Schiffsindustrie Wie ein autonomes elektrisches Boot die Schifffahrt revolutionieren soll

Künftig 100 Schiffe pro Jahr geplant.
Düsseldorf Gerade einmal 3,20 Meter misst der Schiffsrumpf der „Zero One“. Doch die Taufe will am Samstag auch Schleswig-Holsteins Politprominenz sehen und reist an die Schlei. Landeswirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) wird erwartet, Flensburgs Bundestagsabgeordnete Petra Nicolaisen (CDU) will als Patin eine vorsichtshalber präparierte Sektflasche gegen die Aluminium-Bordwand schleudern.
Der Rummel ist nicht unbegründet. Getauft wird in Schleswig das weltweit erste Boot, das völlig autonom und dazu noch emissionsfrei übers Wasser steuert. Seine Konstrukteure: das aus Bayern stammende Ehepaar Stefanie und Lars Engelhard, 36 und 37 Jahre alt.
Die Schiffstaufe signalisiert eine Zeitenwende in der Schifffahrt, deren CO2-Ausstoß zwischen 2012 und 2018 noch um 9,6 Prozent anstieg, wie die vierte „GHG Study 2020“ der Uno-nahen Schifffahrtsorganisation IMO errechnete. „Über den Schadstoffausstoß von Autos wird viel geredet“, sagt Stefanie Engelhard. „Dass aber die Schifffahrt für fast drei Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wird übersehen.“
Hinzu kämen Dieselreste und Schmierstoffe, die Flüsse und Meere verschmutzen, sagt sie, ebenso wie eine hohe Lärmbelästigung. Das wolle sie nun ändern. Gemeinsam mit ihrem Ehemann hat Stefanie Engelhard deshalb im vergangenen November die Unleash Future Boats GmbH gegründet und eine ehemalige Schnapsfabrik an der Schlei in eine kleine Werft verwandelt.
21,3 Millionen Euro für die Expansion sind bereits fest eingeplant, zwei Grundstücke für weitere Werkshallen und einen Servicehafen an der Schlei per Vorvertrag gesichert. Auf der Liste der Förderer stehen das Fraunhofer-Institut, der Bund und die Uno. Auch vom Start-up-Accelerator „Gateway49“, einem landeseigenen Technikzentrum in Lübeck, profitieren die Gründer.
Hilfe kommt zudem vom Duisburger Hafen. Schon in naher Zukunft, das jedenfalls hofft dessen scheidender Vorstandschef Erich Staake, könnten die autonomen Batterieboote umzuladende Frachtcontainer emissionsfrei quer durch Europas größten Binnenhafen transportieren. Duisport steht damit ganz oben auf der Liste potenzieller Kunden.
Zwölf internationale Patente
Die wertvollsten Assets der jungen Werft sind die jeweils zwölf internationalen Patente, die beide Gründer in ihre Firma eingebracht haben. Ohne sie, versichert Lars Engelhard, würde keines der geplanten Boote sicher das Ufer erreichen.
Mit dem autonomen Fahren beschäftigte sich das Ehepaar bereits, als es noch in der Automobilforschung arbeitete. Lars Engelhard, der einen Master in Business Administration besitzt, war im VW-Konzern verantwortlich für die Online-Konnektivität von Millionen Autos. Die Diplom-Ingenieurin Stefanie Engelhard trieb bei Audi die Entwicklung des autonomen vernetzten Fahrens voran.
Bei einem gemeinsamen Segeltörn auf der Ostsee kam den beiden die Idee, die mit Künstlicher Intelligenz gefütterte Technik auf die Schifffahrt zu übertragen. Was sich dann aber keineswegs als trivial herausstellen sollte.

Schiffsentwickler Lars und Stefanie Engelhard.
