Logistik Diesel in der Binnenschifffahrt vor dem Aus – Reeder unter Zugzwang beim Klimaschutz

Der Klimawandel trifft die Binnenschifffahrt gleich dreifach.
Duisburg Steffen Bauer klettert hinab in den Motorraum der „Franz Haniel 14“, die im Duisburger Rheinhafen festgemacht hat, und zeigt auf die acht Zylinder des grau lackierten MAN-Motors. „1300 PS“, sagt der Geschäftsführer der Kölner Reederei HGK Shipping, „genug, um einen ganzen Schubverband den Rhein hinaufzufahren.“
Es riecht nach Diesel – wie auf allen 300 Binnenschiffen, die dem europäischen Marktführer unterstehen. Der fossile Treibstoff gilt als günstig und überall verfügbar, weshalb er seit 1903 auf Flüssen und Kanälen meist handelsübliche Lkw-Motoren befeuert.
Doch wohl noch früher als im Straßenverkehr droht dem Diesel in der Binnenschifffahrt das Aus. Der Grund: Das Transportgewerbe auf Rhein, Mosel, Elbe und anderen Wasserstraßen kämpft gegen den Klimawandel und dessen Folgen – und das gleich an mehreren Fronten.
So fordert Berlins Senat bereits eine Bundesratsinitiative, um die CO2-Emissionen der Binnenschifffahrt bis spätestens 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Bei Neuinvestitionen müsse die Branche künftig auf alternative elektrische oder zumindest emissionsarme Antriebsformen setzen, heißt es in dem Antrag.
„Auch unsere Kunden verlangen inzwischen, den CO2-Ausstoß zu verringern“, berichtet HGK-Shipping-Chef Bauer. Zu den Auftraggebern der Reederei, die vor einem Jahr für 176 Millionen Euro vom südafrikanischen Logistikkonzern Imperial zur stadteigenen Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK) wechselte, zählen etwa Chemiekonzerne wie BASF, Covestro oder Evonik oder auch Stahlverarbeiter wie Thyssen-Krupp, Arcelor-Mittal und die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM).
Doch während der Umstieg auf emissionsfreie Antriebe Millionen an Investitionen erfordert, droht ihr durch die Abkehr der Wirtschaft von fossilen Brennstoffen gleichzeitig ein gewaltiger Transportverlust. Unter den zuletzt 188 Millionen Tonnen Fracht, die 2020 über Deutschlands Wasserstraßen schipperten, befanden sich allein 30 Millionen Tonnen Mineralöl. Dieses Volumen dürfte stark einbrechen, sobald insgesamt weniger Verbrennermotoren in Betrieb sind.
Weitere 30 bis 50 Millionen Tonnen Kohle und Stahl gingen zudem im vergangenen Jahr an die deutschen Hochöfen. Aber auch die Zukunft der Stahlkocher ist hierzulande ungewiss. Selbst wenn die Standorte erhalten bleiben, wollen Thyssen, Salzgitter und Co. ihre Kohle mittelfristig durch Wasserstoff ersetzen.
Regularien für Wasserstoff-Transport fehlen
Der Transport des alternativen Energieträgers an künftige Abnehmer könnte einen Teil der drohenden Entwicklung ausgleichen. Doch wie dies geschehen soll, bleibt ungeklärt. So weiß bislang niemand, welche Tankgrößen überhaupt technisch zum Einsatz kommen können – schließlich ist das reaktive Gas beim Schiffstransport unter hohem Druck auf niedrigste Temperaturen herunterzukühlen.
Obwohl schon seit Jahren zu diesem Thema geforscht wird, gibt es bis heute keinerlei Sicherheitsregularien etwa aus Brüssel. Man müsse auch abwarten, ob Wasserstoff in reiner Gasform oder gebunden in einer Flüssigkeit transportiert werden soll, verweist der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) auf ungeklärte Fragen. Auch Bauer dämpft die Erwartungen: „Es wird vermutlich bis 2025 oder 2030 dauern, bis wir Wasserstoff als Ladung aufnehmen können.“
Entsprechend fordern viele der 870 deutschen Binnenschiff-Unternehmen von der Bundesregierung einen „Güterverkehrspakt“, der mit den Verkehrsträgern Bahn, Lkw und Binnenschiff geschlossen werden soll. In ihm müsse vereinbart werden, Transportwaren auf die Wasserstraßen zu verlagern, die bislang über Deutschlands Autobahnen rollen. Dazu zählen Windkraftanlagen, Baustoffe und Agrarprodukte sowie gleichzeitig auch Container mit Konsumgütern.

