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Lieferketten Straße oder Schiene? Der Güterverkehr kämpft um seinen Beitrag zum Klimaschutz

Der Transport von Waren soll klimaneutral werden. Eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene wäre eine schnelle Lösung. Das ist aber nicht so trivial wie es aussieht.
02.08.2021 - 12:44 Uhr Kommentieren
Die Idee, Lastwagen wie einen Zug über Fahrdrähte elektrisch zu betreiben, ist durchaus umstritten. Quelle: dpa
Der E-Highway in Hessen

Die Idee, Lastwagen wie einen Zug über Fahrdrähte elektrisch zu betreiben, ist durchaus umstritten.

(Foto: dpa)

Frankfurt Wer auf der A5 zwischen Zeppelinheim nahe dem Frankfurter Flughafen und Weiterstadt bei Darmstadt fährt, muss sich an den Anblick erst gewöhnen. Auf fünf Kilometern sind über der rechten Spur zwei Fahrdrähte gespannt. Es ist einer von mittlerweile drei E-Highways in Deutschland – Teststrecken, bei denen spezielle Lkws mit Stromabnehmern elektrisch fahren und gleichzeitig ihre Batterien aufladen können.

Ist das die Zukunft einer klimafreundlichen Lieferkette? Siemens und der Autozulieferer Continental glauben fest daran. Vor wenigen Tagen haben sich deren Ableger Siemens Mobility und Continental Engineering Services (CES) zusammengetan, um gemeinsam die Serienfertigung von Stromabnehmern für Lkws zu realisieren. „Das Ziel von Siemens Mobility und CES ist es, das Lkw-Oberleitungssystem flächendeckend in ganz Europa zur Verfügung zu stellen“, heißt es in der Mitteilung.

Beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), der Interessenvertretung der privaten Güterbahnen, sieht man das Vorhaben dagegen skeptisch. Der Oberleitungs-Lkw kopiere lediglich das bewährte System der Eisenbahn. Da sei es sinnvoller, direkt in den Schienengüterverkehr zu investieren. Dieser findet schon heute zu 95 Prozent elektrisch statt.

Vor gut zwei Wochen präsentierte die EU-Kommission unter dem Namen „Fit for 55“ ihre Vorhaben für den Klimaschutz. Unter anderem soll der Verkehrssektor und damit auch der Nutzverkehr auf der Straße über ein eigenes System in Zukunft Verschmutzungsrechte erwerben müssen. Das soll Anreize für klimafreundlicheres Verhalten fördern. Doch die Branche ist zerstritten – es fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept.

So warnt das Brüsseler Gemeinschaftsbüro der Transportunternehmer aus Frankreich, aus den nordischen Ländern und Deutschland vor den finanziellen Folgen einer Besteuerung derselben CO2-Emissionen: Solange es keine Alternative zu den heutigen Antriebstechnologien zu kaufen gebe, würden die höheren Kosten lediglich wie eine „Bestrafung des Straßentransportsektors“ wirken und „nicht dazu beitragen, dass der Sektor grüner wird“.

Branche zieht nicht an einem Strang

„Wir bedauern, dass die EU-Kommission die Chance nicht nutzt, die Abschaffung von Dieselsteuerprivilegien und Tanktourismus vorzuschlagen“, sagt hingegen Peter Westenberger, der Geschäftsführer des NEE: „Im gesamten Paket spielt die existierende Alternative der Schiene eine viel zu geringe Rolle.“ Dabei biete sie momentan die einzige Aussicht, den Verkehrssektor schnell klimafreundlich zu machen.

Beide haben recht. Zwar will Daimler die Serienfertigung seines eActros im Oktober starten. Die Reichweite soll immerhin 400 Kilometer betragen. Doch bis E-Trucks flächendeckend verfügbar sein werden, wird es dauern. Daimler Truck will bis zum Ende der Dekade 60 Prozent seiner Brummis in der elektrischen Variante verkaufen. Bei den Rivalen Traton und Volvo Trucks soll bis 2030 jeder zweite verkaufte Lkw elektrisch sein.

