Klima-Umbau der Industrie: Was die Kanzlerkandidaten vorhaben
Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
TransformationKlima retten und Industrieland bleiben? Wahlkämpfer streiten über Umbau der Industrie
Die produzierende Wirtschaft braucht Planungssicherheit, der Klimaschutz rasches Handeln. Wie sich beides vereinbaren lässt, stellt die Parteien vor schwierige Entscheidungen.
Die Unternehmen sind auf wettbewerbsfähige Strompreise angewiesen.
(Foto: picture alliance / Guido Kirchne)
Berlin Wer wissen will, um was es bei der Transformation des Industriestandorts Deutschland geht, kann nach Neuss zum Aluminiumproduzenten Speira fahren. 60 Jahre wird das Rheinwerk im kommenden Jahr alt, 160.000 Tonnen Rohaluminium werden hier pro Jahr produziert – alte Industrie.
Um das Werk fit für die Zukunft zu machen, wurde vor fünf Jahren eine moderne Recyclinganlage aufgebaut. 50.000 Tonnen Dosen können hier pro Jahr wieder in wertvollen Rohstoff verwandelt werden. „Das Thema Kreislaufwirtschaft ist essenziell für unsere Gesellschaft“, sagt Standortleiter Christian Budde.
Doch für die Produktion und das Recycling von Aluminium wird enorm viel Strom benötigt. Allein die Rohaluminium-Erzeugung verbraucht pro Jahr etwa so viel wie die gesamte Stadt Düsseldorf. Da ist es nicht irrelevant, dass Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Strompreisen zählt.
Die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), Steuern wie auch Abgaben treiben den Preis in die Höhe. „Wir haben heute enorme politische Kosten“, sagt Betriebsratschef Rolf Langhard, der seit 1977 im Werk arbeitet. „Wenn wir die als Unternehmen vollständig bezahlen müssten, dann wären hier die Lichter aus.“ Und wenn die nach Tarif bezahlten Industriejobs erst mal weggefallen sind, wird die Suche nach Alternativen schwierig.
Zwar werden energieintensive Branchen bei den Strompreisen entlastet. Aber die Kompensation für 2021 ist in Deutschland noch nicht geregelt. Und durch eine drastische Reduzierung der Zertifikate im EU-Emissionshandel drohen noch nicht absehbare Kostensteigerungen.
Unternehmen brauchen Planungssicherheit
„Wir brauchen Planungssicherheit“, fordert Werksleiter Budde. „Ohne Kompensation sind wir sofort nicht mehr wettbewerbsfähig.“ Dem Klima sei aber nicht geholfen, wenn lokale Wertschöpfungsketten ins Ausland verlagert würden, betont Budde: „Im Gegenteil, wir schaden damit nur unserer Volkswirtschaft.“
Das wissen auch die Kanzler- und Spitzenkandidaten der Parteien, die sich am Dienstagabend bei der Transformationskonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) einen Schlagabtausch über die Zukunft des Industriestandorts lieferten. Die Grünen wollten eine „Politik beenden, die immer nur abwartet und auf Stillstand setzt“, sagte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
In einem Industriepakt müssten klare Rahmenbedingungen gesetzt werden, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben, sagte Baerbock. Gerade erst habe sie mit einem Stahlkocher gesprochen, der ihr gesagt habe: Wenn es nicht gelinge, in den nächsten fünf Jahren in die „grüne“ Stahlproduktion einzusteigen, werde die Industrie aus Deutschland abwandern. Die Unternehmen seien bereit für die Klimawende, sagte Baerbock, aber immer wieder höre sie: „Dann legt jetzt bitte auch die Wasserstoffleitung.“
Wie Stahl grün werden soll
Arcelor-Mittal, der größte Stahlkocher der Welt, hat sich ein konkretes Ziel gesetzt: Bereits im Jahr 2021 will der Konzern 120.000 Tonnen CO2-freien Stahl an die Kunden bringen. Ein Jahr später soll sich die Menge verfünffachen. Dabei setzt das Unternehmen auch auf die Bilanzierungsmethode: Im ersten Schritt wird dabei nicht die gesamte Stahlproduktion selbst dekarbonisiert, sondern es werden lediglich verschiedene Teileinsparungen auf die Gesamtproduktion umgerechnet. Das bedeutet, je stärker die Emissionen im Durchschnitt sinken, desto mehr Stahl kann Arcelor-Mittal als grün deklarieren.
