Lernende Maschinen Kundenservice mit KI – Unternehmen setzen vermehrt auf Roboter

Unter künstlicher Intelligenz (KI) oder engl. Artificial Intelligence (AI) versteht man die kognitive Fähigkeit eines Computers oder einer softwaregesteuerten Maschine, auf eine Weise Entscheidungen zu treffen oder Aufgaben zu erfüllen, die der menschlichen Intelligenz gleichwertig ist.
Köln Sophie ist fleißig. Bis zu 70.000 Anfragen beantwortet sie im Monat. Neun von zehn Kundenanliegen kann sie erfolgreich beantworten oder so an einen Sachbearbeiter weiterleiten, dass die Sache anschließend erledigt ist. Fast alle Kunden sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Das belegt die Auswertung des Neu-Isenburger Energielieferanten Eprimo, bei dem Sophie arbeitet.
Sophie ist kein Mensch, sondern ein Chatbot, mit dessen Hilfe Kunden via Internet beispielsweise ihren Zählerstand übertragen, sich ein neues Tarifangebot geben lassen oder allgemeine Fragen zum Unternehmen stellen.
Das Besondere an Sophie: Die Maschine lernt mittels Künstlicher Intelligenz (KI) dazu. Sie merkt sich häufig vorkommende Schlagworte, Sätze und das Themenumfeld, in dem die Begriffe genannt werden. Damit können IT-Fachleute bei Eprimo sie weiter fit machen, sodass Sophie nach und nach mehr Anfragen versteht und bearbeiten kann.
Neue Arbeitsfelder
Vorteil für Eprimo: Kunden können ihre Anfragen rund um die Uhr stellen. Zudem werden Mitarbeiter entlastet, die bislang für die Bearbeitung zuständig waren. „Viele von ihnen helfen jetzt bei der Weiterentwicklung von Sophie, etwa indem sie den Dialog optimieren oder neue Anwendungsbereiche erschließen und dadurch den Funktionsumfang von Sophie erweitern“, sagt Jens Michael Peters, Vorsitzender der Eprimo-Geschäftsführung.
Ob per Chatbot, App oder im Laden. Zunehmend verändert Künstliche Intelligenz den Kundenservice. Wo sich früher ein Berater der Wünsche des Kunden annahm, entscheidet immer häufiger ein Algorithmus.
Wie groß die Bedeutung von KI im Kundenmanagement künftig sein wird, belegt eine Studie des IT-Konzerns Devoteam und des Cloud-Anbieters Service Now. Demnach verzeichnen fast drei von vier Unternehmen in Europa, die KI-Technologien im Kundenservice einsetzen, bereits Vorteile – von Entlastung über mehr Effizienz bis zum 24-Stunden-Service. „Wir stehen erst am Anfang der Revolution von Kundenservice-Prozessen durch Künstliche Intelligenz“, sagt Debbie Elder, Principal Consultant bei Devoteam.
Die Umwälzung verändert die Rolle der menschlichen Berater maßgeblich. „Mitarbeiter im Kundenservice werden von einfachen Aufgaben entlastet. Sie können sich anspruchsvolleren Aufgaben im Service widmen – etwa solchen, die Empathie erfordern“, sagt Tina Klüwer, Geschäftsführerin des Start-ups Parlamind.
Die Berliner haben eine Software mit demselben Namen entwickelt, die sprachliche Analysen von Wörtern und Sätzen mit maschinellem Lernen verbindet. Aus den Ergebnissen der Sprachanalysen zieht die Software dann intelligente Schlüsse und erkennt den Inhalt und die Tonalität einer Nachricht – ganz gleich, ob diese per Mail, Chat oder Telefon an den Kundenservice gelangt.
„Wo ist mein Paket?“ oder „Ist meine Zahlung eingegangen?“ Solche oft wiederkehrenden Anliegen lassen sich automatisch beantworten. Je nach Firmen- und Anfrageart könne die Software bis zu 60 Prozent der Kundenkommunikation übernehmen, sagt Klüwer. Das spare mehrere Tausend Euro monatlich.
An Grenzen stößt Parlamind, wo Emotionen im Spiel sind. „Es ergibt keinen Sinn, einen Kunden bei einer Beschwerde weiter zu verärgern, indem er sich durch eine automatisierte Antwort womöglich nicht wertgeschätzt fühlt“, sagt Klüwer.
