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Wettlauf um KI-Vorherrschaft

In Sachen Künstlicher Intelligenz ist China der baldige Vorreiter. Die USA fallen langsam, aber sicher zurück.

Technik der Zukunft Wie China bei der Künstlichen Intelligenz zur Supermacht aufsteigt

China setzt entschlossen auf die KI. Erstmals seit der industriellen Revolution könnte der Westen die Vorherrschaft bei einer globalen Schlüsseltechnologie verlieren.
25.10.2018 - 20:10 Uhr 1 Kommentar

Peking, Düsseldorf, San Francisco Angela Merkel schlendert durch die Firmenzentrale des chinesischen Start-ups iCarbonX. Die Bundeskanzlerin bleibt vor einem Spiegel stehen. Firmengründer Wang Jun ist sofort zur Stelle. „Ich will, dass Menschen weniger leiden“, sagt er. Der Spiegel kann Körperkonturen und Bewegungen einer Person erfassen. Wer eine Sportübung nicht korrekt ausführt, bekommt Verbesserungsvorschläge: Arme höher, Rücken gerader, Beine weiter.

Doch wer erwartet, dass Angela Merkel nun den Spiegel mit ein paar vorbildlich ausgeführten Rumpfbeugen testet, der wird enttäuscht. Die mächtigste Politikerin der Welt weiß genau, welche Bilder sie von sich in die Welt setzen will. Die Verbeugung vor einem chinesischen Hightech-Produkt gehört ganz sicher nicht dazu.

Wang will iCarbonX zu einer globalen Plattform für Gesundheitsdienste ausbauen. Der Service basiert auf neuesten Erkenntnissen aus Biotechnologie und Genetik. iCarbonX will seinen Kunden in- und auswendig kennen, mitsamt seiner DNA, seinen Pheromonen, Enzymen und Proteinen.

Im Kern geht es jedoch gar nicht so sehr darum, wie Daten erhoben werden. Im Zentrum steht die Auswertung. Der Algorithmus. Die Künstliche Intelligenz, kurz KI. Sie ist es, die ein neues Zeitalter einläuten könnte. Für Chinas boomende Hightech-Branche – und für den Rest der Welt.

Die Szenen bei iCarbonX in der südchinesischen Küstenmetropole Shenzhen, die auch gerne Chinas „Silicon Valley“ genannt wird, sollten Lehrstück und Warnung zugleich sein für Merkel. Denn was dort entsteht, ist ein System ganz nach dem Geschmack der chinesischen Führung. Möglichst viele Daten speisen einen Algorithmus, der zum besseren Leben animieren soll. Das Ergebnis kann ein harmloses Hilfsmittel für einen gesünderen Alltag sein oder ein Orwell‘sches Instrument der absoluten Kontrolle.

Künstliche Intelligenz made in China: Weitgehend unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit haben chinesische Tech-Konzerne in diesem Zukunftsmarkt rapide aufgeholt, sind vielfach auf Schlagdistanz an die Wettbewerber von der US-Westküste herangerückt und haben die Europäer auf Platz drei verwiesen. Noch kennt kaum jemand den Fitness-Spiegel-Entwickler iCarbonX. Andere Anbieter wie Alibaba, Baidu und Tencent sind schon bekannter.

Sie alle stehen in einem Wettlauf miteinander und mit ihren globalen Wettbewerbern: Wer den Standard für die Künstliche Intelligenz bestimmt, der wird auch die Basis für die Wirtschaft der Zukunft kontrollieren.

China will den Markt für Künstliche Intelligenz dominieren

„Wir sind entschlossen, einer der dominanten Spieler zu werden“, sagt Min Wanli, Forschungschef des chinesischen Internetkonzerns Alibaba, im Interview mit dem Handelsblatt. Der frühere Google-Mitarbeiter ist eine Koryphäe für KI. Seine Forschungsprojekte entscheiden mit darüber, wie wir morgen leben werden: Wie wird künftig ein Auto gelenkt? Wie eine Stadt geplant? Eine Operation in der Notaufnahme durchgeführt?

