wird, wie in einem Entwicklungsland, bedeutet, dass auch nicht mehr produziert wird als im Entwicklungsland.
    Zudem vergessen Sie, dass z.B. China in 2019 Kohlekraftwerke zusätzlich gebaut hat mit einem CO2 Ausstoß, der die Abschaltung aller deutschen Kohlekraftwerke übersteigt.
    Insgesamt ist Deutschland produziert Deutschland wegen der hohen Energiekosten energieeffizient und damit CO2 reduziert. Die hohe CO2 Bepreisung wird zu einer Verlagerung der Produktion ins Ausland mit einem deutlich höheren CO2 Ausstoß führen!

  • Die Denke dieses Artikels führt völlig in die Irre. Warum hat sich die internationale Staatengemeinschaft denn bisher nicht auf die Verteilung von Emissionsabbauzielen auf die einzelnen Staaten einigen können? Weil die Industrieländer, die bereits jetzt einen hohen CO2-Anteil produzieren, eine sehr einfache pro-Kopf-Verteilung der Abbauziele wollen. Während die Entwicklungsländer von den Industriestaaten verlangen, erstmal auf den pro-Kopf-Verbrauch der Entwicklungsländer zu reduzieren. Insofern wäre ein "europäischer Sonderweg" tatsächlich die Eröffnung einer Chance hin zu einem weltweiten Abbauplan! Ein Schritt in Richtung Kompromiß! Wir sollten ihn also beschreiten!

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