Mit Blick auf die hohen Preise für die elektrifizierten Trucks ist zudem offen, ob die Kunden angesichts eines beinharten Wettbewerbs mit niedrigen Margen so schnell mitziehen können. Ganz abgesehen von der bisher ungeklärten Frage, wie diese in größerer Zahl überhaupt geladen werden sollen.

Daimler will die Serienfertigung seines eActros im Oktober beginnen. Doch es dauert, bis sich E-Trucks auf der Straße etablieren. Quelle: dpa
Mercedes-Benz eActros

Daimler will die Serienfertigung seines eActros im Oktober beginnen. Doch es dauert, bis sich E-Trucks auf der Straße etablieren.

(Foto: dpa)

Gleichzeitig ist der Anteil des Güterverkehrs, der in Deutschland über die Schiene läuft, mit 18 Prozent sehr gering. Seit Jahren wird versucht, diesen Anteil zu steigern. Tatsächlich wächst das mit dem Zug transportierte Volumen auch – laut NEE von 107,3 Milliarden Tonnenkilometern im Jahr 2010 auf 129,2 Milliarden im Jahr 2019. Nur: Das Volumen auf der Straße legt deutlich schneller zu.

Das hat entsprechende Folgen für das Klima. In Deutschland entfielen 2019 laut Umweltbundesamt (UBA) 20,25 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf den gesamten Verkehrssektor. Der Individualverkehr hatte daran mit über 60 Prozent zwar den größten Anteil. Doch der Güterverkehr auf der Straße folgte mit über 35 Prozent an zweiter Stelle.

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Obwohl die Emissionen pro Lastwagen dank moderner Technologie zwischen 1995 und 2019 um mehr als 32 Prozent gedrückt werden konnten, stieg die Gesamtbelastung im gleichen Zeitraum um 21 Prozent. Der Grund: Es fahren immer mehr Brummis über Deutschlands Straßen.

Unschlagbare Argumente für die Schiene also. Doch Nathan Zielke, Berater im Bereich Logistik und ehemaliger Geschäftsführer der Schweizer Bahn-Tochter SBB Cargo, warnt vor falschen Schlüssen. „Die exakte Klimabilanz der einzelnen Verkehrsträger kann nur näherungsweise ermittelt werden“, sagt er. „Dazu müssten zum Beispiel auch Dinge wie der Bau der Infrastruktur berücksichtigt werden. Was aber ist mit Straßen und Schienen, die schon lange da sind?“

Hinzu kommt: So trivial, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist eine Verlagerung auf die Schiene nicht. Das beginnt mit dem knapp bemessenen Schienennetz in Deutschland. Es wurde in den zurückliegenden Jahren nicht entsprechend ausgebaut, um mit dem stark wachsenden Verkehr mithalten zu können.

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Die Folge sind sogenannte „behördlich festgestellte überlastete Schienenwege“, deren Zahl seit Jahren wächst. Damit nicht genug. Der Personen- und der Güterverkehr muss diese knappen Kapazitäten auch noch gemeinsam nutzen. Berater Zielke kennt die Probleme: „Mischverkehr aus Personen- und Güterzügen auf demselben Gleis ist ein Effizienz-Albtraum: Beide Systeme fahren mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Beschleunigungs- beziehungsweise Bremsprofilen.“

Güterzüge brauchen eigene Gleise

Um den schnellen Personenverkehr nicht auszubremsen, müssen die Güterzüge regelmäßig auf Ausweichgleisen warten. Bei jedem dieser Überholmanöver verlieren sie dabei im Schnitt etwa 15 Minuten. Viele dieser Ausweichstrecken sind im deutschen Bahnnetz zudem sehr kurz – was dazu führt, dass die Güterzüge mit weniger Waggons unterwegs sind. Während in Europa eine Zuglänge von 740 Metern Standard ist, sind in Deutschland auf vielen Strecken maximal 600 Meter möglich.

