Trip auf Rezept LSD, Ketamin, Mushrooms: Psychedelika erobern die USA – Investoren wittern Milliardengeschäft
New York Sieben Tage lang ständige Übelkeit, dazu Durchfall. Das nimmt Jeff, Hardware-Ingenieur bei Google, auf sich, als er 2020 ins Heilige Tal der Inka nach Peru fliegt und dort den psychedelischen Pflanzensud „Ayahuasca“ trinkt. Der wird seit Jahrhunderten von indigenen Völkern in religiösen Zeremonien eingesetzt. Heute kommen immer mehr Konsumenten aus den USA nach Peru. Sie wollen ebenfalls von der angeblich spirituellen Heilwirkung aus der Natur profitieren.
Der Trip kostet Jeff 1700 Dollar, plus Anreise. „Für mich war das eine spirituelle Offenbarung, eine lebensverändernde Erfahrung“, sagt er. Bereits in der ersten Nacht habe sich alles verändert. Er fühle sich selbstsicherer, erfolgreicher. „Ich hatte vorher immer das Gefühl, die Zeit der Leute zu verschwenden.“ Das habe sich auf einen Schlag geändert.
Acht Monate nach seiner Reise wird er befördert, kurz darauf wirbt ihn Amazon ab. „All das habe ich dem Trip zu verdanken“, sagt der 32-Jährige. Es folgen weitere Experimente mit Ayahuasca.
Jeff ist kein Einzelfall in der Tech-Blase. Autor Michael Pollan beschreibt in seinem Buch „How To Change Your Mind“, dass LSD bereits ganz früh in der Technologiegeschichte Anwendung findet. So soll LSD-Konsum bei den ersten Designs von Chips des Tech-Pioniers Ampex den Durchbruch gebracht haben. Den Designern hinter den Computerchips fiel es unter Drogen leichter, sich deren Aufbau vorzustellen.
Der Genuss von psychoaktiven Pilzen, LSD und ähnlichen Substanzen ist spätestens mit der Hippie-Bewegung im Westen angekommen. Legale Anwendungsbereiche sind weiterhin stark limitiert. Doch in den USA erleben psychoaktive Substanzen eine Renaissance: Firmengründer, IT-Experten, Menschen, die mitten im Berufsleben stehen – sie alle versprechen sich mehr Leistung, Selberkenntnis, manche gar die Heilung von Depressionen.
Noch sind die meisten Substanzen umstritten bis illegal. Aber Forscher sehen erfolgreiche Anwendungsfälle. Und Investoren wittern ein Milliardengeschäft.
>> Lesen Sie hier: Christian Angermayer: „Ein Magic-Mushroom-Trip kann einen zu einem besseren Investor machen“
Einer der Geschäftsmänner, die mit Psychedelika viel Geld machen wollen, ist Christian Angermayer. Letztes Jahr im Juni brachte er sein Biotech-Unternehmen Atai Life Sciences an die Börse, es ist aktuell etwa 920 Millionen Dollar wert. Er will mit psychedelischen Medikamenten – Mushrooms, Ketamin, MDMA und Co. – einen neuen Ansatz zur Heilung von Depressionen liefern.
Nicht nur er hat das finanzielle Potenzial der Substanzen erkannt. Das Handelsblatt hat sich auf Spurensuche begeben in einer Welt im Graubereich zwischen Droge und Medikament, Heilung und Absturz – und sehr viel Geld.
Keta-Trip im Herzen Amerikas
Boulder ist eine beschauliche Stadt im Herzen Amerikas. 108.000 Einwohner, davon ein Drittel Studenten, die Rocky Mountains vor der Tür. Boulder ist eine der liberalsten Städte des Landes – und neuerdings ein frequentiertes Ziel für Menschen mit psychischen Beschwerden.
Ihr Ziel ist die Praxis von Psychotherapeut Craig Salerno. Bei ihm können sie sich mit Ketamin behandeln lassen, geführt auf einen Trip gehen. Ketamin wurde 1970 in den USA als Narkosemittel zugelassen. Dann entdeckten Ärzte, dass dessen psychedelische Wirkung die Symptome von Depressionen lindern kann. Ärzte dürfen das Mittel seither verschreiben.

Die WHO schätzt, dass 280 Millionen Menschen weltweit an der Krankheit leiden.
Die Patienten, die sich an Salerno wenden, haben oft Jahre der Psychotherapie hinter sich, leiden unter Depression, Stress und manchmal paradoxerweise Drogensucht.