Bei alle diesen Anwendungen kann Künstliche Intelligenz ihre revolutionäre Kraft entwickeln, Sie basiert im Wesentlichen auf Computerprogrammen, die selbstständig lernen, und zwar anhand der Daten, mit denen sie gefüttert werden. Ein autonom fahrendes Auto zum Beispiel bekommt mit jedem Bild, das seine Kameras (und die Kameras aller mit ihm vernetzten Fahrzeuge) von der Umgebung einfangen, einen immer genaueren Eindruck von der Wirklichkeit.

Auf dieser Grundlage kann die Software immer bessere Prognosen erstellen. Zum Beispiel, ob die Körperhaltung einer Person am Straßenrand darauf hindeutet, dass sie gleich unvermittelt auf die Fahrbahn treten wird.

Kaum eine Branche, die von solchen selbstlernenden Systemen nicht verändert wird. Computerprogramme für die Fernwartung prognostizieren bereits heute, welche Maschinenteile demnächst kaputtgehen werden. Bilderkennungssysteme können, wenn sie nur mit genug Daten schlau gemacht werden, besser als jede Kassiererin erkennen, welche Waren ein Supermarktkunde im Einkaufswagen hat. Und auch das Verhalten von Menschen, zum Beispiel im Berufsverkehr, lässt sich mit KI-Systemen zunehmend genau prognostizieren.

Weil KI in nahezu jedem Produkt und jeder Lebenslage zum Einsatz gebracht werden kann, gilt sie als Schlüsseltechnologie für die Weltwirtschaft von morgen.

Im globalen Wettlauf um die Vormachtstellung in dieser Schlüsseltechnologie genießt China einen entscheidenden Vorteil. Ein Bewusstsein für Datenschutz gibt es in China kaum, die rechtlichen Grenzen sind sehr weit gefasst. Seien es Informationen über das Fahrverhalten, über Krankheiten oder Einkaufsgewohnheiten – Alibaba, Baidu oder Tencent haben viel großzügigeren Zugriff auf Daten als vergleichbare westliche Unternehmen.

Daten aber sind die Grundlage für Künstliche Intelligenz, sie bilden den Nährboden für das eigenständige Lernen intelligenter Computersysteme. Ein Anbieter, der zum Beispiel weitreichenden Zugriff auf Gesundheitsdaten der Bürger hat, besitzt einen deutlichen Vorteil beim Aufbau einer intelligenten Medizinsoftware, die automatisch Diagnosen stellt.

Der laxe Umgang mit Daten paart sich mit gewaltigen Investitionssummen und höchster politischer Priorität. Die Zukunftstechnologie ist Chefsache in China, vom Staatspräsidenten Xi Jinping bis zum Gouverneur und Bürgermeister einflussreicher Provinzen und Städte. Im vergangenen Juli beschloss der Staatsrat der Volksrepublik China offiziell: Das Land soll bis 2030 führende KI-Macht der Welt werden, anvisiert wird eine neue KI-Branche im Wert von 130 Milliarden Euro.

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Mithalten können da nur die USA. Bis 2015, neuere Zahlen liegen nicht vor, wurden in den USA 1 489 Patente im Bereich des maschinellen Lernens angemeldet, China kam auf 754 Patente, während Deutschland nur 140 hervorbrachte. Doch bereits 2017 kamen 48 Prozent des weltweiten Investments in KI aus China, aus Amerika waren es nur 38 Prozent.

„Seit dem Zweiten Weltkrieg lag die am weitesten fortgeschrittene Technik in den Händen der US-Regierung. Raketen, Medizin, Internet“, sagt Bill Gates, Microsoft-Gründer und KI-Kenner, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Jetzt aber gebe es eine Technologie, die nicht mehr von den Vereinigten Staaten kontrolliert werde.