Flüche auf dem Radar
Immerhin erkennt die Maschine Schlüsselwörter wie „Unverschämtheit“ und sortiert solche Nachrichten vor. „Der Mitarbeiter kann sich diese anschauen und anschließend besser vorbereitet in das Gespräch mit dem Kunden gehen“, sagt Klüwer.
Zudem ist die Maschine in der Lage, dem Service-Mitarbeiter über Kopfhörer oder auf dem Monitor Textbausteine als Vorschläge für die Argumentation zu unterbreiten, falls eine Beschwerde per Mail eingegangen ist. 60 Kunden nutzen Parlamind bereits – oft Logistiker oder Energielieferanten. Nun gehe es darum, das Verständnis von Parlamind auf weitere Branchen auszuweiten, sagt Klüwer.
Leichtfertig sollte jedoch kein Unternehmen den Verlockungen der KI erliegen. „Die Implementierung von KI-Technologien wird vielfach noch als Allheilmittel gesehen“, sagt der unabhängige IT-Marktanalyst Andreas Stiehler. Der oft einseitige Fokus auf Kosteneinsparungen verstelle den Blick dafür, dass viele Kunden den Kontakt zu Menschen suchen. „Es steht zu befürchten, dass die Verbesserung der Servicequalität als ein Kernziel der Digitalisierung immer weiter aus dem Blick gerät.“
Stiehler wirbt für mehr Bewusstsein dafür, dass mit dem Start von KI-Projekten auch Strukturen angepasst werden müssen. Unternehmen bräuchten einen „strategischen Angang, der mit allen Stakeholdern abgestimmt ist“. Führungskräfte müssten Jobveränderungen und den nötigen organisatorischen Umbau im Kundenservice aktiv begleiten.
Pionierarbeit im Handel
Ungewöhnlich weit ist der Online-Händler Brille 24, der komplett auf Digitalisierung setzt. Nur noch jeder fünfte Kunde sucht laut Firmenangaben einen persönlichen Berater-Kontakt. „Unsere Absicht ist es, für jedes klassische Beratungsangebot eine mindestens gleichwertige digitale Alternative zu entwickeln“, sagt Geschäftsführer Christophe Hocquet.
Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung leitet ein KI-Experte, vier Vollzeitkräfte beschäftigen sich dort fast nur mit Künstlicher Intelligenz. Das hat Pionier-Charakter: Erst 15 Prozent der deutschen Firmen, die auf KI setzen, verwenden laut einer Studie der Beratung Deloitte selbst entwickelte Lösungen.
Neuestes Projekt bei Brille 24: die App „Sichtwechsel“. Kunden sollen das Foto einer Brille hochladen können, die ihnen im Alltag gefällt. Daraufhin sucht die App das ähnlichste Modell aus dem Sortiment. Da sich die Software die Merkmale jedes Gestells merkt, werden die Vorschläge von Mal zu Mal genauer. Der Algorithmus funktioniere, bis zum Start würden noch Design und Bedienbarkeit der App optimiert, erläutert Hocquet.
Beim Textilhändler Bonprix dringt KI bereits in die analoge Welt einiger Filialen vor – und nimmt Einfluss auf die Preise. Der Hintergrund: „Kunden treffen ihre Kaufentscheidung aufgrund von aktuellen Gegebenheiten“, erläutert Florian Rüffer, Projektmanager bei Bonprix. „Im Internet haben sie die Möglichkeit, Preise zu beobachten, zu vergleichen und genau dann zu kaufen, wenn sie ein Angebot als attraktiv empfinden.“
Die Software von Bonprix verarbeitet nun Informationen wie Wetterdaten, Schulferien und Käuferverhalten. So beobachtet sie, unter welchen Umständen Kunden kaufen, und berechnet einen Preis, der sich der zu erwartenden Nachfrage anpasst. Auf das ganz große Schnäppchen dürfen Kunden dennoch kaum hoffen. „Das Gros unserer Artikel wird maximal einmal pro Woche im Preis verändert, wobei sich Preiserhöhungen und -senkungen in etwa die Waage halten und sehr moderat ausfallen“, sagt Rüffer.
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