Salerno glaubt an das Mittel: „Ketamin ist eine Blaupause dafür, was der depressive Mensch fühlen kann.“ Im Rahmen der psychoaktiven Trips wolle man den Patienten zeigen, welche Glücksgefühle möglich seien, sagt er. „Später geht es darum, genau das ganz ohne Ketamin zu schaffen.“ Rund 90 Prozent seiner Patienten gehe es nach dem Trip besser, erklärt Salerno. Und auch nach sechs Monaten seien sie glücklicher.
Das Geschäft läuft gut. Die Nachfrage ist so hoch, dass Salerno drei zusätzliche Therapeuten engagieren musste. Nicht bei allen Kunden geht es um Heilung. Manche Kunden nehmen Ketamin als Lifestyle-Produkt. „Wir haben auch einige Leute hier, die ihr Leben optimieren wollen“, sagt Salerno. Er schicke sie nicht per se weg. Aber er gebe Leuten den Vorrang, die die Hilfe wirklich brauchten.
Markt mit Potenzial
Nur eine bestimmte Zielgruppe kann sich die Therapie überhaupt leisten. Kostenfaktor: 450 Dollar für eine Sitzung, ein Therapieplan umfasst bis zu sechs Sitzungen plus anschließende konventionelle Psychotherapie. Die meisten Patienten zahlen aus eigener Tasche.
Das lohnt sich für die, die mit den Substanzen handeln: Nach Angaben der Analysten von Research and Markets soll der legale Markt für psychedelische Drogen bis 2025 auf rund 70 Milliarden Dollar anwachsen. 2021 lag das Marktvolumen bei 51 Milliarden. Start-ups für das Thema haben bis November 2021 in 45 Deals insgesamt fast 600 Millionen Dollar an Kapital eingesammelt, wie CB Insight herausfand.
Stand 2020 haben 27 Prozent der US-Amerikaner schon einmal Magic Mushrooms konsumiert, 23 Prozent LSD, gefolgt von zwölf Prozent Ketamin. Der Markt ist riesig – zumal immer mehr Menschen an Depressionen erkranken: Die WHO schätzt, dass 280 Millionen weltweit an der Krankheit leiden.
Sogenannte Halluzinogene können künstlich hergestellt werden oder in Pflanzen und Pilzen vorkommen. Nach der Einnahme verändert sich für einige Stunden die Wahrnehmung: Die Zeit scheint anders zu verlaufen, das Bewusstsein wird weit, Blutdruck und Herzfrequenz steigen, oft folgt Übelkeit.
Kritische Schulmedizin
Manche Trips werden als spirituelle Erfahrung beschrieben, als Gefühl des Eins-Werdens mit dem Universum. Andere ähneln Albträumen und der Konfrontation mit den Urängsten. Manche Nutzer, wie IT-Ingenieur Jeff, setzen auf berufliche Leistungssteigerung. Andere, wie die meisten Patienten von Salerno, hoffen auf ein Wundermittel im Kampf gegen die Depression.
So unterschiedlich die Trips sind, so unterschiedlich sind auch die Nutzer – und so unsicher ist die rechtliche Basis. Manche Substanzen sind in den USA legal, etwa Ketamin nach ärztlicher Verschreibung. Andere Halluzinogene sind weitgehend verboten und dürfen nur in klinischen Studien getestet werden, darunter LSD und sogenannte Magic Mushrooms.
Noch scheint der Weg für den Masseneinsatz von Halluzinogenen sehr weit. Doch einige US-Städte und -Bundesstaaten preschen vor und legalisieren – analog zur Cannabis-Freigabe.

Der US-Bundesstaat hat bei der Legalisierung therapeutischer Drogen eine Vorreiterrolle.
So war Denver in Colorado die erste Stadt, die psychedelische Pilze 2019 entkriminalisierte. Es folgten Städte in Kalifornien, Michigan und Massachusetts, außerdem die Hauptstadt Washington. Oregon ist der erste Staat, der Psilocybin, ein Wirkstoff in Magic Mushrooms, für die therapeutische Verwendung freigab.
Die internationale Medizindatenbank Amboss warnt vor dem Einsatz psychedelischer Substanzen, also vor allem vor Lysergsäure-Diethylamid (LSD) und halluzinogenen Pilze. Zwar sei eine „psychische und körperliche Abhängigkeitsentwicklung untypisch“. Aber der Wirkmechanismus sei noch weitgehend unerforscht, die Evidenzlage gering. Bekannt ist unter anderem, dass LSD an die gleichen Rezeptoren andockt wie das Glückshormon Serotonin. Auch andere Rezeptoren werden von den halluzinogenen Substanzen beeinflusst.