Wer die Amerikaner bei der Künstlicher Intelligenz übetrumpfen könnte, zeichnet sich für Gates bereits ab: „Chinesische Unternehmen erscheinen mir bei der Sache am interessantesten.“ Wobei Unternehmen in China niemals unabhängig von den Interessen des Staates existieren.

Der Staat greift ein

Oktober 2017. In der Großen Halle des Volkes im Zentrum Pekings tritt Präsident Xi Jinping an das Rednerpult. Die Augen der mehr als 2.000 Parteifunktionäre sind auf ihn gerichtet. Er ist es, der die Richtung vorgibt. Kurz zuvor hat Xi die für die Vorsitzenden der Kommunistischen Partei (KP) bislang geltende Begrenzung auf zwei Amtszeiten aufheben lassen. Damit könnte er auf Lebenszeit regieren. Er gilt als so mächtig wie einst Staatsgründer Mao Tsetung.

Im Zuge einer Antikorruptionskampagne sind mehr als eine Million Funktionäre bestraft worden und Xis Gegner verstummt. Jetzt will er sein Land zu neuer politischer und ökonomischer Stärke führen: „Wir müssen die Integration der Realwirtschaft mit Spitzentechniken aus dem Internet, Big Data und Künstlicher Intelligenz vorantreiben.“

Die KI hat höchste politische Priorität. Quelle: picture alliance / Photoshot
Der Nationalkongress der Kommunistischen Partei

Die KI hat höchste politische Priorität.

(Foto: picture alliance / Photoshot)

Xis Worte hallen nach. Immer und immer wieder zeigt das Staatsfernsehen anschließend die zentralen Aussagen von Xis Rede auf dem Parteitag im Oktober 2017. Kurz zuvor hatte bereits der Staatsrat als höchstes Verwaltungsgremium Chinas das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2020 eine KI-Wirtschaft mit einem Wert von umgerechnet rund 18 Milliarden Euro auszubauen.

Bis zum Jahr 2030 steht das bereits erwähnte Ziel, China zur weltweit führenden Land für Maschinenintelligenz zu machen. Viele Provinzen haben eigene Programme ausgelegt, um mit Subventionen und Steuernachlässen lokale KI-Champions heranzuziehen.

Bei der Entwicklung der Schlüsseltechnologie will der chinesische Staat nichts dem Zufall überlassen. Daher hat er die Tech-Firmen in einem „National Team“ zusammengefasst. Darin soll der Suchmaschinenbetreiber Baidu das automatisierte Fahren vorantreiben. Der Handelsgigant Alibaba soll KI einsetzen, um Städte smarter und effizienter zu machen. Der Kommunikationskonzern Tencent soll KI im Gesundheitssektor vorantreiben. Und iFlytek aus Shenzhen ist der nationale Champion für das Thema Spracherkennung.

Gestützt vom Staat treiben die Firmen ihre Entwicklungen voran. „China ist führend darin, Künstliche Intelligenz auch in Geschäftsmodelle umzuwandeln“, sagt Jost Wübbeke, ehemaliger Leiter des Wirtschaftsprogramms beim Berliner Chinaforschungsinstitut Merics und heute Programmleiter bei der Unternehmensberatung Sinolytics.

Firmen wie Alibaba machten schon heute vor, wie sich KI-Anwendungen in die Arbeitsabläufe der Unternehmen integrieren ließen, sagt Wübbeke. Bei Cainao, der Logistik-Tochter von Alibaba, würden etwa Kameras den Bestand in den Lagerhäusern überwachen. So müssten nicht aufwendig Sensoren installiert werden. Die Fortschritte in der Bilderkennung machten die Prüfung mit hochauflösenden Kameras möglich. Nach demselben Prinzip werden in China bereits seit einigen Jahren Geschäfte ohne Kassierer betrieben.