Für die Güterbahnen ist das ein Problem. „Ein großer Hebel, den Schienengüterverkehr attraktiver und wettbewerbsfähiger zu machen, ist die Zuglänge. Nur wenige Meter mehr machen den Zug nicht nur profitabler und wettbewerbsfähiger im Vergleich zum Lkw“, sagt Zielke. Auch die CO2-Bilanz sei dann deutlich besser.

Viele Ausweichstrecken sind in Deutschland verhältnismäßig kurz. Das reduziert die Profitabilität der Schienentransporte. Quelle: dpa
Rangierbahnhof im Norden von München

Viele Ausweichstrecken sind in Deutschland verhältnismäßig kurz. Das reduziert die Profitabilität der Schienentransporte.

(Foto: dpa)

Beim Güterbahnen-Verband NEE glaubt man nicht, dass sich an dieser Situation bald was ändern wird. „Den von der Regierung immer wieder beschworenen und notwendigen Investitionshochlauf sehen wir nicht“, sagt Geschäftsführer Westenberger und verweist auf den sogenannten „Bedarfsplan Schiene“ von 2022 bis 2025. Die dort vorgesehenen Investitionen seien mit zwei Milliarden Euro pro Jahr auf einem viel zu geringen Niveau geblieben.

„Die Schiene will die Erwartungen aus der Politik sehr gerne erfüllen“, sagt Westenberger: „Allerdings fragen wir uns immer drängender, auf welchen Schienen die Züge fahren sollen, die in neun Jahren 25 Prozent am Güterverkehr ausmachen und zugleich doppelt so viele Reisende im Personenverkehr transportieren sollen.“

„Politische Priorität genießt eindeutig der Personenverkehr“, sagt auch Berater Zielke: „Entsprechend wird jede ICE-Taktverdichtung, jeder zusätzliche Personenverkehrszug und jeder zusätzliche Fahrgast letztlich die Situation für den Schienengüterverkehr perspektivisch noch schwieriger machen, als sie es heute schon ist.“

Wie man Schiene und Straße am besten verbindet

Dabei gibt es intelligente Konzepte, wie die Straße und die Schiene deutlich besser miteinander verbunden werden können. Für den kombinierten Verkehr müssten zentrale Hauptachsen quer durch Europa definiert werden. Diese langen, grenzüberschreitenden Wege von Ost nach West und Nord nach Süd sollten auf dem Schienenweg bedient werden. Die letzte Strecke bis zum jeweiligen Zielort könnte dann auf der Straße zurückgelegt werden.

Um beide Verkehrsmittel optimal zu verbinden, braucht es leistungsfähige und strategisch ideal gelegene Umschlagterminals. Dabei werden Container oder sogar ganze Auflieger zwischen Lkw und Güterwagen umgeladen.

„Ein Pendelverkehr zwischen diesen Punkten wäre sehr effizient, weil viel Masse befördert werden kann“, sagt Zielke. Noch besser sei es, wenn diesen Achsen dann jeweils eigene Gleise für den Güterverkehr zur Verfügung gestellt würden. „Kombinierter Verkehr unter 300 Kilometern ist dagegen in der Regel unsinnig, auch aus klimapolitischer Sicht.“ Solche Strecken sollten nur auf der Straße zurückgelegt werden.

Gleichzeitig müsste aufseiten der Güterverkehrskunden ein Umdenken stattfinden. „In den vergangenen Jahren haben sich logistisch viele Verlader völlig auf den Lkw festgelegt“, sagt Westenberger von der NEE.

Autofahrer müssen sich an den ungewöhnlichen Ausblick auf der rechten Seite erst einmal gewöhnen. Quelle: dpa
E-Highway auf der A5

Autofahrer müssen sich an den ungewöhnlichen Ausblick auf der rechten Seite erst einmal gewöhnen.