Kurzfristig könnten die Mittel zu einem „mehrstündigen Verlust der Ich-Kontrolle mit panikartigen Zuständen, ängstigenden Halluzinationen und paranoiden Wahninhalten“ führen, sogenannten „Horrortrips.“ Langfristig drohten eine „schizophrenieähnliche über Wochen oder Monate anhaltende Psychose“ und „Flashback-Phänomene“.
Doch während viele Ärzte große Vorbehalte gegen psychoaktive Substanzen hegen, äußern sich einige Forscher sehr optimistisch.
Optimistische Forscher
Matthew Johnson ist Psychiatrieprofessor an der John-Hopkins-Universität in Baltimore. Vor Kurzem hat er die erste Forschungsförderung der US-Regierung für die Erprobung psychoaktiver Drogen als Medikamente seit mehr als 50 Jahren erhalten.
„Über viele Jahre hinweg war der Einsatz von Psychedelika tabu“, sagt Johnson. „Es gab die Geschichte von betrunkenen Briten, die in Amsterdam nach dem Genuss von Magic Mushrooms ins Wasser gefallen sind. Die Idee eines therapeutischen Einsatzes erschien als verrückt. Doch die Ablehnung war ein Irrweg.“
Zwar seien die genauen Wirkzusammenhänge noch ungeklärt. „Aber unsere Forschung zeigt klar, dass der therapeutische, ärztlich überwachte Einsatz von Psychedelika Patienten mit psychischen Problemen in vielen Fällen helfen kann.“ Wichtig sei die Überwachung, sagt Johnson, Trips auf eigene Faust lehne er ab. Helfen könnten die Substanzen bei psychischem Stress aufgrund schwerer Erkrankungen wie Krebs, bei Depressionen, Angstzuständen oder posttraumatischen Belastungsstörungen.

Anfang Februar trafen sich in Miami führende Köpfe aus dem Silicon Valley, der Wall Street und Politik und diskutierten über zukünftige Investitionen im Bereich Psychedelika.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt David Nutt, Professor am Imperial College in London. Nutt gilt als einer der führenden Drogenforscher. Er ist in seiner Heimat umstritten, nachdem er in einer Studie zum Ergebnis gekommen war, der Gebrauch von Cannabis, LSD oder Ecstasy schade weniger als Alkohol- und Tabakkonsum.
Nutt glaubt, dass der therapeutische Einsatz von Magic Mushrooms und LSD „die größte Revolution in der Psychiatrie seit den 1950er-Jahren“ darstelle, nur vergleichbar mit dem Aufkommen der Antidepressiva. „Psychedelika wirken dort, wo andere Medikamente nicht wirken, und auf anderen Wegen“, sagt er. Denn während Antidepressiva vor allem die Symptome bekämpften, träten Psychedelika „näher an die Ursachen heran“.
Milliardengeschäft mit der Heilung
Miami, Anfang Februar. Während der Nordwesten der USA im Wintersturm versinkt, trifft sich im Sonnenstaat Florida bei 23 Grad eine illustre Runde. Thema: Investitionsziele der Zukunft. Mit dabei: Silicon-Valley-Größen, Wall-Street-Granden und Ex-Politiker. Zu den Eingeladenen zählen der frühere britische Premier Tony Blair, Paypal-Gründer Peter Thiel und Tech-Investor Christian Angermayer. Es gilt die „Chatham House Rule“, die direkte Zitate verbietet.
Die Geladenen diskutieren über Magic Mushrooms und Co. Einig ist sich die Runde darin, dass das Thema mentale Gesundheit immer wichtiger wird.
Vier von zehn US-Amerikanern berichten inzwischen von Angst- und depressiven Zuständen, 40 Prozent mehr als noch vor der Coronapandemie. Die Kosten der Bekämpfung psychischer Erkrankungen sollen Schätzungen zufolge bis 2030 auf sechs Billionen Dollar steigen. Gleichzeitig könnte durch die Heilung psychischer Erkrankungen die Produktivität deutlich steigen: Glückliche Menschen schaffen mehr.
Der deutsche Investor Christian Angermayer setzt schon lange auf neue Techniken. Er investierte in Krypto-, Raumfahrt- und Gesundheitsfirmen. Längst nicht alle seine Investments waren für die Anleger von Erfolg gekrönt. Dennoch: Magic Mushrooms, LSD und Co. sieht Angermayer nun als klares Zukunftsthema.

Investor Christian Angermayer (Mitte) steckt Millionen in die Erforschung von psychedelischen Substanzen und deren Nutzung zu medizinischen Zwecken.