Der britisch-niederländische Stahlkonzern Tata Steel verfolgt verschiedene Wege, um seine CO2-Emissionen zu senken. Der wichtigste: Das CO2 wird in seinen Prozessen so weit wie möglich reduziert, um es dann abzufangen. Anschließend soll das Gas unterirdisch gelagert werden. Vor allem die Niederlande, aber auch Länder wie Norwegen verfügen über leere Gasfelder in der Nordsee, die sich dafür eignen. Der Vorteil: Die Prozesse ließen sich weitgehend beibehalten, ohne dass CO2 in die Atmosphäre gelangt. Ab spätestens 2027 will Tata so klimaneutralen Stahl in Europa anbieten. Dabei geht es etwa um rund ein Drittel der eigenen Produktion.
Wasserstoff ist der teuerste und aufwendigste Weg, die Stahlproduktion zu dekarbonisieren. Langfristig wird wohl kein Hersteller darum herumkommen, seine Prozesse entsprechend umzustellen. Die Frage ist, wann das passiert. Mit ersten Versuchsprojekten beschäftigt sich fast die gesamte Branche, allerdings eher in kleinem Maßstab. Vorn dabei ist der schwedische Hersteller SSAB, der ab 2026 wasserstoffbasierten Stahl in großen Mengen anbieten will.
Am 23. Juni hat die Bundesregierung ein acht Milliarden Euro schweres Sofortprogramm beschlossen, mit dem sie die Dekarbonisierung der Industrie, grünen Wasserstoff, die energetische Gebäudesanierung oder klimafreundliche Mobilität fördern will.
Doch das allein wird nicht reichen. Die mittelfristige Finanzplanung bis 2025 sehe vor, dass der Bund jährlich mindestens 50 Milliarden Euro investieren könne, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz – das sei ein Allzeithoch. Für den Fall seiner Wahl versprach er ein Gesetz, das konkrete Ausbauziele für „grünen“ Strom und Wasserstoff vorsieht.
Finanzhilfen nur bei Beschäftigungsgarantien
Außerdem bräuchten beispielsweise die Stahl- oder die Chemieindustrie staatliche Unterstützung für die Umstellung auf eine klimafreundliche Produktion. Das sieht Baerbock ähnlich, und auch Linken-ChefinJanine Wissler macht sich für einen 20 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds für die Industrie stark. Beide fordern aber, dass Finanzhilfen nur an Unternehmen fließen dürfen, die dann im Gegenzug auch Beschäftigungszusagen machen.
CDU-Chef Armin Laschet wandte sich gegen Vorwürfe Baerbocks, in der Klimapolitik sei zu wenig passiert. Beim Kohleausstieg habe man neben dem Klima auch die Versorgungssicherheit und bezahlbare Strompreise im Blick behalten müssen. Und eben auch die Frage, was aus den Beschäftigten in den Tagebauen werden solle. Deshalb habe man 40 Milliarden Euro Unterstützung für die Kohleregionen vereinbart.
FDP-Chef Christian Lindner kritisierte, die deutsche Klimapolitik folge noch zu sehr einem staatszentristischen Ansatz. Deutschland habe mit die höchsten CO2-Vermeidungskosten weltweit und müsse stärker auf marktwirtschaftliche Klimaschutzinstrumente wie den Emissionshandel setzen.
Beschleunigung der Planungsverfahren
Einig sind sich die Kanzlerkandidaten und Parteichefs, dass Planungsverfahren in Deutschland noch zu lange dauern: „Es darf nicht sechs Jahre dauern, eine Windkraftanlage zu genehmigen, das muss auch in sechs Monaten gelingen“, betonte Scholz. FDP-Chef Lindner schlug für zentrale Infrastrukturvorhaben ein Planfeststellungsverfahren per Bundesgesetz vor. Linken-Chefin Wissler wies aber auch auf den „immensen Personalmangel“ in den Planungsämtern hin, weil der öffentliche Dienst über viele Jahre kaputtgespart worden sei.
Bei Speira in Neuss hofft man, dass die künftigen Rahmenbedingungen rasch nach der Wahl klar werden. Das Unternehmen hat sich schon um öffentliche Förderung für den klimafreundlichen Umbau der Produktion beworben. Doch das sei ein „langer, bürokratischer Weg“, sagt Standortleiter Budde. Für den Umbau bestehender Wertschöpfungsketten gebe es noch zu wenige Fördertöpfe.
Trotzdem glaubt man in Neuss weiter an den Industriestandort Deutschland. Das tut auch die US-Investmentgesellschaft KPS Capital Partners. Sie hat erst Mitte dieses Jahres das Rheinwerk und andere Produktionsstätten in Deutschland und Norwegen mit insgesamt 5000 Beschäftigten von der norwegischen Norsk Hydro übernommen und der neuen Firma den Namen Speira gegeben.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.