(Foto: dpa)

Berater Zielke schlägt deshalb vor, dass eine neutrale Instanz die Aufgabe übernehmen soll, die Verkehre zu verteilen: „Das war früher meist der Spediteur, heute übernehmen das viele Versender selbst“, sagt er. „Diese Instanz könnte dann zum Beispiel durch die Politik über Anreize und Pönalen dazu gebracht werden, nicht nur auf den Preis, sondern auch stärker auf die CO2-Bilanz zu achten.“

Es brauche einen Mix, ist Zielke überzeugt – ein Miteinander statt Gegeneinander der beiden Verkehrsmittel. „Es muss für den Versender unerheblich und vor allem unmerklich werden, wie seine Fracht auf langer Distanz transportiert wird. Dann gibt es automatisch mehr Masse, die zwischen den Systemen ausgetauscht werden kann, um ihre jeweiligen Kernvorteile auszuspielen.“ Eine Optimierung der Auslastung sei bei allem Streben nach Ökologie und Ökonomie stets der beste Hebel und koste ein Bruchteil im Vergleich zu Infrastrukturmaßnahmen.

Hybrid-Loks für Gleise ohne Oberleitung

Von dem Plan, viele der deaktivierten Anschlussgleise an Fabriken zu reaktivieren, hält Zielke dagegen nichts – das sei „Träumerei“. Gleichwohl: „Neue Bauflächen direkt mit Anschlussgleisen auszustatten kann ein wirkungsvoller Hebel sein.“ Ohnehin stellt sich die Frage, wie viele Firmen bereit wären, ihre alten Gleise wieder in Schuss zu bringen. Laut Westenberger von der NEE müssen die Unternehmen die Kosten anders als bei der Straße nämlich selbst übernehmen.

Selbst für den Fall, dass es künftig wieder mehr solcher Anschlussgleise geben sollte: Sie dürften kaum elektrifiziert sein. Zwar will der Bund mithilfe von Fördergeldern bis 2025 rund 70 Prozent des deutschen Gleisnetzes mit einem Fahrdraht ausgestattet haben. Bisher sind es 61 Prozent. Doch die letzte Meile wird kaum dabei sein.

Auf der letzten Meile müssen die Güterbahnen häufig auf Dieselloks umsteigen, weil Oberleitungen fehlen. Quelle: dpa
Güterzug aus China in Wilhelmshaven

Auf der letzten Meile müssen die Güterbahnen häufig auf Dieselloks umsteigen, weil Oberleitungen fehlen.

(Foto: dpa)

Bisher werden auf den nicht elektrifizierten Strecken vorwiegend Dieselloks eingesetzt – keine gute Lösung für den Klimaschutz. Künftig sollen hier verstärkt sogenannte Dual-Mode-Lokomotiven genutzt werden. Das sind Oberleitungsloks, bei denen bei Bedarf Batterien oder in manchen Fällen auch ein kleines Dieselaggregat Strom für die Elektromotoren liefern kann.

Der Lokvermieter Northrail bekommt ab September zunächst sieben Vectron Dual Mode Lokomotiven von Siemens. Das ist Teil eines Rahmenvertrages zwischen Siemens und der Northrail-Mutter Paribus Rail Investment Management über insgesamt 30 Vectron-Triebwagen. Northrail hat nach eigenen Angaben für die Loks in Deutschland bereits Eisenbahnunternehmen im Güterbereich als Kunden gewinnen können.

Berater Zielke warnt jedenfalls eindringlich vor zu viel Regulierung: „Man muss genau schauen, was, wohin, wie dringlich transportiert werden soll, und wie gefährlich die Fracht ist. Eine politische Schienentransportverpflichtung geht am Ziel vorbei“, sagt er. Es werde immer beides geben, die Straße und die Schiene. Beide Verkehrsmittel hätten Stärken und Schwächen, jedes habe zudem eigene Nachfragemodelle.

Mehr: Klimaretter in Bredouille: Deutsche Bahn erholt sich – rechnet aber mit zwei Milliarden Euro Verlust

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