„Ich bin stolz darauf, der erste Unternehmer weltweit zu sein, der vorhergesehen hat, dass Psychedelika wie zum Beispiel Magic Mushrooms nun wieder medizinisch verfügbar werden“, sagt Angermayer. Seit 2013 treibe ihn das Thema um. 2014 hat Angermayer in der Karibik, wo die Substanzen legal sind, seinen ersten Trip mitgemacht. „Das war das Beste, Wichtigste und Bewegendste, das ich in meinem ganzen Leben gemacht habe“, erzählt der 43-Jährige. „Es hat die Tür zu meiner Seele geöffnet. Danach war mir klar: Wenn es mir als gesundem Menschen so viel Positives gibt, dann kann es insbesondere denen helfen, die an Depression, Angstzuständen und anderen mentalen Problemen leiden.“
Angermayer fand Investoren, darunter die US-Milliardäre Louis Bacon, Peter Thiel und Mike Novogratz. „Mehr als eine Milliarde Menschen haben Probleme mit der psychischen Gesundheit. Und Covid wird dazu führen, dass noch mehr Menschen Hilfe brauchen“, glaubt Angermayer. „Da entsteht ein Milliardenmarkt.“
Angermayer befürwortet nicht eine komplette Legalisierung von psychoaktiven Substanzen, sondern den Einsatz als Arzneimittel unter Aufsicht. Seine Firma, Atai Life Sciences, hat bisher mehr als 650 Millionen Dollar eingeworben zur Erforschung der Substanzen und ist an der Nasdaq notiert. Zuletzt stieg Star-Investorin Cathie Wood ein. Die Papiere gingen im Juni 2021 für 15 Dollar aufs Parkett, mittlerweile sind sie auf Talfahrt und liegen aktuell bei unter sechs Dollar pro Aktie.
Risikofaktor Schizophrenie
Ist die zunehmende Verbreitung gefahrlos? Selbst gegenüber dem Thema aufgeschlossene Wissenschaftler verneinen das. So warnen die Drogenexperten Johnson und Nutt vor dem falschen Einsatz von Magic Mushrooms und LSD.
Wichtig sei die Einbettung in eine umfängliche Psychotherapie, erklärt Nutt, mit einer Vor- und Nachbereitung der Trips, etwa einer fortgesetzten Gesprächstherapie wie in Craig Salernos Praxis. „Das Problem ist, dass zum Beispiel eine Depression nach einem Trip abklingen, bei der Mehrheit der Patienten nach einigen Wochen oder Monaten aber wiederkommen kann.“
Während des Trips müsse immer ein Arzt greifbar sein, etwa, um Herzprobleme zu behandeln, sagt Johnson. Alle Trips müssten zudem von zwei geschulten Personen überwacht werden, um Unfälle zu verhindern.
Vom Lifestyle-Gebrauch im Rahmen des sogenannten „Microdosing“ halten sowohl Johnson als auch Nutt wenig. Darunter versteht man die Einnahme von einem Bruchteil der üblichen Menge über einen längeren Zeitraum. Im Silicon Valley wird das schon seit Jahren zur angeblichen Leistungssteigerung gemacht. „Der Nutzen von Microdosing ist unbewiesen. Wenn überhaupt, sind die Effekte nur sehr gering“, sagt Nutt.
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Es gibt noch ein Risiko, vor dem sowohl Nutt als auch Johnson warnen. Im schlimmsten Fall kann ein Pilz- oder LSD-Trip eine gravierende Krankheit auslösen: eine Schizophrenie. Sie zählt zu den am schwersten zu therapierbaren psychischen Erkrankungen. Menschen mit einer Schizophreniegeschichte in der Familie müsse man daher neben Herzkranken und Menschen, die bestimmte Medikamente einnehmen, von einer Psychedelika-Behandlung ausschließen, sagt Nutt. „Und es gibt immer das Risiko, dass jemand durchs Netz fällt.“
Bei Alex Spiegel war kein Netz da. Der Designer, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, begab sich mit Ende 20 in Australien auf einen Magic-Mushroom-Trip – unter Anleitung eines selbst ernannten Schamanen. Das eigentliche Erlebnis hat er als aufregend in Erinnerung. Die Diagnose kam nach der Rückkehr in die Heimat: Spiegel hatte eine schwere Schizophrenie entwickelt, an der er bis heute leidet.
Hätte er sie auch ohne den Pilzkonsum bekommen? Möglich sei alles, sagt Spiegel heute. Mehrere Familienmitglieder seien psychisch erkrankt. „Aber der Trip war ein Fehler.“
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