„Das Wasser ist blau, der Himmel ist blau. Es ist einfach die Hölle“, entfährt es Lars Engelhard. Anhaltspunkte wie im Straßenverkehr, etwa Mittelstreifen, Schilder oder Bäume, fallen für die Sensoren als Referenz auf dem Wasser aus. Hinzu kommt, dass Schiffe schwanken – sich also zeitgleich auf zwei Achsen bewegen, während sie die Wellen von unten nach oben heben. So dauerte es bis August 2020, einen Sensor zu konstruieren, der die eigene Bewegung beim Errechnen der Navigationsstrecke vollständig berücksichtigt.
Anderen Tüftlern gelang dies bislang offenbar nur mäßig. Seit 2017 sind in Norwegen der Düngemittelhersteller Yara und der Schiffsbauer Kongsberg damit beschäftigt, mit der „Yara Birkeland“ ein ähnliches Schiff zu konstruieren. Dessen Start ist jetzt auf Ende 2021 festgelegt. Das Andocken und Ablegen werde sich dann vollautomatisch vollziehen, kündigten die beteiligten Firmen vor Kurzem an. Verräterisch aber bleibt: Geplant sind von den Norwegern drei Kommandozentralen, die das Schiff fernsteuern sollen.
Doch auch bei der Engelhard-Werft änderten sich die ursprünglich angekündigten Pläne. So hatte Unleash Future Boats zunächst versprochen, ein zwölf Meter langes Wasser-Taxi zu konstruieren. Es sollte ab Frühjahr 2023 autonom gesteuert einen Schiffsanleger in Schleswig mit dem Wikingermuseum in Haithabu verbinden.
Mehr Reichweite durch austauschbare Brennstoffzellen
Doch ihr Projekt stellte die Werft zugunsten des nun präsentierten Katamarans zurück. „Den Prototyp haben wir deutlich kleiner gebaut, damit er auf einen Anhänger passt“, erklärt Lars Engelhard den Sinneswandel. Mit dem Vorzeigeboot will er in den nächsten Wochen Kunden für größere Aufträge gewinnen.
„Wir können Boote mit einer Länge von bis zu 45 Metern bauen“, sagt der Jungunternehmer. Bis zu sechs Seecontainer fänden darauf Platz. Zudem ließen sich drei solcher Batterieschiffe zu einem Platoon verbinden, wodurch sich etwa ein Rhein-Schlepper ersetzen ließe.
Bislang treiben die eingebauten Akkubatterien die Boote lediglich 42 Kilometer weit an. Um die Reichweite der emissionsfreien Schiffe zu erhöhen, hat Unleash Future Boats jedoch ein ausgeklügeltes Konzept erarbeitet. An den jeweiligen Flussetappen sollen austauschbare Wasserstoff-Brennstoffzellen an Bord geladen werden, die auf der Weiterfahrt wie mobile Ladesäulen funktionieren. Aus ihnen werden die fest eingebauten Akkubatterien mit dem nötigen Strom gespeist – und nach Gebrauch wieder von Bord geladen.
20 Mitarbeiter haben die Engelhards bereits eingestellt, 50 könnten es werden. „Wir wollen künftig 100 Boote pro Jahr produzieren“, sagt der Firmenchef. Wegen der automatisierten Produktion ließe sich das Volumen sogar noch vergrößern. Mit drei großen Speditionskonzernen, die möglicherweise zu Kunden werden, ist er nach eigener Aussage dazu in Gesprächen. Veröffentlicht sehen will er die Namen freilich noch nicht.
Der Klimawandel hilft dabei gleich doppelt als Verkaufsargument. Denn er sorgte dafür, dass die Binnenschifffahrt in den vergangenen Sommern immer wieder mit Niedrigwasserständen zu kämpfen hatte. „Unsere Boote haben kaum Tiefgang und sind damit Niedrigwasser-geeignet“, versichert Lars Engelhard.
Ein weiteres Ziel: Zukünftig sollen sich auch Binnenschiffe mit dem Wasserstoff-Antrieb nachrüsten lassen. An einem Patent allerdings hat der junge Werftbesitzer, der schon als Student seine erste Erfindung vor zwölf Jahren anmeldete, noch zu arbeiten: dem Kapitäns-Patent.
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