Auch dort erkennen Kameras, welche Produkte Kunden aus den Regalen nehmen – lange bevor Amazon Go mit viel Aufwand den ersten kassenlosen Supermarkt in den USA eingeweiht hat.
Chinas Vordenker für die kommerzielle Anwendung von KI heißt Min Wanli. In China wurde er als Wunderkind hofiert, ging für seine Forschungen in die USA und arbeitete dort unter anderem für IBM und Google. Seit fünf Jahren treibt er das Thema KI bei Alibaba voran.

Unter dem Namen „ET Brain“ verspricht Alibaba seinen Kunden KI-gestützte Lösungen für die unterschiedlichsten Branchen: Solarmodule werden mit weniger Abfall und höherer Leistung hergestellt, der Verkehr in Städten wird effizienter gesteuert und Abfall optimal für ein effizientes Recycling sortiert. ET Brain lockt seine Kunden mit vorab garantierten Effizienzgewinnen. Derzeit ist Min ständig in Europa unterwegs, um Firmen von den Leistungen des chinesischen Systems zu überzeugen.

Mit aller Kraft versucht China, den KI-Wettlauf mit den USA zu gewinnen – ein Wettlauf, in dem Europa längst abgeschlagen ist und bestenfalls noch Chancen auf Bronze hat. Aber was wiegt am Ende stärker? Der jahrzehntelange Vorsprung der USA als Tech-Nation Nummer eins? Oder China mit der konzertierten Kraft von Staat und Konzernen – gepaart mit der freien Verfügbarkeit nahezu aller benötigten Daten?

Einer, der die Antwort auf diese Fragen wissen muss, ist Kaifu Lee. Geboren in Taiwan, ging er in die USA und schrieb dort in den 80er-Jahren seine Dissertation über KI. Nach Stationen bei Apple, Microsoft und als Chinachef von Google ist er heute als Investor in Technologiefirmen unterwegs. Er bewegt sich ebenso selbstsicher und gut vernetzt im Silicon Valley wie in der Tech-Szene von Peking, Shenzhen und Hangzhou.

Ausführlich hat er die beiden Ansätze zur Entwicklung von KI in den USA und China verglichen. Seine zentralen Thesen hat er in seinem Ende September erschienenen Buch „AI Superpowers“ verarbeitet. Nach seiner Einschätzung bringt China alles mit, um als Sieger aus dem globalen KI-Wettrennen hervorzugehen.

Vier Faktoren sieht er als entscheidend an: Daten, Unternehmer, Forscher und Regulierung. China ist schon heute zur weltgrößten Internetnation mit mehr als 800 Millionen Onlinenutzern aufgestiegen, die sehr viele Daten generieren. Der Staat versorgt die Firmen zudem mit Zugang zu Regierungsdatenbanken und verschafft ihnen Freiräume.

Nur bei der Forschung hängt China zurück. Noch kommt die wegweisende KI-Grundlagenforschung meist aus den USA. Dieser gewaltige Wissenspool sorgt dafür, dass die USA in vielen Schlüsselbereichen der KI noch immer führend sind. Ein Rückstand, der den Chinesen Ansporn ist.

AlphaGo schlug den Go-Meister – KI wurde in China zur Schlüsseltechnik
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1 Kommentar zu "Technik der Zukunft: Wie China bei der Künstlichen Intelligenz zur Supermacht aufsteigt"

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  • HB: „Zukunftstechnologie ist Chefsache in China, vom Staatspräsidenten Xi Jinping bis zum Gouver-neur und Bürgermeister einflussreicher Provinzen und Städte. …“
    Mit welchen Themen befassen sich unsere Politiker der letzten 10 Jahre in den Ländern Europas und in Brüssel? China ist längst an uns vorbeigezogen, technologisch, wirtschaftlich und militärisch. Die Macht- und Einflussverhältnisse kehren sich, auch mittels der förmlich explodierenden KI. Diese Entwicklungen lassen sich nicht mehr umkehren, noch aufhalten.

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