„Ohne Binnenschifffahrt wird Deutschland seine Klimaziele verfehlen.“
Dies jedoch stellt die Beteiligten vor eine Herausforderung. Weil mit den Schiffstransporten meist längere Lieferzeiten verbunden sind, müssten Teile der Wirtschaft ihre derzeitige Just-in-time-Strategie aufgeben und durch eine üppigere Lagerhaltung ersetzen. Die höhere Kapitalbindung, die damit verbunden wäre, dürfte wenigen Finanzchefs in den Unternehmen gefallen.
Schützenhilfe erhalten die Schiffsführer dagegen vom Umweltbundesamt. Der Transport auf dem Wasser habe insbesondere aus Klimaschutzsicht Vorteile gegenüber dem Lkw-Transport, heißt es dort. Im Vergleich zu einem 40-Tonnen-Sattelzug verbrauche das Schiff weniger als ein Drittel an Energie und stoße entsprechend geringere Treibhausgase aus. Gleichzeitig macht die Bundesbehörde einen Nachholbedarf aus: Mit rund sieben Prozent Anteil an der Transportleistung, kritisiert sie, nehme die Binnenschifffahrt in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle im Güterverkehr ein.
Wasserstoff betriebene „Elektra“ startet im September
Parallel dazu feilt die Binnenschifffahrt an ihrem grünen Image. Schon im September soll Europas erstes wasserstoffbetriebenes Schubboot, die „Elektra“, den Berliner Westhafen in Richtung Hamburg verlassen. Der auf Batterietechnik basierende Schlepper soll jeweils einen Zwischenstopp in Lüneburg einlegen, wo seine sechs 125-Kilo-Gascontainer nach dem Gebrauch gegen frische gewechselt werden.
Bereedert wird die von der TU Berlin entwickelte „Elektra“ von HGK Shipping, deren Entwicklungsabteilung zudem Technikwissen einbringt. „Wir sehen uns als First Mover“, sagt der 41-jährige Firmenchef Bauer, „auch bei der Weiterentwicklung von alternativen Antrieben.“
HGK ist nicht der einzige Player, der solche Antriebe für den Wasserstraßenverkehr erprobt. Anfang August ließ das Schleswiger Start-up Unleash Future Boats den 3,20 Meter langen Prototyp „Zero One“ an der Schlei taufen. Auch er fährt mit elektrischen Batterien, die aus auswechselbaren Wasserstoff-Tanks gespeist werden.

Der Prototyp fährt mit elektrischen Batterien.
„Wir können Boote mit einer Länge von bis zu 45 Metern bauen“, sagt Unternehmenschef Lars Engelhard dem Handelsblatt. Bis zu sechs Seecontainer fänden darauf Platz. Zudem ließen sich drei solcher Batterieschiffe zu einem Platoon verbinden, wodurch sich etwa ein Rhein-Schlepper ersetzen ließe.
Auch hier steht eine endgültige Entscheidung noch aus. „In der Binnenschifffahrt werden derzeit unterschiedliche innovative Antriebskonzepte, darunter Elektro, Brennstoffzelle und Wasserstoff, umfassend erforscht und erprobt“, berichtet Fabian Spieß vom Reedereiverband BDB. „Aktuell können wir daher noch keine Einschätzung treffen, welche dieser Technologien sich etablieren und zur Marktreife geführt werden können.“
Schiffskonstrukteure wie Unleash Future Boats oder HGK Shipping stellt der Klimawandel noch vor eine weitere Hürde: Das Hitzejahr 2018 führte den Binnenschiffern vor Augen, was passiert, wenn die Wasserstraßen austrocknen.
Allein BASF verzeichnete dabei vor drei Jahren einen Schaden von 250 Millionen Euro. Denn üblicherweise empfängt der Chemieriese 40 bis 60 Prozent seiner Grundstoffe über den Rhein, wozu Tag für Tag etwa 15 Schiffe das Werk in Ludwigshafen anlaufen. Bei Störungen ist Ersatz per Bahn oder Lkw kaum möglich. Die Zuladung eines großen Binnenschiffs, berichtet man bei BASF, entspricht dem Volumen von etwa 80 Bahnkesselwagen oder 160 Lkws.

Etwa 15 Schiffe laufen täglich das Werk des Chemiekonzerns an.
Auch diese Folge des Klimawandels steht seither im Lastenheft der Binnenschiffer. HGK Shipping hat inzwischen reagiert und in seiner Planungsabteilung ein Schiff mit vermindertem Tiefgang konstruiert. Ende September soll die „Gas 94“ ihren Betrieb für BASF aufnehmen.
Ein weiteres tiefgangoptimiertes Schiff wird die Reederei Stolt ab Ende 2022 für BASF betreiben. Mit der Stolt-Neukonstruktion werde man selbst dann noch Teilladungen fahren können, informierte BASF, wenn der Rheinpegel bei Kaub auf 30 Zentimeter fällt.
Doch einen Sieg über den Klimawandel haben die Binnenschiffer damit noch nicht errungen: Im Oktober 2018 drückte er den Kaub-Pegel auf lediglich 25 Zentimeter.
Mehr: Wie ein autonomes elektrisches Boot die Schifffahrt revolutionieren soll
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